Handel: Arbeit muss sich lohnen

Der Handel trotzte in den vergangenen Jahren der flauen Wirtschaftslage. Für die Beschäftigten wird der Berufsalltag aber immer härter: Regalschlichter statt aktive/r VerkäuferIn, Teilzeit- statt Vollzeitkraft und Arbeiten am Wochenende.

Fällt die Sonntagsruhe? Bekomme ich überhaupt noch einen Vollzeitarbeitsplatz? Lerne ich als Lehrling alles, was ich bräuchte, um später selbst ein Geschäft zu führen? Wer sich im Handel ausbilden lässt, steht längst nicht vor jener gesicherten Zukunft, die eine Tätigkeit in einer Wachstumsbranche vermuten lassen würde. Auch jene, die bereits seit Jahren im Verkauf tätig sind, plagen Ungewissheiten: wie lange habe ich meinen Job noch? Vor allem die Randbelegschaft, jene Menschen also, die Teilzeit oder sogar nur geringfügig beschäftigt sind, sieht sich mit einer hohen Fluktuation in der Branche konfrontiert. Und: wohin man schaut, sieht man vor allem junge Verkaufskräfte. Wo werden überhaupt noch ältere Frauen und Männer beschäftigt?

Niedriglohnsektor

Dann die Entlohnung: gemeinhin gilt vor allem der Einzelhandel als Niedriglohnsektor. Fast 400 Euro hinken hier die Gehälter laut einer IFES-Studie dem Durchschnittsgehalt aller Angestellten hinterher. Einer der Gründe: im Einzelhandel wird selten überzahlt. Dennoch gibt es natürlich auch die gut Verdienenden: wer im Auto- oder Möbelhandel zu den Topverkäufern zählt, kann stattliche Provisionen einstreifen.

Grundsätzlich ist der Verkauf durchaus eine attraktive Branche, meint Manfred Wolf, stellvertretender Leiter des Geschäftsbereichs Interessenvertretung in der GPA-djp sowie Kollektivvertrags-Verhandler: „Hier kann ich ganz unmittelbar ein Erfolgserlebnis haben: ich habe etwas verkauft, ich konnte den Kunden vielleicht sogar motivieren, mehr zu kaufen, als er ursprünglich wollte. Und ich habe es – in manchen Sektoren – mit sehr speziellen, attraktiven Produkten zu tun.“ Der Beruf des Verkäufers kann also durchaus spannend sein. Gefragt sind besondere soziale Fähigkeiten und ein gutes Zahlenverständnis.

Große gegen Kleine

Leider sieht die Realität oft anders aus. Zu tun hat dies mit der zunehmenden Konzentration, die man im Lebensmittelhandel ebenso findet wie in der Textilbranche oder im Buchhandel. Große Ketten verdrängen die kleinen Betriebe vom Markt. Hier sieht Franz Georg Brantner, Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Handel in der GPA-djp, auch das strukturelle Problem der Branche: die Großen eröffnen immer mehr Filialen. „Und die noch verbliebenen Kleinen erhalten ganz andere, schlechtere Einkaufs- und Zahlungskonditionen“. Das verfälscht den Wettbewerb. „Der Kleine kommt nicht mehr mit.“ Dazu trägt übrigens auch die zunehmende Liberalisierung der Öffnungszeiten bei.

Was den arbeitsfreien Sonntag betrifft, gibt es zwar eine gute Zusammenarbeit der Gewerkschaft mit kirchlichen Organisationen und NGOs. Aber Brantner gibt sich keinen Illusionen hin, dass man sich hier auf einen steten Kampf einstellen wird müssen. Hier haben auch die Einkaufszentren massives Interesse. „Sie erhalten ja nicht nur Miete, sondern sind auch umsatzbeteiligt.“

Zeitliche Flexibilität

Auch ohne Sonntagsarbeit, die es im Handel derzeit nur in Ausnahmefällen gibt – etwa in Supermärkten auf Bahnhöfen oder in Tourismusregionen – ist von HandelsmitarbeiterInnen schon derzeit massive zeitliche Flexibilität gefragt. „Für alle, die familiäre Verpflichtungen haben, ist das Arbeiten am Abend und am Wochenende eine organisatorische Herausforderung“, erzählt Maria  Gluchman, Betriebsrätin beim Handelskonzern REWE. „Zu Hause sollte alles gut geregelt sein – Kinderbetreuung, Haushalt etc. – und dann muss in der Arbeit hundert Prozent Leistung erbracht werden. Gemeinsame Zeit mit der Familie wird nur an Sonntagen gelebt. Deshalb ist uns der Sonntag so heilig.“

