Buchtipp: „Das Büro ist der Tod“

Der neue Roman „Innere Gewalt“ des Wiener Autors Alex Lippmann beschreibt die deprimierende Arbeitswelt der Olivia Wolf. Deprimierend, weil sie kaum noch den Absprung schafft. Christof Mackinger hat ihn gelesen.

„Sie scrollt seit 15 Minuten durch die Online-Gallerie der Sammlung und sucht nach diesem Bild, obwohl das absolut nichts mit ihrer Aufgabe zu tun hat. Sie könnte, sie sollte, sie müsste: schreiben, recherchieren, strukturieren, ein Dokument öffnen, jemanden anrufen – mit irgendwas beginnen. Sie hat nur zwei Tage Zeit für das Konzept. Aber sie fängt nicht an.“

Olivia Wolfs Leben ist, gelinde gesagt, beklemmend: Ihre Mutter leidet unter wiederholten Schüben einer psychischen Krankheit und setzt ihre Wohnung unter Wasser. Dies wiederum weiß eine windige Seelsorgerin auszunutzen – zumindest befürchtet das ihre Tochter. Olivias Freund, ein wenig erfolgreicher Musiker, weckt ihre Hoffnung auf eine stabile Zukunft mit Kind und Haus – und zerschlägt sie letztlich mit wenig vertrauenserweckenden Aktionen. Und dann ist da noch Olivias Arbeit. Die ihr Leben bestimmende, aber weitgehend langweilige Tätigkeit in einer PR-Agentur macht der jungen Frau wirklich zu schaffen. Sei es die Konkurrenz zu ihrem streberhaften Kollegen, der sich beim Chef einzuschleimen weiß, das ständig-erreichbar-Sein und die Langeweile im Büro, das Rausschieben unangenehmer Aufgaben und das Vortäuschen von Beschäftigt-Sein. Aber dann kommt Olivias große Chance im Unternehmen aufzusteigen: Ein neues Projekt, ein neuer Geldgeber und ein, leider bleibt Olivia auch das nicht erspart, ein etwas zudringlicher Chef. Der Kollege fällt aus, der Chef setzt alles auf Olivia. Fast scheitert sie an dieser großen Bürde, doch dann kommt ohnehin alles anders.

Halb unabsichtlich, halb gewollt stolpert Olivia die Karriereleiter hinauf, wird aber auch dort nicht glücklich. Vielmehr nähert sie sich stressbedingt sogar selbst dem Wahnsinn an. Sind es Tabletten? Sind es Träume? Sind es psychotische Schübe? Man weiß es nicht. Jedenfalls geht es Olivia Wolf nicht gut und sie dabei zu beobachten ist beklemmend. Aber so muss es nicht bleiben….

Alxander Lippmanns Roman „Innere Gewalt“ ist ein beeindruckendes Zeugnis des psychischen Drucks, den die Arbeit auf Angestellte aufbauen kann. Das Gefühl nicht zu wollen, nicht zu können, aber trotzdem sich jeden morgen ins Büro quälen zu müssen und dabei noch gute Miene vermitteln zu müssen. Burn-Out, Übermüdung, Doppelt- und Dreifachbelastung und – vermeintlich – kein Entkommen. Im zweiten Roman des Wiener Autors wird das deprimierende Leben, die Langeweile gepaart mit Stress einer inhaltsleeren, unerfüllenden Arbeit derart gut vermittelt, dass es der Leserin, dem die Leser schon fast zur Belastung wird. Und fast ebenso grauenhaft mit „anzusehen“ ist, wie sich selbst die Chefetage den potentiellen GeldgeberInnen an den Hals wirft:

„Wolfgang sieht völlig fertig aus. Die Haare wirken beinahe verfilzt, sein Hemd ist durch geschwitzt, das Sakko liegt schon lange auf einem Sessel. Er wirkt gehetzt, dreht sich immer wieder verstohlen um, nur um zu sehen, dass sein alter Freund ihn immer noch beobachtet. Auf Olivia wirkt er wie die ausgelaugte Version einer ausgebeuteten Stripperin, die für irgendeinen Boss tanzt, weil sie keine andere Wahl hat.“

Olivias Lage ist verzwickt, ausweglos, sie macht ohnmächtig. Beeindruckend, dass Olivia dann doch den Absprung schafft. Ein Absprung der erzählerisch aber nicht an den Rest des Buches heran kommt. Zu glatt und fast zu plötzlich schafft es die Protagonistin viel zu spät das Blatt zu wenden, ihrem scheinbar schicksalhaften Ausgeliefert-Sein doch noch zu entkommen. Am Weg dorthin sind es aber Dialoge wie der folgende, der Lippmanns LeserInnen auch mal zum Schmunzeln bringt:

„Ich gehe dorthin nicht mehr zurück.“

„Wohin?“ fragt Klara

„Ins Büro“

„Das musst du nicht.“

„Das Büro ist der Tod.“ Klara nickt und nimmt Olivias Hände.

„Innere Gewalt“ fesselt, bringt aber auch zum Verzweifeln. Es beklemmt und verwirrt, der befreiende Paukenschlag, der all dies zerschlägt bleibt aber fast aus. Insofern ist das Buch keines, das sonderlich viel Hoffnung bringt. Es beschreibt die Zwänge der modernen Arbeitsweg, kaum aber die Wege, die auch Olivia gehen könnte sich dagegen zu stemmen.

Am Ende aber ist „Innere Gewalt“ schon fast ein Zeitdokument, wie die neoliberalen Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor alle Beteiligten kaputt machen können. Diese Zwänge als Zeitdokument einzuordnen gibt zumindest die Hoffnung, dass solch verrückte Arbeitsverhältnisse irgendwann auch der Vergangenheit angehören könnten. Zumindest Olivia schafft den Absprung noch im letzten Moment. Bleibt nur zu hoffen, dass es ihr alle anderen bald gleichtun.

Alexander Lippmann

Innere Gewalt

Bahoe Books (Wien)
280 Seiten | € 22,00
ISBN 978-3-903290-68-6



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