Kommentar: Kein Grund zum Feiern

GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian. Foto: Willi Denk
GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian. Foto: Willi Denk

Im kommenden März ist es genau 60 Jahre her, dass die Vertreter von sechs europäischen Staaten die Europäische Gemeinschaft begründeten.

Ob sich bis März jedoch Feierlaune einstellt, darf bezweifelt werden, das geeinte Europa befindet sich in der schwersten Krise seiner Geschichte. Es gehen tiefe Risse durch den Kontinent. Der wirtschaftlich schwache Süden kämpft gegen den starken Norden. Der Osten ficht aus Furcht um seine kulturelle Identität gegen den Westen. Nach dem Austrittsvotum Großbritanniens schwebt das Damoklesschwert des Zerfalls über der Union. Dazu kommt, dass aus der Finanz- und Wirtschaftskrise längst eine soziale Krise mit erschütternden Auswirkungen geworden ist. Die Politik der (DES)Troika hat bereits in mehreren Staaten auch zur Aushöhlung der Kollektivvertrags- und Gewerkschaftsrechte geführt.

Alle Versuche, die Krise in Europa zu beenden, sind bisher gescheitert, weil sie nur eine Fortsetzung der rigiden Sparpolitik waren. Zarte Ansätze einer neuen Investitionspolitik werden durch erneute Spardiktate zunichte gemacht. Statt immer mehr desselben wirkungslosen Sparzwangs, brauchen wir wirksame Instrumente, die den Staaten gerade in Zeiten des Abschwungs die notwendige Luft zum Investieren geben. Als Ausweg könnte der Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die „golden Rule“ ergänzt werden, die vorsieht, dass staatliche Nettoinvestitionen in Zukunft bis zu einem gewissen Grad aus der Berechnung der Staatsverschuldung ausgenommen werden. Während die Eingriffe im Bereich der Einschränkung von Arbeitsrechten überhand nehmen, sind eine gemeinsame europäische Regulierung der Finanzmärkte, die Einführung der Finanztransaktionssteuer und die Beendigung der europäischen Steuerflucht und Steuerhinterziehung, aber auch der bislang legalen aggressiven Planung zur Steuervermeidung noch immer nicht durchgeführt.

Die EU-Kommission unter dem Vorsitz von Jean-Claude Juncker versuchte sich anfangs in einer sozialeren Rhetorik. Inzwischen ist aber klar, dass die EU-Kommission ihren Weg aus der Krise im Freihandel und in der Anlockung von Auslandsinvestitionen sucht. Als Gewerkschafter sehe ich das Potenzial von Außenhandelspolitik und die Möglichkeit, Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen, sehr wohl. Klar ist aber auch, dass im Außenhandel nur ein überschaubares Volumen liegt. Ein nachhaltiges wirtschaftliches Wiedererstarken wird aber auch in Zukunft in erster Linie von der Binnennachfrage abhängen: private wie auch die der öffentlichen Hand.

Wenn die Europäische Union auch nach ihrem 60. Geburtstag weiter bestehen soll, dann brauchen wir mehr denn je einen tiefgreifenden Kurswechsel. Wir brauchen eine soziale Europäische Union, die die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ernst nimmt und soziale Sicherheit garantiert. Europa ist noch immer der reichste Kontinent dieser Erde. Wir müssen diesen Reichtum umverteilen und gesellschaftlich nutzbar machen. Gerechte Verteilung und Vollbeschäftigung muss ins Zentrum der europäischen Politik.

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