Arbeitszeit: Gleiten statt Hetzen

Eine Gleitzeitvereinbarung ohne Kernzeit ist möglich und für die Arbeitnehmerinnen sehr vorteilhaft. Illustration: Peter M. Hoffmann
Eine Gleitzeitvereinbarung ohne Kernzeit ist möglich und für die Arbeitnehmerinnen sehr vorteilhaft. Illustration: Peter M. Hoffmann

Die Gleitzeit ist die Grundlage einer flexiblen Einteilung der Arbeitszeit für viele ArbeitnehmerInnen. Auch die Arbeitgeber profitieren davon. Starre Kernzeiten haben sich als hinderlich erwiesen.

Gleitzeit ist die am weitesten verbreitete Form der Arbeitszeitflexibilisierung im Angestelltenbereich. Sie muss im Rahmen einer Betriebsvereinbarung – in Betrieben ohne Betriebsrat durch schriftliche Einzelvereinbarung – geregelt werden und bringt durch eine wesentliche Flexibilisierung der Arbeitszeit Vorteile für ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber. Bei gleitender Arbeitszeit können Beschäftigte den Beginn und das Ende ihrer täglichen Normalarbeitszeit – innerhalb eines vereinbarten zeitlichen Rahmens – selbst bestimmen. Sie können damit im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse und Möglichkeiten die Arbeitszeit an ihre individuellen Gewohnheiten und Notwendigkeiten anpassen.

Vor allem Eltern nutzen diese Flexibilität, um ihre Arbeitszeiten mit den Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen abzustimmen. Aber auch Freizeitaktivitäten oder persönliche Bedürfnisse, wie etwa ein späterer Arbeitsbeginn, lassen sich damit leichter einrichten.
Die Gleitzeit bringt auch dem Arbeitgeber viele Vorteile: Durch die flexible Arbeitszeit werden Mehrstunden dann geleistet, wenn Projektabläufe oder Arbeitsspitzen es erfordern, ohne Überstundenzuschläge bezahlen zu müssen. Beschäftigte, die sich ihre Arbeit eigenverantwortlich einteilen können, haben meist eine hohe Arbeitszufriedenheit und sind produktiver und weniger krank als unzufriedene ArbeitnehmerInnen.

Dennoch leben Beschäftigte mit Gleitzeitvereinbarungen keineswegs in einer heilen Arbeitswelt. Die betriebliche Wirklichkeit bringt trotzdem Überstunden, zu wenige Pausen, Einschränkungen der Flexibilität durch eine lange Kernzeit oder keine Möglichkeit zur Konsumation ganzer Gleittage. BetriebsrätInnen haben hier die wichtige Aufgabe, tragfähige Lösungen auf betrieblicher Ebene auszuver­handeln.

ONLINE-BEFRAGUNG
Um sich ein Bild über die aktuellen Probleme und Herausforderungen im Bereich Gleitzeit zu machen, hat die GPA-djp im Frühjahr 2016 eine Online-Befragung durchgeführt. Dafür wurden 11.432 BetriebsrätInnen kontaktiert, 1.460 Rückmeldungen samt 150 Gleitzeit-Betriebsvereinbarungen wurden ausgewertet.
Aus den Ergebnissen ist ablesbar, dass die Kernzeit das zentrale Instrument zur Regelung der Anwesenheit im Betrieb ist, es gibt sie in über drei Viertel der befragten Firmen. Das schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der ArbeitnehmerInnen stark ein. „In manchen Betrieben besteht – die Mittagspause ausgenommen – eine Anwesenheitspflicht zwischen 9.00 und 15.30 Uhr. Da gibt es nicht mehr viel Spielraum zur individuellen Gestaltung“, kritisiert Florentin Döller, Mitarbeiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp. Döller rät daher, die Vereinbarung einer Kernzeit zu vermeiden bzw. diese so kurz wie möglich zu halten. Diese muss in einer Betriebsvereinbarung zur Gleitzeit nicht unbedingt enthalten sein, sie ist kein gesetzlich vorgegebener Mindestinhalt. „Eine Gleitzeitvereinbarung ohne Kernzeit ist möglich und aus Sicht der ArbeitnehmerInnen sehr vorteilhaft“, erklärt Döller.

GUTSTUNDEN AUFBRAUCHEN
Wenn es um die Konsumation angefallener Gutstunden geht, sind vorteilhafte Gleitzeitperioden, die ein Quartal oder ein Halbjahr umfassen, eher selten. Viele Betriebsvereinbarungen sehen entweder sehr kurze Zeiträume, etwa im Ausmaß eines Monats, oder eher lange Perioden, etwa ein Jahr vor. „Zu kurze Durchrechnungszeiträume erschweren den Abbau der Plusstunden innerhalb der Gleitzeitperiode, zu lange Durchrechnungszeiträume sind wiederum unübersichtlich und erleichtern das Anwachsen von großen Zeitguthaben“, erklärt Döller. Bedenkliches Detail der Befragung: Ein Viertel der BetriebsrätInnen gibt an, dass in ihrem Betrieb nicht übertragungsfähige Plusstunden gar nicht abgegolten werden, sondern verfallen.