Was sich  Gluchman daher wünscht, gilt wohl für den gesamten Handel: „Vor allem bessere Bezahlung, mehr Vollzeitstellen und Arbeitszeitmodelle, die den Beschäftigten eine langfristige Planung ermöglichen.“ Dass der Einzelhandel mit an die 70 Prozent Frauenanteil derart weiblich dominiert ist (siehe Kasten) führt sie darauf zurück, dass „nur wenige Männer bereit sind, um so wenig Geld, Führungspositionen ausgenommen, diese Arbeit in voller zeitlicher Flexibilität und bei den derzeitigen Öffnungszeiten zu verrichten.“

Zum Leben zu wenig

Stichwort Bezahlung: nicht nur, dass die Gehälter im Vergleich zu jenen in anderen Branchen massiv hinterherhinken. Wer als Teilzeitkraft dann nur mehr 700, 800 Euro brutto verdient, ist auf einen Partner angewiesen, der zum Haushaltseinkommen beiträgt. „Mit solchen Bruttoeinkommen befinden sich die Betroffenen unter der Armutsgrenze“, betont Wolf. Das relativiere die Stellung des Handels als wichtigen Arbeitgeber. Man müsse von der Arbeit, die man leiste, auch leben können.

Insgesamt ist hier durchaus Sorge angebracht. Viele Filialisten, die heute in Österreich aktiv sind, haben ihre Zentralen in anderen europäischen Staaten, so Brantner. Sie sind es gewohnt, nicht an Kollektivverträge gebunden zu sein. Das mache auch hier zu Lande die KV-Verhandlungen zunehmend schwieriger. Gängiges Szenario: während Klein- und Mittelbetriebe hier für die Arbeitgeberseite verhandeln, „lehnen sich die Großen zurück und schauen zu“. Das ist für Kleinbetriebe doppelt frustrierend: nicht nur, dass sie ums Überleben kämpfen, tragen sie hier auch die Hauptverhandlungslast.

Kleine Unternehmen in Bedrängnis

Und was wollen die kleinen Unternehmen? Sie meinen, den Kostendruck dadurch ausgleichen zu können, dass sie bei den Gehältern auf die Bremse steigen. In den vergangenen Jahren wurden hier zwar vor allem für die Niedrigverdiener Verbesserungen erreicht, Besserverdiener erlitten dadurch, dass nur die KV-Gehälter, nicht aber die Überzahlung angepasst wurde, einen Reallohnverlust, da die Gehaltserhöhung geringer ausfiel als die inflationsbedingte Einbuße. Dies gilt übrigens auch für jene, die früher unter den Industrie-KV fielen und nun – da ihr Arbeitgeber nichts mehr produziert, sondern nur mehr Produkte verkauft – im Handel beschäftigt sind. Für Brantner ist das Bremsen bei den Gehältern allerdings der falsche Weg. „So wird man den Strukturwandel in der Branche nicht erfolgreich überleben.“

Die Kleinen kämpfen ums Überleben – die Großen punkten mit Umsatzzuwächsen, dazu trägt auch der immer stärkere Internethandel bei. Derzeit. Wolf kann aber nicht abschätzen, ob dieser Trend anhält. „Ich bin mir nicht mehr sicher, dass alles, was im Handel gekauft wird, auch von tatsächlich vorhandenen Einkommen gekauft wird.“ Shoppen auf Pump würde bedeuten, dass das Kaufaufkommen auf einer Blase basiert. Und Blasen neigen, wie man weiß, dazu eines Tages zu platzen.

Weiterbildung

Der Kragen platzt indessen so manchem/r MitarbeiterIn, der sich zunehmender verbaler und handgreiflicher Übergriffe durch Kunden ausgesetzt sieht. „Die diesbezüglichen Beschwerden nehmen zu“, konstatiert Wolf. Zu tun habe dies damit, „dass in unserer Gesellschaft die Hemmschwellen fallen“. Arbeitgeber müssten  ich hier nicht nur ganz klar hinter ihre MitarbeiterInnen stellen – sondern sie auch entsprechend schulen. Schulen, wie man mit Reklamationen umgeht. Schulen aber auch, wie konfliktgeladene Situationen bestmöglich gehandhabt werden können.

Der Handel ist inzwischen allerdings eine Branche, in der auch viele nicht extra Ausgebildete tätig sind. Und jene, die eine Lehre absolvieren, erhalten meist keine optimale Ausbildung. Warum? Vor allem die Ketten sehen in den jungen Menschen oft nur billige Arbeitskräfte. Tagaus, tagein schlichten sie die Regale – anstatt zum Beispiel in die Warenbestellung, die Kalkulation eingebunden zu werden oder Verkaufsgespräche zu führen, beklagt Wolf.

