Sozialpartnerschaft in Gefahr?

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Bringen die aktuellen Krisenerscheinungen in Europa auch das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft unter Druck oder bewährt es sich als Instrument der Krisenbewältigung?

„Die Arbeitnehmerorganisationen sind aus guten Gründen wieder im Aufwind. Die Kritik an den Gewerkschaften in der Vergangenheit war überzogen. Mehr Mitglieder, mehr Tarifverträge auch in Niedriglohnbranchen, das wäre wünschenswert“ – diese Zitate stammen nicht aus einem Mitgliedermagazin der Gewerkschaften, sie stammen aus einem Leitartikel der renommierten deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ vom April dieses Jahres. Tatsächlich verspüren Gewerkschaften auch in Österreich wieder Aufwind. Nach den massiven Angriffen unter der Regierung Schüssel und der BAWAG-Krise finden die selbstbewussten Aktivitäten der Gewerkschaften heute wieder breite Zustimmung in der Bevölkerung, der stete Mitgliederrückgang hat sich in vielen Branchen umgedreht. Es scheint so, als würden insbesondere seit der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Menschen und auch öffentliche Meinungsträger den Wert einer starken Interessenvertretung der arbeitenden Menschen wieder stärker erkennen und bewusst ein Gegengewicht zum außer Rand und Band geratenen neoliberalen Wirtschaftsmodell wünschen.

Grundsäule der zweiten Republik

Bewertet man die aktuelle Situation der österreichischen Gewerkschaftsbewegung, so muss ihr Wirken im Rahmen der für unser Land typischen Sozialpartnerschaft gesehen werden. Nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges war es allgemeiner Konsens, das politisch Gemeinsame über das Trennende zu stellen und Konflikte möglichst am Verhandlungsweg zu lösen. Begünstigt wurde dieses System des Interessenausgleichs durch eine wirtschaftlich gute Entwicklung der Nachkriegsjahre, die auch großen Spielraum für den Ausbau sozialstaatlicher Leistungen bot. Die Fähigkeit der österreichischen Sozialpartnerschaft, gesamtwirtschaftliche Ziele als gemeinsame zu entwickeln und dies als Standortvorteil zu sehen, galt lange Zeit als breiter gesellschaftlicher Konsens.

Erste Brüche

Rückläufiges Wirtschaftswachstum und Veränderungen im politischen System, insbesondere der Aufstieg der FPÖ, führten Anfang der neunziger Jahre zu ersten Krisenerscheinungen im System der Sozialpartnerschaft. Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, der von den großen Sozialpartnerorganisationen mitgetragen wurde, war sicher eine wesentliche politische Weichenstellung, die die Handlungsfähigkeit unter Beweis stellte. Die Bildung der schwarz-blauen Koalition im Jahr 2000 stellte eine Zäsur dar. Mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ gelangte eine Partei an die Macht, die bislang völlig außerhalb des sozialpartnerschaftlichen Konsenses stand und die Gewerkschaftsbewegung offen angriff, etwa im Bereich der Sozialversicherungen. Dass der ÖGB gegen die Pensionspläne der damaligen Regierung Schüssel/Riess-Passer mit einer österreichweiten Streikbewegung antrat, war eine jahrzehntelang nicht für möglich erachtete Form der Konfliktaustragung. Realtiv unbeschadet überdauerte bislang das System der Kollektivvertragsverhandlungen die politischen Veränderungen dieser Zeit.

Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise

Die erneute Bildung einer rot-schwarzen Regierung, die wieder verstärkt auf die Einbindung der sozialpartnerschaftlichen Kräfte setzt, scheint eine Renaissance einzuläuten. Es ist auch eine unbestreitbare Tatsache, dass Österreich durch die Einbindung aller gesellschaftlichen Kräfte die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise besser bewältigt hat, als viele andere Staaten in Europa. Das Modell der Kurzarbeit verhinderte Massenarbeitslosigkeit im industriellen Bereich, die bisherigen Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung führten nicht wie in anderen Ländern zu Massenprotesten und Streiks.  Dennoch wittern nicht wenige Vertreter der Arbeitgeber nun die Chance, die Krise zu benutzen, um den Einfluss der Gewerkschaften zurückzudrängen und insbesondere bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen von bislang bewährten Formen und Strukturen abzugehen.