Erfreulich ist das Ergebnis betreffend die tägliche Normalarbeitszeit: Fast die Hälfte der Betriebsvereinbarungen legt diese mit neun Stunden fest. Die andere Hälfte hat das gesetzlich mögliche Ausmaß von zehn Stunden als Normalarbeitszeit festgelegt. Den Vorteil einer kürzeren Normalarbeitszeit für die ArbeitnehmerInnen erklärt der Experte so: „Darüber hinaus anfallende Mehrstunden sind als Überstunden zu verrechnen.“

Birgit Sauerzopf, Oesterreichische Nationalbank, möchte die Arbeitszeit verkürzen. Foto: Nurith Wagner-Strauss
Birgit Sauerzopf, Oesterreichische Nationalbank, möchte die Arbeitszeit verkürzen. Foto: Nurith Wagner-Strauss

BetriebsrätInnen machen mit der Anwendung der Gleitzeitvereinbarungen in ihren Betrieben sehr unterschiedliche Erfahrungen. Birgit Sauerzopf, stellvertretende Vorsitzende des Zentralbetriebsrates der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), hat mit ihrem Team „in einer schwierigen betrieblichen Situation hart gekämpft, um möglichst flexible und damit vorteilhafte Arbeitszeitregelungen für alle MitarbeiterInnen herauszuholen“. Auf das Ergebnis ist sie sehr stolz.

Dank der digitalen Verfügbarkeit sämtlicher Informationen und beruflicher Daten wurde OeNB-weit das „mobile Büro“, also das Arbeiten von zu Hause, tageweise eingeführt. Auch für MitarbeiterInnen mit All-in-Verträgen gilt die Gleitzeit. Seit Anfang 2017 dürfen nun auch diese pauschalierten Beschäftigten Zeitguthaben in Form von ganzen Zeitausgleichstagen abbauen.

STARKE ARBEITSBELASTUNG
In der Praxis gelingt der stundenweise Abbau der Plusstunden in manchen Organisationsbereichen kaum, denn „die Arbeitsbelastung ist im Aufsichtsbereich und durch Anforderungen der Europäischen Zentralbank aktuell hoch“. Viele Bankenprüfer, die auch in ganz Österreich unterwegs sind, rutschen daher in die Überstunden hinein, die dann mit Zuschlägen ausbezahlt werden müssen. Für Sauerzopf wäre daher eine Arbeitszeitverkürzung in Form einer 35-Stunden-Woche eine schlaue Lösung. „Wir erleben einen massiven Personalabbau im Finanzsektor. Aus meiner Sicht wäre es klug, die vorhandene Arbeit besser aufzuteilen“, erklärt die Betriebsrätin.

Peter Baumhauer, Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft, ist überzeugt, dass Selbstbestimmung die Motivation steigert. Foto: Nurith Wagner-Strauss
Peter Baumhauer, Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft, ist überzeugt, dass Selbstbestimmung die Motivation steigert. Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der Vorsitzende des Betriebsrates der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), Peter Baumhauer, vertritt die Interessen von rund 300 MitarbeiterInnen. In der 2004 gegründeten FFG, die im Eigentum der Republik steht, jedoch privatrechtlich als Ges. m. b. H. organisiert ist, wurde ein ganzes Jahr lang über eine Gleitzeitvereinbarung verhandelt. Im Frühsommer 2006 wurde eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die eine Kernzeit (Mo-Do 9–15 Uhr, Fr 9–13 Uhr) beinhaltet. „Wir haben eingesehen, dass der Empfang und die Hotlines immer besetzt sein müssen“, erklärt Baumhauer.

GESTEIGERTE MOTIVATION
Da in den einzelnen Abteilungen teilweise günstigere Lösungen gefunden wurden, können sich die meisten MitarbeiterInnen ihre Zeit relativ frei einteilen. Die Zufriedenheit mit der Arbeitszeitregelung ist groß: „Es gibt die Möglichkeit eines stundenweisen Zeitausgleiches auch in der Kernzeit – dieser muss im Anlassfall mit der Führungskraft vereinbart werden.“ Auch All-in-Kräfte haben eine gute Work-Life-Balance und können Zeitausgleichstage nehmen. Der Durchrechnungszeitraum zur Konsumation anfallender Plusstunden beträgt ein halbes Jahr. Ein Plusstundenpuffer von 40 Stunden kann ins neue Semester mitgenommen werden. „Diese Selbstbestimmung steigert die Motivation“, betont Baumhauer.

