Griechenland: Das Ende der Kürzungspolitik

(c) G. Hochmuth
(c) G. Hochmuth

Giorgios Chondros, im Vorstand von Syriza, über die soziale Krise in Griechenland und die politische Aufbruchstimmung nach den Wahlen.

KOMPETENZ: Wie sind die Wochen seit der Wahl aus Sicht der Syriza abgelaufen?

Giorgios Chondros: Zwei Sachen sind ausschlaggebend. Erstens hat sich die Stimmung der Bevölkerung enorm verändert, die Menschen sind wieder hoffnungsvoll. Das merkt man nicht nur auf den großen Demonstrationen und Versammlungen auf den Hauptplätzen zur Unterstützung der Regierung in vielen griechischen Städten. Es kommen nicht nur die Leute die Syriza gewählt haben, sondern bei weitem Mehr. Zweitens das, was auf Regierungsebene passiert. Die Situation hat sich sehr beschleunigt. In den letzten Wochen hat die griechische Regierung mehr getan, als in den letzten fünf Jahren passiert ist, nicht nur bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene über die Schuldenfrage, sondern auch innenpolitisch.

KOMPETENZ: Was haben die sogenannten „Rettungspakete“ in Griechenland konkret bewirkt?

Giorgios Chondros: „Rettungspakete“ muss man auf jeden Fall unter Anführungszeichen stellen. Man muss die Frage stellen wer mit diesem Geld eigentlich gerettet wurde. Über 75 Prozent des Geldes sind direkt zum Kapitalmarkt zurückgeflossen, das heißt mit diesen Geldern wurden die Privatbanken Europas aus Deutschland, Frankreich usw. gerettet. Die restlichen 25 Prozent sind zum griechischen Budget geflossen, aber nicht um Löhne oder Pensionen zu bezahlen, sondern um zum Beispiel die Rüstungsverträge mit Deutschland erfüllen zu können.

Die vorgeschriebenen Kürzungsmaßnahmen der Troika haben zu einer sozialen Katastrophe geführt, daher ist das Leben von einer humanitären Krise geprägt. Alles was wir in den letzten Jahrzehnten an Arbeitsrechten errungen haben, gibt es nicht mehr. Das heißt: Auch Leute die noch einen Job haben, haben keine Garantie, bezahlt zu werden. Viele Firmen sind bis zu 12 Monate im Verzug mit der Lohnzahlung. Viele ArbeitnehmerInnen haben Verträge über vier Stunden am Tag, arbeiten aber acht oder 12 Stunden. Das alles soll jetzt gesetzlich rückgängig gemacht werden.

Öffentliches Eigentum wurde verkauft oder eigentlich verscherbelt: Wasser, Energie, Wälder, Strände, Flughäfen, Häfen, Autobahnen. Die neue Regierung wird versuchen diese wieder zurückzugewinnen. Auch die Demokratie selbst wurde beschränkt. In den letzten Jahren der Krise hat das Parlament keine Rolle gespielt, die wichtigsten Projekte wurden über Regierungsbeschlüsse umgesetzt, auch die Memoranden wurden so ratifiziert.

KOMPETENZ: Die Journalistengewerkschaft in der GPA-djp hat auch die Schließung des griechischen öffentlichen-rechtlichen Fernsehens kritisiert. Wie wird die neue Regierung damit umgehen?

Giorgios Chondros: Es war eine Unverschämtheit, dass der öffentliche Rundfunk über Nacht geschlossen und 2.000 MitarbeiterInnen auf die Straße gesetzt wurden. Einige von ihnen halten den Rundfunk noch am Leben, es gibt viele Radiosender und Fernsehsender, die auf freiwilliger Basis betrieben werden. Der öffentliche Rundfunk soll neu geschaffen werden und ein Großteil der KollegInnen wieder eingestellt werden. Der neue Rundfunk soll das Allgemeingut der öffentlichen Information wiederherstellen. Das ist auch eine symbolische Sache.

KOMPETENZ: Was sagst du ArbeitnehmerInnen in Österreich, warum sie mit der griechischen Bevölkerung solidarisch sein sollen?

Giorgios Chondros: Wichtig ist nicht alles zu glauben, was medial über Griechenland erzählt wird und sich selbst zu informieren. Was ich den ArbeitnehmerInnen noch sagen möchte: Kürzungspolitik ist nicht nur ein Problem für Griechenland, auch in Österreich könnten ArbeitnehmerInnen mehr verdienen und der Reichtum ist nicht gerecht verteilt. Wir brauchen eine europaweite Diskussion über das Ende der Kürzungspolitik.

KOMPETENZ: Was sind die Erwartungen an die europäische Gewerkschaftsbewegung?

Giorgios Chondros: Für uns ist es sehr wichtig enger zusammenzuarbeiten. Es soll unser gemeinsames Anliegen sein, das bisherige neoliberale Kräfteverhältnis zu verändern. Die linke Regierung in Griechenland ist eine Chance für die europäische und internationale Arbeiterbewegung, diese Chance müssen wir nützen! Wenn Syriza diese ersten, sehr schwierigen Monate übersteht, wird sich diese Hoffnung sicher über Europa ausbreiten.

KOMPETENZ: Ein Kritikpunkt an der neuen griechischen Regierung ist die Koalition mit der Rechtspartei ANEL, die in der Vergangenheit durch rechte Positionen aufgefallen ist.

Giorgios Chondros: Wir sind eine Regierung mit drei Parteien, auch die Grünen sind mit dabei. Warum es diese Koalition gibt: Alle anderen gewählten Parteien, außer zwei, haben die Kürzungspolitik mitgetragen. Die Kommunistische Partei, die ein Partner sein könnte, ist nicht auf eine Diskussion mit uns eingegangen und die Neofaschisten der Goldenen Morgenröte sind keine Option für uns. Wenn man hier an eine Koalition denkt, denkt man an eine Koalitionsvereinbarung mit einem gemeinsamen Programm. Das gibt es in Griechenland nicht. ANEL hat unserem Programm zugestimmt und das ist jetzt das Regierungsprogramm. Wir führen die Staatsbürgerschaft für die in Griechenland geborenen Kinder von MigrantInnen ein und schließen die furchtbaren Flüchtlingslager.

KOMPETENZ: Kritisch wird hier auch gesehen, dass keine einzige Frau unter den Schlüsselministern zu finden ist und auch in der restlichen Regierung kaum Frauen Funktionen bekleiden.

Giorgios Chondros: Ja das sehe ich auch so, es ist uns wirklich nicht gelungen mehr Frauen aufzunehmen, obwohl wir die einzige Partei Griechenlands mit einer Frauenquote sind.

KOMPETENZ: Wäre Grexit, also der Ausstieg aus der Eurozone eine Option?

Giorgios Chondros: Grexit ist keine Option. Wir wollen die Verhandlungen so führen, dass sie im gemeinsamen Interesse sind, im Interesse der europäischen Partner und der griechischen Bevölkerung. Wir wollen Zeit um mehr zu investieren und die griechische Wirtschaft zu beleben, Pensionen und Löhne zu kürzen hat nichts gebracht.

Giorgios Chondros ist Mitglied im Vorstand von Syriza, Leiter der Umwelt- und Ökologieabteilung und im Netzwerk der Solidaritätsinitiativen Solidarity4All.

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