Arbeitszeit für Lebensqualität

Foto: Jens, Fotolia
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Immer mehr Menschen wünschen sich mehr Lebensqualität und weniger Überstunden, während anderswo die Arbeitsplätze fehlen. Wie können wir unsere Zeitressourcen gerechter und innovativer verteilen?

Das Thema Arbeitszeit ist zweischneidig: Die einen haben sozusagen zu viel davon und ersticken in – teils unbezahlten – Überstunden. Die anderen hätten gerne mehr davon, weil sie derzeit keinen Job haben. Eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit würde einerseits Arbeitsplätze schaffen und auf der anderen Seite stressgeplagte MitarbeiterInnen entlasten und ihnen Lebensqualität zurückgeben.

Zu viele Überstunden

Die österreichischen ArbeitnehmerInnen machen mehr Überstunden als der europäische Durchschnitt. Rund 732.000 Beschäftigte, also 21,1 Prozent aller unselbstständig Erwerbstätigen, leisteten 2009 in ihrer Haupttätigkeit Überstunden bzw. im Falle einer Teilzeitbeschäftigung Mehrstunden. Unter den Vollzeitbeschäftigten leisteten über 25 Prozent regelmäßig Überstunden. Durchschnittlich wurden 8,2 Überstunden pro Woche und Person erbracht, ein Viertel der geleisteten Überstunden blieb unentlohnt.

Obwohl vor allem Männer im hoch qualifizierten Bereich Zusammenhänge zwischen ihrer Arbeitszeitleistung und bestimmten beruflichen Möglichkeiten sehen, ist festzustellen, dass mit zunehmendem Arbeitszeitausmaß die Unzufriedenheit der Belegschaft wächst. Beschäftigte mit Überstunden sind mit ihrem Leben insgesamt, aber auch mit der beruflichen Tätigkeit, mit der Arbeitszeitgestaltung, mit dem Führungsstil, mit Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten und mit dem Einkommen subjektiv weniger zufrieden, als Beschäftigte ohne Überstunden.

75 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, die regelmäßig Überstunden erbringen, wünschen sich eine Verkürzung der Arbeitszeit, ergab eine IFES-Befragung im Rahmen des Arbeitsklimaindex.

Gestaltung der Arbeitszeit

Hier sieht GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian großen Handlungsbedarf: „Gerade in Zeiten, in denen der Druck auf die ArbeitnehmerInnen ständig zunimmt, in denen nach engen Budget-Richtlinien und strikten Zielvorgaben ge­arbeitet werden muss und ArbeitnehmerInnen immer später in Pension gehen können, ist die Gestaltung der Arbeitszeit eine zentrale Herausforderung.“ Denn bereits jede/r fünfte unselbstständig Erwerbstätige arbeitet unter Stress. Burn-out ist längst nicht mehr nur eine Krankheit der ManagerInnen, sondern kann alle ArbeitnehmerInnen treffen.

„Die Zeit für eine lebensphasenbezogene Arbeitszeitgestaltung ist gekommen“, verweist Katzian auf das erstmals 2007 präsentierte, visionäre „40-40-40 Modell der Arbeitszeitgestaltung“.

Neues Arbeitszeitmodell

Im Kern fordert das Modell mehr Zeit für Weiterbildung und lebenslanges Lernen, mehr Zeit für Gesundheitsvorsorge und weniger Überstunden. Dazu müsste auf der ersten Ebene eine Reduzierung der tatsächlich geleisteten Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden stattfinden. Überstunden, die außerhalb der üblichen Arbeitszeiten liegen, sind vor allem auch Karl Proyer, Kollektivvertrags-Chefverhandler der GPA-djp, ein Dorn im Auge: „Abend-, Nacht- oder Wochenendarbeit halte ich hinsichtlich ihrer gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen für problematisch. Hier gilt es, die betrieblichen Kosten für Überstunden zu erhöhen.“

Die zweite Ebene wäre eine langfristige Verkürzung der Jahresarbeitszeit auf 40 Wochen. „Neben sechs Wochen Erholungsurlaub hält die Gewerkschaft jeweils zwei Wochen pro Jahr für Bildungsaktivitäten und Gesundheitsvorsorge für angemessen“, konkretisiert Wolfgang Katzian. Hier geht es nicht um eine bloße Verlängerung des Urlaubes, sondern um gezielte Handlungen, die eine längere aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen: durch ein Mehr an Freizeit, Gesundheits-Zeit und Bildungs-Zeit.