Günther Gallistl, Patheon Austria, hat eine Gleitzeitvereinbarung ohne Kernzeit ausverhandelt. Foto: Willi Denk
Günther Gallistl, Patheon Austria, hat eine Gleitzeitvereinbarung ohne Kernzeit ausverhandelt. Foto: Willi Denk

Günther Gallistl vertritt als Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates des oberösterreichischen Betriebes Patheon rund 360 Angestellte, Chemiker und Techniker. Rund 95 Prozent der Beschäftigten sind mit der seit 2001 bestehenden Gleitzeitvereinbarung sehr zufrieden bzw. zufrieden. „Wir haben keine Kernzeit im Betrieb, die Beschäftigten können in ihrem Arbeitszeitverhalten sehr autonom, je nach Arbeitsnotwendigkeit, agieren“, erklärt Gallistl. Wenn die Arbeit es zulässt, darf die Arbeitszeit – in Abstimmung mit dem Vorgesetzten – auch mehrmals am Tag für private Erledigungen unterbrochen werden. Ganze Gleitzeittage können nach Absprache konsumiert werden.

GLEITENDE VOR- UND NACHBEREITUNG

Christian Puszar, bfi Wien, hat durchgesetzt, dass auch TrainerInnen in der Vor- und Nachbereitungszeit gleiten können. Foto: Nurith Wagner-Strauss
Christian Puszar, bfi Wien, hat durchgesetzt, dass auch TrainerInnen in der Vor- und Nachbereitungszeit gleiten können. Foto: Nurith Wagner-Strauss

Christian Puszar ist seit 2003 Betriebsratsvorsitzender des bfi Wien und vertritt 620 Angestellte. Im Bildungssektor kann nur ein kleiner Teil der Beschäftigten von der Gleitzeit Gebrauch machen: „Die Trainer haben eine Kernzeit, die auf die Zeiten des Unterrichts hinzielt.“ Für die Vor- und Nachbereitungszeiten rund um die Vorträge wurde allerdings über eine Betriebsvereinbarung die Möglichkeit geschaffen, zu gleiten und zwar in einem Ausmaß von maximal eineinhalb Stunden pro Woche. Etwaige Gutzeiten können im Zeitraum von drei Monaten wieder konsumiert wer­den. „Die Beschäftigten sind mit der Betriebsvereinbarung, die auch die Gleitzeit regelt, sehr zufrieden“, berichtet Puszar. Die Normalarbeitszeit wird mit maximal zehn Stunden festgelegt, die Wochenarbeitszeit mit 45 Stunden begrenzt. Die Kernzeit für Verwaltungsangestellte und SozialarbeiterInnen liegt zwischen 10 und 14 Uhr.

ES GEHT UM EFFIZIENZ

Mischa Osterberger, FlyNiki, fordert einen längeren Durchrechnungszeitraum und flexiblere Anwesenheitszeiten. Foto: Nurith Wagner-Strauss
Mischa Osterberger, FlyNiki, fordert einen längeren Durchrechnungszeitraum und flexiblere Anwesenheitszeiten. Foto: Nurith Wagner-Strauss

Mischa Osterberger ist seit der Betriebsgründung im Mai 2012 als Betriebsrat bei FlyNiki für Bodenpersonal, Techniker, FlugbegleiterInnen und Piloten zuständig. Er ist insgesamt sehr glücklich darüber, dass es seit Mai 2015 eine Gleitzeitvereinbarung gibt, auch wenn diese „nicht der große Wurf“ ist. Davor gab es innerhalb des Betriebes grobe Unterschiede in der Handhabung der Anwesenheitszeiten – „diese Ungleichbehandlung hat großes Unbehagen ausgelöst“. Die Verhandlungen mit der Geschäftsführung verliefen sehr zäh, vor einer Einigung mussten Schlichtungsstelle und Gericht bemüht werden. Die jetzige Regelung lief mit Ende 2016 aus – es wurde eine Weiterwirkung vereinbart bis eine neue Vereinbarung getroffen wird. Oster­berger fordert dafür einen längeren Durchrechnungszeitraum (derzeit ein Monat) für den Abbau von Gutstunden sowie flexible­re Anwesenheitszeiten. Aktuell müssen fast alle Abteilungen bis 17 Uhr besetzt sein – auch an Freitagen. „Uns geht es um Effizienz. Die MitarbeiterInnen wollen nicht zu vorgegebenen Zeiten im Büro sitzen. Jeder erkennt aus seinem Tätigkeitsbereich heraus am besten, wann es Sinn macht länger zu bleiben oder früher zu kommen. Das sollte anerkannt und gelebt werden können“, so der Betriebsrat.

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