Faktencheck: Anrechnung von Karenzzeiten

Viele Kollektivverträge sind bei der Anrechnung der Karenzzeiten für Vorrückungen, für den Urlaubsanspruch, für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für die Kündigungsfristen besser als das Gesetz.
Zahlen: GPA-djp, eigene Berechnungen, Stand Herbst 2018

Im Moment wird im Nationalrat und auch in den Medien kontrovers über die Anrechnung von Karenzzeiten auf Ansprüche die von der Dauer der Dienstzeit abhängen, diskutiert. Im KOMPETENZ-Faktencheck werden die wichtigsten Fragen dazu beantwortet.

Für welche Ansprüche sollen Karenzzeiten angerechnet werden?

Konkret geht es hierbei darum, ob Karenzzeiten für die Berechnung der Dauer der Kündigungsfrist, für die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankenstand, für die Berechnung des Urlaubs­ausmaßes und für Vorrückungen im Gehaltsschema im gleichen Ausmaß wie Dienstzeiten angerechnet werden.

Wer diskutiert das und warum gibt es hier Auffassungsunterschiede?

Ein inzwischen beschlossener Antrag der Regierungsparteien fordert die Sozialpartner auf, die Anrechnung von Elternkarenzzeiten von bis zu 24 Monaten in den Kollektivverträgen zu verankern, sonst würde man als Regierung tätig werden. Die Oppositionsparteien stimmen dieser Vorgangsweise nicht zu und fordern eine sofortige gesetzliche An­rechnung. Inzwischen ist laut den Aussagen von ÖVP-Klubobmann August Wöginger klar geworden, dass die gesetzliche Anrechnung doch nicht kommt.

Was ist die bisherige Regelung?

Die arbeitsrechtlich durch Kündigungs- und Entlassungsschutz abgesicherte Karenz dauert maximal bis zum Tag vor dem 2. Geburtstag des Kindes. Für dienstzeitabhängige Ansprüche im Beschäftigungsverhältnis wird gesetzlich nur ein geringer Teil angerechnet, höchstens zehn Monate der ersten Karenz im Arbeitsverhältnis für die Bemessung der Kündigungsfrist, für die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankenstand und für das Urlaubsausmaß. Für Vorrückungen innerhalb der Gehaltsschemas sowie für die Anrechnung von Karenzzeiten als Vordienstzeiten gibt es bisher keine gesetzliche Regelung. Zeiten des absoluten und individuellen Beschäftigungsverbotes werden auf die dienstzeitabhängigen Ansprüche angerechnet.

Was bedeutet das konkret für Eltern?

Im Moment bedeutet das demnach, dass ein Elternteil, der länger als zehn Monate in Karenz ist oder für ein weiteres Kind eine Karenz antritt, Nachteile im Berufsleben erfährt. Gerade weil Frauen noch immer im größeren Ausmaß als Männer für Betreuung und Pflege in der Familie verantwortlich sind, und daher die Elternkarenz zu einen größeren Teil in Anspruch nehmen, führt das zu einer weiteren finanziellen Benachteiligung. Auch die 6. Urlaubswoche ist durch lange Karenzzeiten schwieriger zu erreichen. Für viele Frauen bedeutet die Entscheidung für Kinder einen Karriereknick und ein geringeres Einkommen. Die Lösung hierfür ist natürlich vielschichtiger. Es braucht einen Zugang zu hochqualitativen, flächendeckenden und ganztägigen Kinderbildungseinrichtungen, um jungen Eltern und vor allem Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Auch ein gesellschaftliches Umdenken und eine gerechte Aufteilung der Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern ist ein wesentlicher Schritt. Um die Schere zwischen den Einkommen zu schließen, ist aber auch die volle Anrechnung der Karenzzeiten eine wichtige Voraussetzung.

Diese Benachteiligung ist nicht neu. Gab es bisher keine Lösungsansätze?

In vielen Kollektivverträgen konnte durch den Einsatz von Gewerkschaften und engagierten BetriebsrätInnen eine Anrechnung über die gesetzliche Regelung hinaus erreicht werden. Im neuen Gehaltssystem des Handelskollektivvertrages erhöht zum Beispiel die volle Anrechnung von Karenzzeiten das Lebenseinkommen einer Frau mit zwei Kindern um drei Prozent. In der Metallindustrie werden die Karenzzeiten voll für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche angerechnet, so auch für das Jubiläumsgeld. Auch im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich werden die Elternkarenzzeiten voll angerechnet. Für die Beschäftigten vieler Branchen konnten so schon sehr gute Lösungen erreicht werden.

Warum ist die volle Anrechnung noch nicht umgesetzt und was könnten die nächsten Schritte sein?

In einigen Bereichen konnte diese noch nicht durchgesetzt werden oder ist noch nicht im vollen Ausmaß umgesetzt. Das liegt allerdings am Widerstand der Arbeitgebervertreter und nicht der Gewerkschaften. Um diese Branchen und auch die wenigen nicht kollektivvertraglich abgedeckten Bereiche zu erreichen, braucht es eine gesetzliche Regelung. So sollen Karenzzeiten voll angerechnet und Nachteile für Eltern dadurch gesetzlich beseitigt werden. Die gesetzliche Anrechnung ist längst überfällig und sollte so schnell wie möglich umgesetzt werden. Das hätte schon im Herbst im Parlament beschlossen werden können, wurde aber wieder verzögert.

Würde die geplante, aber von der Regierung abgesagte Regelung Verbesserungen bringen?

Ja, aber auch diese wäre nicht ausreichend. Im Parlament wurde über eine Anrechnung von bis zu 24 Monaten diskutiert. Bei mehreren Kindern ergibt sich dieselbe Problematik wie zuvor und es handelt sich nicht um die volle Anrechnung der Elternkarenz. Gerade vonseiten der Gewerkschaften gibt es schon seit geraumer Zeit Bestrebungen, diesen Missstand zu beheben und in allen Bereichen, in denen es möglich war, ist die Anrechnung der Karenzzeiten schon passiert. Es braucht keine Frist vonseiten der Regierung und keine Zurufe, sondern eine gesetzliche Regelung. Es liegt nahe zu vermuten, dass es hier nicht um Lösungen, sondern um billige Schlagzeilen geht.

Die Bundesregierung fordert zwar Gleichstellung ein, die konkreten Politiken richten sich aber im Wesentlichen gegen die Interessen von Frauen. Konkrete Beispiele sind die Arbeitszeitverlängerung durch die 60-Stunden-Woche, der unzureichende Ausbau der Kinderbildungseinrichtungen und die finanzielle Kürzung von Förderungen für Frauenberatungsstellen und Gewaltschutzmaßnahmen. Wenn es zu einer konkreten Forderung wie der Karenzzeitenanrechnung kommt, wird die Verantwortung abgeschoben und es bleibt bei Lippenbekenntnissen. Wie sich jetzt zeigt, kommt auch die versprochene Anrechnung nicht.

Auch weitere Maßnahmen zur Einkommensgerechtigkeit lassen bisher auf sich warten. Die gewerkschaftliche Forderung nach der vollen gesetzlichen Anrechnung der Karenzzeiten bleibt natürlich weiterhin aufrecht und wird auch weiterhin als Forderung in die Kollektivvertragsverhandlungen eingebracht werden. Es ist aber auch an der Zeit, dass auch die Bundesregierung ihre Hausaufgaben erledigt und tätig wird.

 

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