EU-Ratspräsidentschaft: Ein Europa, das ArbeitnehmerInnen nicht schützt

Grafik: GPA-djp Öffentlichkeitsarbeit

Das politische Programm der türkis-blauen Präsidentschaft war durch die Agenda von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung geprägt.

Für die Anliegen der ArbeitnehmerInnen gab es dabei keinen Platz.

Eine politische Einigung im Sinne der Beschäftigten gab es lediglich bei der Richtlinie für faire und transparente Arbeitsbedingungen, in der auch atypische Beschäftigungsverhältnisse umfasst sind. Doch gerade bei diesem Erfolg für die ArbeitnehmerInnen in Europa hat die österreichische Bundesregierung verzögert, anstatt eine rasche politische Einigung herbeizuführen. Vor allem dem Druck der Gewerkschaften ist es zu verdanken, dass die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten.

Wer einen Blick auf die Ergebnisse dieser EU-Ratspräsidentschaft wirft, kann erkennen, dass einer großen Inszenierung im Vorfeld nur wenig substanzielle Fortschritte gefolgt sind:

Keine Fortschritte für ein soziales Europa

Die wirtschaftlichen Freiheiten des EU-Binnenmarktes sind den sozialen Grundrechten in Europa übergeordnet. Diese Vormachtstellung geht zulasten der Beschäftigten und verhindert die Entwicklung eines sozialen Europas. Die Kernforderung an eine EU, die den Anspruch hat, nicht nur Eliten, Konzerne und die Reichen zu vertreten, sondern auch die ArbeitnehmerInnen, muss daher die Durchsetzung eines sozialen Fortschrittsprotokolls sein.

Die Bundesregierung hat während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft die Chance vergeben, dieses Ungleichgewicht zu thematisieren und sich für eine Stärkung der sozialen Grundrechte einzusetzen.

Keine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch höhere Standards

Subsidiarität aus Sicht der Beschäftigten bedeutet, die Einmischung der EU-Kommission in das österreichische Pensionssystem oder Initiativen im europäischen Gesellschaftsrecht, die hohe österreichische Mitbestimmungsrechte gefährden, zu untersagen. Anstatt einer „Gold-Plating“-Debatte, die zur Absenkung des hohen österreichischen Schutzniveaus dient, müssen europäische Regelungen ausgebaut und in Österreich stets als Minimalstandards, die es zu überbieten gilt, verstanden werden.

Subsidiarität hat die Bundesregierung hingegen so interpretiert, dass Teile der gemeinsamen europäischen Politik eingeschränkt werden. Das traf vor allem auf Felder der Sozialpolitik zu, die die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, bzw. mehr Konvergenz zwischen den Staaten zum Ziel hat. Der Begriff „Gold-Plating“, wurde verwendet um (Umwelt und Sozial-) Standards, die in Österreich höher sind, auf das EU-Mindestniveau abzusenken. Beide Begriffe sind das Ergebnis einer Deregulierungsagenda, die von WKÖ und IV diktiert wurden.

Keine Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping

Für die effektive Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping ist eine mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattete Europäische Arbeitsbehörde von immenser Bedeutung. Um das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch in der Praxis möglich zu machen, braucht es daher grenzüberschreitende Inspektionen und Zusammenarbeit bei der Einhebung von Strafen.

Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping völlig versagt. Anstatt eine mit umfangreichen Befugnissen ausgestattete Europäische Arbeitsbehörde voranzutreiben und ihren Sitz in Wien zu fordern, hat sich die Sozialministerin vorerst komplett gegen diese Institution ausgesprochen. Als es dann doch um die Umsetzung ging, tat sie alles daran, die Kompetenzen so einzuschränken, dass diese weitgehend handlungsunfähig ist. Der aktuelle Vorschlag einer Europäischen Arbeitsagentur, auf den sich Rat und Parlament geeinigt haben, ist daher nicht zufriedenstellend.

