Frauen in technischen Berufen – eine gesellschaftliche Herausforderung

(c) R. Appel, TU Wien
(c) R. Appel, TU Wien

Um mehr Frauen in Technik und Naturwissenschaften zu bringen, braucht es mehr als Frauenförderpläne, meint TU Wien-Rektorin Sabine Seidler.

KOMPETENZ: Egal, ob Frauen über einen Lehr- oder einen Universitätsabschluss verfügen: in Österreich entscheiden sie sich mehrheitlich immer noch gegen eine technische Ausbildung. Das führt in der Folge auch zu geringeren Einkommen im Vergleich zu jenen von Männern. Was läuft im heimischen Bildungssystem falsch, sodass sich immer noch so viele Mädchen und junge Frauen gegen Technik, aber auch gegen Naturwissenschaften entscheiden?

Sabine Seidler: TechnikerInnenmangel als Problem wird von Politik, Wirtschaft und Industrie immer wieder bestätigt. Reine Imagekampagnen werden dieses Problem nicht lösen. Es gilt Technikaffinität frühzeitig zu erkennen und Angebote zu schaffen, wie diese gepflegt werden kann. Im Projekt „Kinderuni“ zum Beispiel arbeiten Hochschulen und Unternehmen gemeinsam an diesem Ziel. Technik als Berufsoption – vom Lehrberuf bis zur akademischen Karriere – muss als attraktive Option bekannt werden. Es ist nicht akzeptabel, dass es nahezu als „schick“ gilt, in Mathematik in der Schule „schlecht“ gewesen zu sein.

An Universitäten gibt es derzeit aber ein Missverhältnis von AnfängerInnenzahlen und verfügbaren Ressourcen. Das gilt auch für die technischen Studien. Deshalb sind undifferenzierte Awareness-Kampagnen wenig zielführend. Erfahrungen aus Projekten wie „Kinderuni“ zeigen, dass das Interesse der Sieben- bis Zwölfjährigen an Naturwissenschaft und Technik, im Übrigen sogar geschlechtsneutral, vorhanden ist. Das ist unsere Zielgruppe, deren Interesse sowohl im Rahmen des Unterrichts als auch in begleitenden Angeboten bis zur Studienwahl erhalten werden muss.

Aus unserer Erstsemestrigenbefragung wissen wir, dass Freunde, Eltern und LehrerInnen die Studienwahl stark beeinflussen. Als Motive werden Interesse am Fach, resultierende Karrierechancen und die Ansicht, das Studium passe zu den eigenen Fähigkeiten angegeben. Das Bildungssystem kann also durch gute und begeisternde LehrerInnen einerseits und durch die Unterstützung beim Erkennen der eigenen Fähigkeiten junge Menschen unterstützen, die individuell richtige Studienwahl zu treffen. Da auch Eltern und Freunde die Wahl stark mit beeinflussen, gilt es hier bestehende Klischees aufzubrechen und Berührungsängste abzubauen. Technik umgibt uns und ist fixer Bestandteil des Alltags.

KOMPETENZ: Worin liegt aus Ihrer Sicht hier zu Lande die Unattraktivität von so genannten Männerberufen für Frauen begründet?

Sabine Seidler: Ich glaube nicht an Kategorien wie „Männerberufe“, noch dass diese für Frauen unattraktiv sind. So lange es jedoch nicht gelingt, genau diese Stereotypen aufzubrechen, werden wir ein Problem haben. Beschäftigt man sich ohne Vorbehalte mit dem Angebot, entdeckt man beste Aufstiegs- und Entwicklungschancen in interessanten Arbeits-, Forschungs- und Studiengebieten. Das Erkennen der eigenen Fähigkeiten und die Information zu passenden Angeboten sind ein Schlüssel, um tradierte Rollenbilder zu durchbrechen.

KOMPETENZ: Sie selbst sind in Ostdeutschland aufgewachsen. Dort gab es viele Technikerinnen und Naturwissenschafterinnen. Auch in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas ist es bis heute selbstverständlich, dass Mädchen eine HTL besuchen oder an einer technischen Hochschule studieren. Wie erklären Sie sich das?

Sabine Seidler: Dass System in der ehemaligen DDR bot weniger Freiheit in der Studienwahl als das in Österreich jetzt der Fall ist. Die Platzvergabe erfolgte aufgrund des Bedarfs, als Resultat hatte man nur begrenzte Wahlmöglichkeiten. Dadurch ergab sich automatisch auch eine höhere Geschlechterdurchmischung in den einzelnen Studien. Systembedingt wurde auch die gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz geprägt, es war schlicht „normal“ Frauen in allen Bereichen vertreten zu haben. Diese Selbstverständlichkeit von Technikerinnen hat sich wohl bis heute erhalten.

KOMPETENZ: Wie kann man junge Frauen bei der Berufswahl ermutigen, auch Branchen ins Auge zu fassen, die eben keine traditionellen Frauentätigkeiten sind?

Sabine Seidler: Es sind nicht fehlender Mut oder zu großer Respekt, der Frauen abhält, einen technischen Beruf zu ergreifen, denn die Talente sind ja gleich verteilt. Es sind die Rahmenbedingungen. Frauenförderung greift zu kurz und unterstellt – rein begrifflich – Frauen hätten Defizite.

Wir versuchen in allen Bereichen die besten Köpfe an die TU Wien zu bekommen. Neben einer bewussten Internationalisierung sind unterschiedlichste Aktivitäten im Bereich Diversity und Frauenförderung Bausteine dieser Bestrebungen. Nicht zuletzt die Besetzung der Vizerektorin für Personal und Gender drückt dies aus. Generell gilt es, festgefahrene gesellschaftliche Rollenbilder zu brechen. Das Sichtbarmachen entsprechender Vorbilder ist ein Weg, dazu beizutragen.

KOMPETENZ: Wie sieht für Sie grundsätzlich ideale Mädchen- und Frauenförderung aus?

Sabine Seidler: Bildung ist ein Menschenrecht – und damit unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion oder Herkunft. Wir arbeiten laufend daran für alle unsere MitarbeiterInnen und Studierenden möglichst positive Rahmenbedingungen zu schaffen. Damit ist vor allem die Einstellung aller Beteiligten gemeint, die für das Thema sensibilisiert werden müssen. Natürlich haben wir hervorragende Programme in diesem Bereich. Diese können aber nur dann optimal wirken, wenn die Rahmenbedingungen verbessert werden. In männerdominierten Studienrichtungen beklagen Studentinnen oftmals ihre Sichtbarkeit. Sie sind exponierter als ihre Studienkollegen und damit angreifbarer. Zwar verzeichnen wir einen Anstieg bei der Zahl weiblicher Studierender, aber dies passiert nur langsam. Die Teilhabe von Frauen ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Das kann eine Universität allein nicht lösen. Rollenbilder müssen aufgebrochen werden.

Sabine Seidler, geb.1961 in Sangerhausen (Sachsen-Anhalt). Die Werkstoffwissenschafterin wurde 1996 als Professorin an die Technische Universität (TU) Wien berufen. Von 2007 bis 2011 war sie Vizerektorin für Forschung, im Anschluss wurde sie zur ersten Rektorin der Wiener TU gewählt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Kunststoffdiagnostik, die Bruchmechanik und Struktur-Eigenschaftsbeziehungen in Kunststoffen. Seidler ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

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