Arbeit neu denken

Politikwissenschafterin Barbara Prainsack tritt in ihrem neuen Buch für eine Erweiterung des Arbeitsbegriffes ein. Jede Tätigkeit, mit denen Menschen einen Beitrag zum Wohlbefinden anderer oder zum Wohl der Gesellschaft leisten, solle als Arbeit anerkannt werden. Zudem sei es wichtig, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen – unabhängig von ihrem Erwerbstatus.

KOMPETENZ: Sie gehen in Ihrem neuesten Buch der Frage nach, wofür wir arbeiten. Sind Sie zu einer Antwort gekommen?

Prainsack: Zunächst ist es mir wichtig, den gängigen Begriff auszuweiten: Wir müssen endlich all das als Arbeit anerkennen, womit Leute einen Beitrag für die Gesellschaft oder für andere leisten. Das bedeutet nicht, dass jede Aktivität unbedingt monetarisiert werden sollte, aber unbezahlte Arbeit, Care-Arbeit oder das Engagement als Freiwillige muss als Arbeit anerkannt und damit sichtbarer werden.

Internationale Studien zeigen, dass die unbezahlte Arbeit innerhalb eines Gesellschaftssystems bis zu 40 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht. Ohne unbezahlte Arbeit wäre die bezahlte also gar nicht möglich.

KOMPETENZ: Was bringt diese Anerkennung?

Prainsack: Alle Menschen die arbeiten, müssen auch sozial abgesichert sein. Unser derzeitiges System der Sozialen Sicherheit ist stark erwerbszentriert, was bedeutet, dass Menschen die Care-Arbeit leisten, Kinder erziehen oder Angehörige pflegen häufig so gesehen würden, als würden sie „nicht arbeiten“. Manche sind auch nicht eigenständig versichert. Das schafft Abhängigkeiten und macht viele zu Bittsteller:innen – trotz der wichtigen Arbeit, die sie tun.

Die Tatsache, dass Frauen im Durchschnitt betrachtet immer noch den überwiegenden Teil der unbezahlten Care Arbeit leisten, verstärkt das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Da geht es um den Zugang zu Führungspositionen ebenso wie um die Höhe der Alterspensionen und die gesellschaftliche Anerkennung als sogenannte „Leistungsträger:in“.

Es ist aber auch wichtig, Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen. Es geht mir darum, dass alle Beiträge, die Menschen für die Gesellschaft leisten, als Arbeit anerkannt werden.

KOMPETENZ: Was würde das verändern?

Prainsack: Diese veränderte Sichtweise würde anerkennen, dass jemand, der Nachbarschaftshilfe leistet ebenso einen Beitrag zur Stärkung des sozialen Gefüges leistet, wie jemand der einer bezahlten Arbeit nachgeht. Die Bewertung der Arbeit steht heute weder, was die Bezahlung betrifft, noch was die soziale Wertschätzung angeht, in einem guten Verhältnis zu dem, was Menschen leisten. Die Aussage, dass sich Leistung lohnen müsse, ist für so viele eine reine Beleidigung.

„Die solidarische Hilfe innerhalb der Bevölkerung ist das Fundament für die Erwerbsarbeit.“

Barbara Prainsack

Diese gesellschaftliche Abwertung von Menschen, die trotz ihrer Beiträge zur Gesellschaft nicht als „Leistungsträger:innen“ anerkannt werden, führt dazu, dass zahlreiche Sozialtransfers oder Hilfsleistungen , auf die man Anspruch hätte, nicht abgerufen werden, aus Scham oder aus Stolz, um der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen. Für die Betroffenen ist das oft entwürdigend. Mit Kindern Fußball zu spielen ist ebenso ein Dienst an der Gesellschaft wie in einem bezahlten Job Geld zu verdienen. Diese Erkenntnis wäre ein erster wichtiger Schritt zu einer fundamentalen Veränderung unseres veralteten Verständnisses des Arbeitsbegriffes.

KOMPETENZ: Sollen alle, die irgendeine Form von Arbeit leisten, sozial abgesichert werden?

Prainsack: Ja, das ist der Grundgedanke, denn aktuell passen unsere Erwerbsbiographien nicht mehr zum System der sozialen Absicherung. Alle sollen eigenständig sozial abgesichert sein und genug zum Leben haben, also ein monetäres Einkommen über der Schwelle der Armutsgefährdung. Darüber hinaus müsste Erwerbsarbeit natürlich gefördert werden, etwa durch steuerliche Vergünstigungen, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wo dies nötig ist, und andere, branchenspezifische Maßnahmen.

Die Rahmenbedingungen schlecht bezahlter und sozial mangelhaft abgesicherter Arbeitsverhältnisse müssen verbessert werden. Ich möchte mich nicht damit abfinden, dass Leute schlecht bezahlte Jobs machen müssen um überleben zu können. Das Ziel ist, dass Menschen, gut arbeiten können.

KOMPETENZ: Müssten wir den Begriff „Arbeit“ neu denken?