Keine Stärkung der Europäischen Säule sozialer Rechte

Die im November 2017 proklamierte Europäische Säule sozialer Rechte (EPSR) soll Beschäftigten umfassende Rechte und Schutzstandards garantieren. Zur Verwirklichung der in der EPSR verankerten Ziele bedarf es eines sozialpolitischen Aktionsprogrammes mit konkretem Fahrplan, in dem die Einführung verbindlicher Vorschriften enthalten ist. Darüber hinaus ist die Förderung des sozialpartnerschaftlichen Dialoges von oberster Priorität.

Die österreichische Bundesregierung hätte sich während der Ratspräsidentschaft dafür einsetzen müssen, die allgemeinen Prinzipien in der EPSR zu verbindlichen Maßnahmen zu machen. Doch gerade hier hat Türkis-Blau keinen einzigen Finger gerührt und dem sozialpolitischen Wettlauf nach unten keinen Einhalt geboten. Von Initiativen zur Stärkung des sozialpartnerschaftlichen Dialoges oder der Unterstützung von KV-Verhandlungsmodellen war ebenfalls keine Spur.

Keine garantierten Mitbestimmungsrechte im Zuge der Digitalisierung

Das Thema Digitalisierung hat die Bundesregierung in ihrem Programm zur EU-Ratspräsidentschaft zu einer der drei Prioritäten gemacht. Um den digitalen Wandel im Sinne der Beschäftigten gestalten zu können, braucht es eine europäische Agenda, die hochwertige Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung, faire Löhne und garantierte Mitgestaltungsrechte ermöglicht. Darüber hinaus müssen den Beschäftigten ausreichend Aus-und Weiterbildungsprogramme zur Verfügung stehen, die den Erfordernissen des digitalen Wandels gerecht werden.

Die Maßnahmen der EU-Kommission zum digitalen Binnenmarkt sind derzeit hauptsächlich wirtschaftsorientiert. Die Bundesregierung hätte sich daher für politische und rechtliche Rahmenbedingungen zur Mitbestimmung der Beschäftigten einsetzen müssen – das hat sie jedoch nicht getan.

Kein gerechtes Steuersystem für Europa

Neben den unzähligen Milliarden an Einnahmen, die den EU-Ländern jährlich durch Steuerbetrug entgehen, verlieren die Mitgliedstaaten durch den schädlichen Wettbewerb bei Körperschaftssteuern zusätzlich enorme Finanzmittel. Steuerhinterziehung und Steuervermeidung müssen daher effektiv bekämpft werden. Europa braucht außerdem eine höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen und eine gemeinsame Bemessungsgrundlage dafür. Das Konzept der digitalen Betriebsstätte soll eingeführt werden, damit auch Online-Unternehmen einen fairen Beitrag leisten. Auch die europaweite Besteuerung der Finanzmärkte muss weiterhin das Ziel sein. Um die Handlungsfähigkeit der EU bei Steuerfragen zu erhöhen, sollte das Einstimmigkeitsprinzip in dieser Ratsformation abgeschafft werden.

Die österreichische Bundesregierung hat während der gesamten EU-Ratspräsidentschaft keinerlei Initiativen gesetzt, um bei der Steuergerechtigkeit Verbesserungen herbeizuführen. Ganz im Gegenteil: Die längst notwendige europäische Finanztransaktionssteuer wurde unter Minister Löger gänzlich begraben und bei der Besteuerung von digitalen Unternehmen gab es trotz großer Ankündigungen letztlich eine peinliche Abfuhr.