Auf der dritten Ebene der Lebensarbeitszeit bedeuten 40 Arbeitsjahre in der Praxis, die Dauer der Erwerbsarbeitsfähigkeit zu verlängern bzw. die Anzahl der gesunden Jahre in Beschäftigung zu erhöhen.
Arbeitszeitmodell schafft Arbeitsplätze
„Durch eine derartige Umverteilung der Arbeit würden mehr Personen Beschäftigung finden“, erläutert Karl Proyer die Vorteile des Modells. Denn die deutliche Verkürzung der Jahresarbeitszeit könne nicht mehr einfach über eine Verdichtung der Arbeit, sondern nur über zusätzliche MitarbeiterInnen kompensiert werden. Die längeren Erholungszeiten würden die Krankenstände reduzieren und die Zahl der krankheitsbedingten Pensionen deutlich verringern. Das wiederum würde die Pensions- und Arbeitslosenversicherung und damit die öffentlichen Haushalte finanziell entlasten.

Work-Life-Balance

„Das gewerkschaftliche Modell zur Arbeitszeitverkürzung schafft eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit – das hilft dabei, die Arbeitsleistung zu steigern und stressbedingte Krankheiten wie Burn-out zu vermeiden“, betont auch Wolfgang Katzian.

Auch die Lage der Arbeitszeit spielt dabei eine wichtige Rolle. „Es erhöht die Lebensqualität der ArbeitnehmerInnen entscheidend, wenn die Arbeitszeiten mit den eigenen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden können“, so Katzian. Die Zufriedenheit mit der Arbeit steige, wenn genügend Zeit für sportliche oder kulturelle Aktivitäten, die Familie und notwendige Arztbesuche bliebe. „Müssen persönliche Bedürfnisse über einen längeren Zeitraum unfreiwillig zurückgeschraubt werden, so gerät die Work-Life-Balance in eine Schieflage und wirft einen dunklen Schatten auf die Arbeitszufriedenheit und eventuell auch auf die Leistung.“

Vor allem jungen ArbeitnehmerInnen ist eine ausgewogene Mischung zwischen beruflicher Herausforderung und privater Rückzugsmöglichkeit oft wichtiger als Karriere und Geld.

Politik der kleinen Schritte

Claudia Kral-Bast, Leiterin der Abteilung Arbeit und Technik in der GPA-djp hält die Diskussion über das Thema für wichtig und fruchtbar. „Innovative Arbeitszeitmodelle werden selten von heute auf morgen durchgesetzt“, ist die Expertin überzeugt. Eine intensive öffentliche Diskussion kann jedoch eine längerfristige Änderung der Rahmenbedingungen und eine etappenweise Umsetzung in den Betrieben bewirken.

Veränderungen bei der Jahresarbeitszeitgestaltung sind für Kral-Bast ein Weg der kleinen Schritte. Auf dem Weg zu einer sechsten Urlaubswoche pro Jahr steht die Forderung nach einer Pufferzone bei der übers Jahr verteilten Arbeitszeit: etwa der Rechtsanspruch auf eine Art „Gesundheitswoche“, die für präventive Behandlungen genutzt werden kann. Oder der Anspruch auf eine Woche Bildungsfreistellung pro Jahr. Diese Zeit für Bildung wurde im Kollektivvertrag der Elektroindustrie und im Kollektivvertrag für außeruniversitäre Forschung bereits verankert, und auch für den Handels-Kollektivvertrag wird sie von der GPA-djp gefordert.

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