Prainsack: Ja, wir müssten ihn flexibler sehen und akzeptieren, dass Arbeit über ein gesamtes Leben gerechnet in verschiedenen Phasen unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann und unterschiedlich priorisiert wird. Der Anteil zwischen klassischer Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Lernen oder Weiterbildung, Zeiten der Kindererziehung oder Freiwilligenengagement wechselt im Laufe des Lebens. So ein Modell brächte den einzelnen sehr viel mehr Freiheit zur individuellen Lebensgestaltung und würde die Produktivität erhöhen.

„Wir müssen bezahlte und unbezahlte Arbeit als wertvoll ansehen und sozial absichern.“

Barbara Prainsack

KOMPETENZ: Bräuchte es für manche Personengruppen spezielle Angebote?

Prainsack: Es bräuchte Jobgarantien für Menschen in gewissen Lebensphasen, etwa nach der Elternkarenz oder für ältere Menschen, die keine Erwerbsarbeit finden können. Ebenso sollten all jene, die ihren Lebensmittelpunkt legal in Österreich haben, einen unkomplizierten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

KOMPETENZ: Was sind die wichtigsten Hebel zur Veränderung?

Prainsack: Eigentlich könnte man bereits den Begriff Arbeitgeber:in anders denken: Jeder, der seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, gibt diese und ist daher als Arbeitgeber:in zu sehen, was ein Umdenken in der Macht und Angebotsstruktur zur Folge hätte. Dieses Beispiel zeigt, dass die Begriffe, die wir verwenden, unser Denken und manchmal auch unser Handeln formen. Ein anderes Beispiel ist die inflationäre Verwendung des Begriffes des Arbeitskräftemangels. Nicht überall gibt es einen wirklichen Mangel an Fach -und Arbeitskräften. Manchmal geht es um mangelhafte Angebote, das heißt um eine Rekrutierungskrise: Bei guten Arbeitsbedingungen und fairer Entlohnung wären die Arbeitskräfte da.

KOMPETENZ: Welche Rolle spielt die Selbstverantwortung der Beschäftigten?

Prainsack: Mit dem Begriff Selbstständigkeit wird viel Schindluder getrieben. Privilegierte Arbeitende können sich meist gut durchsetzen und verwirklichen, weniger Privilegierte werden oft ausgenutzt und sind schlecht abgesichert.

Ich wehre mich dagegen, dass öffentliche Rufe nach „guter Arbeit für alle“ oder nach dem Schutz der Menschenrechte als linker Populismus oder als klassenkämpferisch verunglimpft werden. Es liegt auf der Hand, dass starke und gut abgesicherte Arbeitsverhältnisse gut für uns alle sind. Die gesamte Gesellschaft profitiert, wenn jeder einzelne Mensch – basierend auf einer grundlegenden finanziellen Absicherung –  sein Leben stark und selbstbestimmt führen kann. Sobald Menschen keine Angst mehr haben müssen, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, entfaltet sich ein reiches Spektrum an Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung des Lebens, auch des Arbeitslebens.

KOMPETENZ: Worauf sollte eine faire Bewertung von Arbeit basieren?

Prainsack: Die Verantwortung spielt eine entscheidende Rolle. Die trägt die Chefin eines mittelständischen Unternehmens ebenso wie der Leiter eines Kindergartens. Aktuell spiegelt sich dies aber weder in der gesellschaftlichen Anerkennung noch in der Bezahlung gesellschaftspolitisch wertvoller Tätigkeiten wieder.

KOMPETENZ: Wie passt Teilzeitarbeit in ihr Modell?

Prainsack: Neue Arbeitszeitmodelle sehe ich als Chance, der Vollbeschäftigung näher zu kommen. Würde die Normalarbeitszeit in manchen Branchen bei vollem Lohnausgleich auf 32 oder 34 Stunden reduziert, würden viele Teilzeitbeschäftigte auf einen Vollzeitjob umsteigen und damit mehr arbeiten als sie dies aktuell tun. Davon hätten alle etwas: Die Menschen, die Wirtschaft und unser Pensionssystem.

Dort wo es von den Arbeitsabläufen her funktionieren kann, sollte eine Arbeitszeitverkürzung schleunigst umgesetzt werden. Der Effekt wäre glücklichere und gesündere Beschäftigte, die mehr Zeit haben um sich aktiv am Gesellschaftsleben zu beteiligen. Davon profitiert die gesamte Gesellschaft.

Buchtipp

Barbara Prainsack

Wofür wir arbeiten. 

Brandstätter Verlag

Auf dem Punkt

140 Seiten

ISBN 978-3-7106-0688-5

Zur Person:

Die studierte Politikwissenschafterin Barbara Prainsack wurde 1975 in Klagenfurt geboren. Sie lebt und arbeitet als Universitätsprofessorin und Autorin in Wien. Derzeit forscht sie am Wissenschaftskolleg in Berlin. Ihr Hauptinteresse gilt den Themen Solidarität in der Arbeitswelt sowie Medizin und Gesundheitspolitik.

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