Schon im Frühjahr Jahr 2009 forderten maßgebliche Kräfte der Wirtschaft unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise Nulllohnrunden und Sonder-Kollektivverträge. Erst eine machtvolle Kundgebung der Gewerkschaften machte den Weg frei für Lohn- und Gehaltsabschlüsse, die sich im Nachhinein als wichtiger Faktor zur Aufrechterhaltung der Inlandsnachfrage darstellten.

Arbeitgeber wollen Schwächung

Insgesamt steigt die Zahl der Branchen, in denen die Lohn- und Gehaltsverhandlungen, die nur mit Kampfmaßnahmen bzw. deren Androhung durchzusetzen sind in der jüngsten Zeit stark an. So wurden bei den  Verhandlungen der Metallindustrie im Jahr 2011 Streikaktionen notwendig, um einen Abschluss zu tätigen, der den Parametern der wirtschaftlichen und Inflationsentwicklung gerecht wurde. Auch im Sozialbereich und im Finance-Sektor waren die Verhandlungen von Mobilisierungen und Demonstrationen begleitet (die KOMPETENZ berichtete).

Offenbar als Retourkutsche für die erfolgreichen Aktionen der Gewerkschaften im Metallbereich hat sich der Fachverband der Metallwarenindustrie entschlossen, aus der Verhandlungsgemeinsacht Metall auszuscheren (siehe Kasten unten). Es wird zwar nicht offen ausgesprochen, aber hinter diesem Agieren der Arbeitgeber steckt eine klare Strategie zur Schwächung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und  durch eine Strategie des Lohndrucks die Krise zu bewältigen. Dieser aktuelle Konflikt in der Metallindustrie hat auch eine Signalwirkung für alle anderen Branchen, weil sie nach wie vor als wichtiger Maßstab für die nachfolgenden Abschlüsse gilt.

Wissenschaftliche Untermauerung erhalten diese Kräfte unter anderem auch vom neuen IHS-Chef  Christian Keuschnigg, der in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ meinte, alle Länder sollten dem Beispiel Deutschland folgen, um über Lohnzurückhaltung die Wettbewerbsposition zu verbessern. „Wir haben aus gutem Grund schon seit geraumer Zeit unsere Aktivitäten in der Gehaltspolitik unter das Motto „Hände weg von Geld der ArbeitnehmerInnen“ gestellt“, erklärt Karl Proyer, der in der GPA-djp für Kollektivvertragspolitik zuständige stv. Bundesgeschäftsführer. „Derzeit kann man wirklich sagen, dass das Geld am vernünftigsten in den Händen von ArbeitnehmerInnen angelegt ist und ökonomisch das allersinnvollste ist. Alle, die nun glauben, Lohndruck und Dumping als Krisenbewältigungsinstrumente einzuführen, während die Ausschüttungen an Aktionäre nur so sprudeln, werden in uns einen erbitterten Gegner finden.“.

Derzeit stehen viele Systeme an einem Wendepunkt: Wird eine fatale Logik einer neoliberalen Wirtschaftspolitik fortgesetzt, die unterm Strich zu einem aufgeblähten Finanzsektor, massiver Umverteilung zu den Reichen und als Konsequenz zur Krise mit allen negativen Folgeerscheinungen geführt hat oder kommt es zu einer Besinnung  auf eine Stärkung der Realwirtschaft mit Umverteilung zu den Arbeitseinkommen, Nachfragesteigerung und Investitionen.