Mängel in der Ausbildung

Ja, der Zulauf zu der Lehre im Handel sei ungebrochen hoch, sagt der Bundesjugendsekretär der GPA-djp, Helmut Gotthartsleitner. Allerdings ist es für 45 Prozent der Lehrlinge nicht der Wunschberuf. Sie entscheiden sich auf Grund von mangelnden Alternativen für den Verkauf. Und erhalten dann nicht einmal die Ausbildung, die sie benötigen würden, um vielleicht auch einmal als selbstständiger Kaufmann tätig sein zu können.

Je nach Bundesland verbringen Lehrlinge 1.080 bis 1.260 Stunden in der Berufsschule. Nur in Wien wird allerdings das Maximum ausgeschöpft. Gotthartsleitner appelliert hier an die Landesfinanzreferenten, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Nicht nur soziale Kompetenzen müssten in der Berufsschule stärker als bisher berücksichtigt werden. Auch eine Fremdsprache – Englisch oder die Sprache einer benachbarten Region – müsste erlernt beziehungsweise gefestigt werden. Die fehlende Englischkompetenz ist vor allem in der Großstadt, aber auch in Tourismusregionen nicht mehr haltbar.

Lehrlinge als billige Arbeitskräfte

Die GPA-djp sieht aber auch massiven Handlungsbedarf innerhalb der ausbildenden Betriebe. Sie sollen sich regelmäßig zertifizieren und die Ausschüttung der Förderungen sollte nach einem Benchmark-System erfolgen. Ein einwöchiger Kurs reiche zudem nicht aus, um einen Ausbildner zu schulen. Hier bedarf es regelmäßiger Weiterbildung, betont Gotthartsleitner.

In der Praxis ist der Mitarbeiter, der Lehrlinge ausbilden soll, zudem oft mit anderen Dingen überlastet, so Wolf. Und: wer in einer Filiale lernt, bekommt oft nur einen sehr eingeschränkten Teil des Berufs vermittelt. Wolf fordert daher, dass Lehrlinge auch in der Zentrale alle Abteilungen durchlaufen. „Wie soll ich sonst erfahren, wie der Einkauf funktioniert – oder warum ein Artikel ausgelistet wird? Diese Erfahrung muss ein Lehrling machen.“

Dazu bedarf es aber eines Umdenkens. Lehrlinge werden oft nur als billige Arbeitskräfte gesehen. „In Wahrheit sollten die Betriebe Auszubildende aber nicht aus dem Personal-, sondern aus dem Bildungsbudget zahlen“, so Wolf. Heute müssten viele Lehrlinge sogar einen großen Teil der Internatskosten selbst bestreiten, die anfallen, wenn die Berufsschule geblockt absolviert wird, kritisiert Gotthartsleitner. Er will auch hier die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Will der Handel durch gut ausgebildete MitarbeiterInnen punkten, muss er entsprechend dazu beitragen.

Weiblich dominiert

520.000 Menschen sind im Handel beschäftigt, an die 400.000 davon als Angestellte- sie werden von der GPA-djp vertreten. Die Mehrheit ist dabei im Einzelhandel beschäftigt: es sind 270.000. 18.000 befinden sich in einer Lehrausbildung. Insgesamt beträgt der Frauenanteil in der Branche, die sich aus Einzel-, Groß- und Autohandel zusammensetzt, 54 Prozent. Im Einzelhandel arbeiten allerdings zu 70 Prozent Frauen. Hier sind auch Schätzungen zu Folge über zwei Drittel nur Teilzeit beschäftigt. Insgesamt gibt es im Handel 54.000 geringfügig Beschäftigte – 30.000 davon im Einzelhandel.

Der aktuelle KV-Abschluss

Es waren lange und schwierige Verhandlungen in diesem Jahr. Erst in der sechsten Runde konnten sich Arbeitgeber und GPA-djp auf eine lineare Gehaltserhöhung von 2,98 Prozent einigen. Mit einem Aufrundungsmechanismus auf den vollen Euro bedeutet dies für 90 Prozent der rund 530.000 Angestellten ein Plus von punktgenau drei Prozent. Der Dreier, der als Ziel gesetzt war, ist somit erreicht! Die Lehrlingsentschädigung wird um 3,16 Prozent angehoben. Über die rahmenrechtlichen Themen wie die sechste Urlaubswoche, Zuschlagsregelungen und das Thema Samstagsarbeit werde nun in Arbeitsgruppen noch weiter gearbeitet. Die Arbeitgeber hatten davor nur ein Gehaltsplus von 2,65 Prozent angeboten. Doch die Beschäftigten setzten sich mittels Betriebsversammlungen und öffentlichen Aktionen zur Wehr.

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