Keine progressiven Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion vorangebracht

Die aktuellen Diskussionen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion geben ausschließlich eine neoliberale Agenda vor, die Deregulierung, Liberalisierung und Ausgabenkürzungen vorsehen. Ziel einer Reform der Wirtschafts- und Währungspolitik muss jedoch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung von Vollbeschäftigung sein. Um Krisen in Zukunft besser abfedern zu können, braucht es die „Goldene Investitionsregel“, die den budgetären Spielraum für öffentliche Investitionen durch die Flexibilisierung der Fiskalregeln ermöglicht. Fördermittel aus dem EU-Budget, die bei arbeitnehmerfeindlichen Strukturreformen ausbezahlt werden sollen, sind abzulehnen. Die Nachfrageseite der Wirtschaft muss außerdem durch generelle und umfassende Lohnerhöhungen gestärkt werden.

Die Bundesregierung hätte sich in dieser Debatte für progressive Reformen in der Wirtschafts- und Währungsunion einsetzen müssen, das Gegenteil ist jedoch geschehen. Der Euro-Rettungsschirm ESM wurde legislativ sowie finanziell gestärkt und soll zu einer Art „Europäischen Währungsfonds“ werden. Erstmals wurde auch der Beschluss für ein eigenes Eurozonen-Budget gefasst, hier sollen jedoch nur Staaten Zugriff haben, die sich an die wachstumshemmenden fiskalischen EU-Regeln halten.

Keine faire und transparente europäische Handelspolitik

Die europäische Freihandelspolitik ist auf Liberalisierung, Deregulierung und preisliche Wettbewerbsfähigkeit fixiert. Investitionsschutzabkommen, die Konzernen ermöglichen Staaten auf Schadenersatz zu verklagen sind abzulehnen, denn Freihandelsabkommen dürfen keine rechtsstaatlichen Demokratien aushöhlen. Nachhaltigkeitskapitel, in denen Sozial- und Umweltstandards festgeschrieben sind, müssen in den Freihandelsabkommen rechtliche Verbindlichkeit erlangen.

Die österreichische Bundesregierung hätte die EU-Ratspräsidentschaft nutzen müssen, um hier eine Trendwende herbeizuführen und sich für eine Ablehnung des Freihandelsabkommens „JEFTA“ auszusprechen. Türkis-Blau hat jedoch im Rat sowie im Europäischen Parlament entweder für dieses Abkommen gestimmt oder sich einfach der Stimme enthalten.

Kein sozial ausgewogenes Budget für Europa

Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft führte die Verhandlungen für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU (2021-2027) fort. Die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen haben sich in den letzten Jahren auf europäischer Ebene verändert, das muss auch Auswirkungen auf den MFR haben. Dieser muss so konstruiert sein, dass die Budgetmittel zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Beschäftigten in Europa führen. Investitionen in die wirtschaftliche Entwicklung und die Konvergenz zwischen den Staaten müssen ebenfalls Priorität haben.

Hier hätte Türkis-Blau die Chance gehabt, sich für strukturelle Veränderungen in diesem Budget einzusetzen und dadurch neue politische Schwerpunkte zu setzen. Geschehen ist hier jedoch kaum etwas, die Verhandlungen für den zukünftigen Finanzrahmen wurden zwar fortgesetzt, jedoch ohne Prioritäten in Richtung eines sozialen Europas.

Keine Lehren aus dem Brexit gezogen

Die Verhandlungen zum Brexit-Papier wurden während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft finalisiert. Die Brexit-Debatte muss als Anstoß gesehen werden, um über eine Neuausrichtung der EU zu diskutieren. Es müssen vermehrt soziale Fragen in den Vordergrund gerückt werden, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass Europa kein reines Wirtschaftsprojekt ist, sondern den Menschen auch ein besseres Leben ermöglicht. Denn nicht zuletzt das Votum für den Austritt hat uns gezeigt, dass die einseitig wirtschaftsliberalen Prinzipien des Binnenmarktes zu fehlender Legitimation und massiven Problemen führen.

Die Bundesregierung hat diese Chance jedoch vertan. Sie hat sich vor allem der Diskussion über die zukünftigen Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich gewidmet und somit die sozialpolitische Dimension dieses Austrittes nicht erkannt.

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