Pflege: Sparen, wo’s richtig weh tut

Mobile Hauskrankenpflege lässt Beziehungen entstehen und kann nicht in ein Normkostenmodell gezwängt werden. Bild: Firma V - Fotolia
Mobile Hauskrankenpflege lässt Beziehungen entstehen und kann nicht in ein Normkostenmodell gezwängt werden. Bild: Firma V – Fotolia

Die Betreuung von Menschen, ob alt, krank oder mit besonderen Bedürfnissen, braucht Einfühlungsvermögen und ist keine Fließbandarbeit. Einer „Industrialisierung“ des Pflegebereichs muss rasch Einhalt geboten werden.

Mit vollem Einsatz: „Ich habe das Gatter zum Bauernhof einer Klientin geöffnet und da stürmte eine kleine Horde Esel raus“, erzählt Petra Pöllhuber, stv. Betriebsratsvorsitzende beim Oberösterreichischen Hilfswerk. Dass die Tiere ausgerechnet die Bahngleise in unmittelbarer Nähe als Weidefläche bevölkerten, führte zu heller Aufregung – die Langohren wieder einzufangen, kostete große Mühe. Mobile Hauskrankenpflege hat viele Seiten, nur wenig ist vorhersehbar – besonders am Land, wo auch weitere Strecken zurückgelegt werden. „Eine Kollegin muss in der Früh erst 40 Kilometer fahren, um ihre erste Klientin zu besuchen“, erzählt Pöllhuber. Ist morgens um 6 Uhr Dienstbeginn, heißt das um halb fünf Uhr aufstehen.

Pöllhuber ist für 1.200 MitarbeiterInnen zuständig, der Einsatzbereich reicht von Kinderbetreuung, Lernbegleitung, mobiler Altenpflege, mobiler Hauskrankenpflege, mobiler Kinderkrankenpflege und Arbeitsbegleitung über Heim- und Haushilfe sowie Physio- und Ergotherapie. Das Land Oberösterreich rechnet Pflegeleistungen nach Zeiteinheiten ab. Dieses so genannte Normkostenmodel ist problematisch. Die Pflege der KlientInnen darf eine bestimmte Normzeit nicht überschreiten – allein, Menschen sind Individuen und keine Maschinen. Das gilt für HelferInnen wie KlientInnen. Pöllhuber: „Wir haben viel mit alten und kranken Menschen zu tun, der Tagesablauf ist jeden Tag ein anderer.“ Werden Menschen über eine lange Dauer gepflegt, entstehen oft auch innige Beziehungen, die sich nicht so leicht normieren lassen. „Die Leute brauchen Zuwendung. Man fährt jahrelang zu den selben Menschen, ist fast ein Familienmitglied, kennt sich in deren Wohnung beinahe so gut aus, wie in der eigenen.“ Liegt der KlientIn etwas am Herzen, wird nicht einfach nur der Körper gepflegt und gewaschen, der Blutdruck gemessen oder ein Verband gewechselt. Nicht bloß An- und Ausziehhilfe oder Hilfestellung bei der Mobilisation geleistet, sondern auch zugehört. „Wie es das Normkostenmodell vorsieht, wäre es am besten, man geht rein bei der Tür, macht schnell seine Aufgaben und geht wieder raus“, kritisiert Pöllhuber.

Dass gespart wird, spüren die ArbeitnehmerInnen schon jetzt: der Druck im Job wird immer heftiger, die Arbeitsverdichtung steigt deutlich. „Bei der jährlichen Branchenanalyse zeigt sich, die Anzahl der KlientInnenstunden steigt im Vergleich zu den Personaleinheiten stärker an“, sagt Reinhard Gratzer, Regionalsekretär der GPA-djp. Für die einzelnen Arbeitsschritte bleibt immer weniger Zeit, doch freilich muss präzise gearbeitet werden. „Die Echtzeiterfassung in den mobilen Diensten erhöht den Druck auf die ArbeitnehmerInnen, „unproduktive“ Zeiten (z.B. Besuch der Toilette) in die Freizeit zu verlagern, was natürlich völlig absurd ist