Solidarität enorm wichtig

Der derzeit in Wien lehrende deutsche Politikwissenschaftler Uli Brand warnt angesichts dieses Szenarios vor einem „race to the bottom“, der in die wirtschaftliche Sackgasse führt. Er rät den Gewerkschaften, politisch in die Offensive zu gehen. „Gewerkschaften und Arbeiterkammern müssten für sich selbst und gesellschaftlich eine Perspektive stärken, derzufolge es nicht nur darum geht, dass die Belegschaften mehr im Geldbörsel haben, so wichtig und legitim eine Umverteilung der Primäreinkommen ist.“ Die Gewerkschaften müssten darüber hinaus die Wahrnehmungen und Auseinandersetzungen entlang der dominanten Perspektive problematisieren – den Standortwettbewerb um jeden Preis und die damit verbundenen Implikationen für gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. „Denn mit der Drohung von Abwanderung in „billigere Länder“ ist die Unternehmens- und Kapitalseite immer stärker“, warnt Brand. „Sie müssten dazu beitragen, dass die wichtigen europäischen und innergesellschaftlichen Fragen demokratisch angegangen werden. Nicht autoritär, wie es sich derzeit entwickelt. Solidarität in Europa ist derzeit enorm wichtig. Die wird sich dann herstellen, wenn Menschen im Alltag wieder die Erfahrung machen, dass Verbundenheit, gegenseitige Unterstützung und das Eintreten für gemeinsame, solidarische Werte Sinn machen. Es geht aber auch um solidarische Erfahrungen im Wirtschaftsleben, in der Öffentlichkeit“, so Brand.

Und in der bereits eingangs zitierten „Zeit“ heißt es als Resumee: „Gewerkschaften werden im Kräftespiel der sozialen Marktwirtschaft gebraucht. Und sie sind auf diese weise sogar modern – in diesen Zeiten, in denen überall allerlei neue Formen direkter Beteiligung diskutiert wird, über Politik von der Basis und mehr Partizipation. Wer sich in einer Gewerkschaft organisiert, ruft nicht nach dem Staat. Er nimmt seine Interessen gemeinsam mit anderen selbst in die Hand. Das ist eine ziemlich kluge Strategie“.

Metallindustrie: Arbeitgeber brechen mit Sozialpartnerschaft!

Im April hatte der  Fachverband der Maschinen- und Metallwarenindustrie angekündigt, aus der KV-Gemeinschaft Metallindustrie und Bergbau auszuscheren und in der kommenden Herbstlohnrunde alleine verhandeln zu wollen. Die  Verhandlungsleiter der Gewerkschaften Karl Proyer (GPA-djp) und Rainer Wimmer (PRO-GE) sehen darin einen klaren Angriff auf sozialpartnerschaftliche Strukturen und als eindeutige Strategie, die ArbeitnehmerInnen schwächen zu wollen. Die Beschäftigen sollen nun offenbar für den Lohn- und Gehaltsabschluss in der Metallindustrie des vergangenen Herbstes „bestraft“ werden. Die Metallverhandlungen im Herbst haben eine Signalwirkung für andere Branchen und sind deshalb für alle Beschäftigten in Österreich wichtig.

Die Betriebsräte der Branche wollen weiterhin gemeinsam ihre Gehaltsrunden, die für 180.000 Beschäftigte Gültigkeit haben, verhandeln und für ihren Kollektivvertrag kämpfen. 900 Betriebsräte haben bei einer BetriebsrätInnen-Konferenz Ende Mai in Leonding bei Linz eine dahingehende kämpferische Resolution beschlossen. Aktuelle Informationen dazu unter: www.gpa-djp.at und www.proge.at

Die österreichische Sozialpartnerschaft

Die österreichische Sozialpartnerschaft ist ein informelles Modell der politischen Entscheidungsfindung unter Einbeziehung gesellschaftlicher Interessenvertretungen (z.B. Industriellenvereinigungen oder auch Gewerkschaften). Sie dient der außerparlamentarischen Konsensbildung in Bezug auf Wirtschafts- und Sozialthemen.

Diese Form der Zusammenarbeit bildete sich in Österreich in den 60er und 70er Jahren zu einem Instrument des Dialoges heraus, das sich nicht nur auf die unmittelbaren Themen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschränkt, sondern alle Wirtschafts- und Sozialbereiche einbindet. Ein Instrument der Sozialpartnerschaft ist die Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen. Auch für den parlamentarischen Bereich machten die Sozialpartner ihre Vorschläge.

In Österreich wird die Sozialpartnerschaft gebildet aus Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, Dachverband: Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ), Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Bundesarbeiterkammer (BAK).

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