Claudia Goldgruber ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Caritas für Menschen mit Behinderung (CMB) in Oberösterreich. Goldgruber ist in der Einrichtung St. Isidor in Leonding tätig – Behindertenarbeit vom Kindergarten über Hort bis hin zur Altenbetreuung. Der Betreuungsschlüssel wird vom Land Oberösterreich festgelegt, Korrekturen sind kaum möglich. „Dabei entwickeln sich gerade Kinder weiter und kommen in Phasen, in denen die Betreuung intensiver sein sollte“, sagt Goldgruber.

Allgemein wird der Druck größer. „Es fehlen einfach Leute, Stellen werden nicht nachbesetzt und es gibt Langzeit-Krankenstände. Das geht zu Lasten des Personals – zusätzliche Dienste, Mehr- und Überstunden müssen gemacht werden“, weiß die stv. Betriebsratsvorsitzende. Es gibt zu wenig Springer, die einen kurzfristigen Personalausfall ausgleichen können. Immer wieder kommt es vor, dass MitarbeiterInnen, die ihren Urlaub schon gebucht haben, wieder in der Arbeit erscheinen um bei Engpässen auszuhelfen. Das führt schon zu einem gewissen Unmut. „Wir wünschen uns, dass die Einsparungen nicht auf Kosten der MitarbeiterInnen gehen.“ Der Betriebsrat schaut, wo der Belegschaft der Schuh drückt. „Wir sind in die MitarbeiterInnen-Befragung der Caritas Oberösterreich eingebunden. Wir erhoffen uns dabei viele Rückmeldungen und werden bei Problemen unterstützend eingreifen.“

Auch in der mobilen Betreuung brennen die Leute aus. Mehr- oder Überstunden zur Gänze abzubauen ist fast unmöglich. „Durch die Mehrbelastung, die wir jetzt haben, ist es ein Teufelskreis“, ergänzt Petra Pöllhuber. Die jungen MitarbeiterInnen, die noch fit sind, übernehmen viele Überstunden bis auch sie ausgelaugt sind. Fallen kurzfristig Arbeitskräfte aus, wird bisweilen auch die 10-Stunden-Höchstarbeitszeit überschritten. Schließlich warten die KlientInnen auf ihre Pflege. Ersatz war früher auch leichter zu organisieren. Hatten die Hilfsorganisation einige unerwartete Ausfälle, konnte eine andere Organisation KlientInnen übernehmen. Heute geht das nicht mehr. Denn nun gibt es pro Sprengel nur mehr eine Hilfsorganisation, die für die mobile Hauskrankenpflege zuständig ist.

Reinhard Gratzer fasst zusammen: „Das Land Oberösterreich hat mehrfach in den vergangenen Jahren die Kollektivvertrag-Erhöhungen nicht zur Gänze finanziert. Weiters steigen auch Kosten durch Dienstplanabweichungen, z.B. durch Einspringen bei Krankenständen.“ Darüber hinaus kommen Betriebe mit überdurchschnittlich vielen langjährigen MitarbeiterInnen unter Druck, da deren Gehaltskosten über den Vorgaben des Normkostenmodells liegen. „Es ist einerseits verständlich, dass die öffentliche Hand die Kosten mittels Normvorgaben mess- und steuerbar machen will“, meint Gratzer, „andererseits ist die Ignoranz gegenüber jeglicher Abweichung von diesem Modell eine Realitätsverweigerung.“

Pflege und Gesundheit benötigen eine solide und nachhaltige Finanzierung. Das nutzt nicht nur den ArbeitnehmerInnen in den sozialen Berufen. Denn auch den KlientInnen ihre Angehörigen geht es besser, weil sie als Menschen wahrgenommen werden und nicht nur als Zeiteinheiten.

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