Für den Rundfunk brennen

Als Betriebsratsvorsitzender vertritt Harald Kratzer 418 journalistische und administrative Mitarbeiter:innen der Sender Ö1, Ö3 und FM4 und des Radio Symphonieorchesters.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Harald Kratzer ist Betriebsratsvorsitzender der ORF-Hörfunkdirektion, hat eine seiner Leidenschaften zum Beruf gemacht und weiß bis ins Detail, wie sich Druck für die Kolleg:innen anfühlt.

Es fing mit Audiokassetten für Urlaubsreisen an – als von Tontechnik begeistertes Kind stellte Harald Kratzer ganze Radiosendungen zusammen. Während seines Zivildienstes in einem Kindergarten verdingte sich der Wiener vor allem in der Küche, täglich begleitet vom Sender Ö3. So lag es nahe, dass sich Kratzer als Jusstudent auf der Suche nach einem Nebenjob beim Ö3-Hörerservice bewarb und gleich mit seinen genauen Kenntnissen über das Sendeschema beeindruckte.

Mit dem Hitradio aufgewachsen

Die Stimmung beschreibt Kratzer als offen, den Sender als „kreativen Haufen“. Einblicke in verschiedene Abteilungen und viele Gespräche brachten Harald Kratzer auf die entscheidende Idee, sich in der Produktion zu versuchen. Dort gab es allerdings erst keinen Job für ihn, aber die Möglichkeit etwas zu produzieren und vorzuspielen. Mit einem Trailer über ein Western-Duell, das sich erst am Ende als  Werbung für ein Fußball-Länderspiel entpuppte, überzeugte der heute 46-Jährige den damaligen Produktionschef. Der angehende Jurist musste sich schließlich zwischen einem 40-Stunden-Job bei Ö3 und dem „Fertigmachen“ des Studiums entscheiden. „Jus hat mich wirklich interessiert, aber ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.“

Plötzlich Stellvertreter

Vor rund 10 Jahren wurde Harald Kratzer gefragt, ob er sich eine Kandidatur für den Betriebsrat vorstellen könnte. Im Zuge der Listenbildung rutschte Kratzer unversehens auf Platz zwei, ein Erdrutschsieg folgte: „Damit haben wir den damaligen Vorsitzenden abgelöst, ich stieg von Null zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden der Hörfunkdirektion auf – da habe ich dann schon geschluckt“, erinnert sich Harald Kratzer. „Ich habe dann schnell gelernt, Gewerkschaftskurse absolviert und alles aufgesaugt, was es sonst noch gibt“, erzählt Kratzer, der im vergangenen August den Betriebsratsvorsitz übernommen hat und damit auch freigestellt wurde. Rund 20 Jahre arbeitete Harald Kratzer in der Programmgestaltung und als einer von sieben Produzenten. Nun vertritt Betriebsratsvorsitzender Kratzer 418 journalistische und administrative Mitarbeiter:innen der Sender Ö1, Ö3 und FM4 und des Radio Symphonieorchester.

In Kratzers Betriebsratsarbeit fungiert GPA-Sekretär Horst Traunmüller als ein, mit der Materie vertrauter, Sparingpartner – gemeinsam wird so an Argumenten und Auslegungen gefeilt. Zudem ist Traunmüller die schnelle Verbindung zu den passenden Juristen. Auch setzt der Betriebsratsvorsitzende auf das persönliche Gespräch: „Höre ich den Menschen zu, kann ich auch viel über die Firma erfahren“. Hinter den meisten Problemen steht eine persönliche Geschichte, weiß Harald Kratzer. Deshalb vereinbart er keinen Termin unter einer Stunde.

Über Belastungsgrenzen hinweg

Denn der Druck auf die Mitarbeiter:innen hat sich mit der Zeit erhöht „Die Anzahl der Leute, die das ganze Ding stemmen müssen, ist im Laufe der Jahre geschrumpft – dafür ist das Aufgabengebiet dank neu zu betreuender Bereiche wie zB Social Media nun wesentlich größer“, sagt Kratzer. Die Produktivität der Mitarbeiter:innen ist in den letzten 20 Jahren extrem gestiegen – Redakteur:innen kompensieren die Einsparungen durch persönlichen Einsatz. Der Druck zu liefern, die Arbeitslast und kleiner werdende Ressourcen haben ihren Preis. „Wir müssen regelrecht sagen: ‚Leute, bringts euch nicht um!‘ Denn viele Mitarbeiter:innen merken nicht, dass sie schon über ihrer Belastungsgrenze agieren“, erzählt Kratzer. In der Öffentlichkeit wird oft ein anderes Bild gezeichnet. So polemisieren Politiker:innen über die Privilegien der ORF Mitarbeiter:innen und sprechen etwa von einer erfundenen Wohnungszulage. Dabei diente diese ursprünglich dazu, einen sozialverträglichen Gehaltsabschluss durchzusetzen. Statt einer prozentualen Erhöhung für alle (die Niedrigverdiener benachteiligt hätte) wurde damals eine Zulage verhandelt, die für jeden gleich hoch war. Ab 2026 wird (unter anderem) diese Zulage komplett gestrichen. Harald Kratzer zeigt sich darüber verärgert: „Das ist arg, denn die Sozialpartner verhandeln den Kollektivvertrag und die Politik greift da ein. Das darf  nicht passieren!“

ORF-Betriebsrat Harald Kratzer beobachtet seit Jahren, dass der Druck auf die Beschäftigten steigt: „Wir müssen regelrecht sagen: ‚Leute, bringts euch nicht um!'“
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Kratzer ist auch außerhalb der Dienstzeiten erreichbar, bisweilen auch am Abend oder Wochenende. Wenn ein Thema brennt kann das schon sehr intensiv werden. Seine Lebenspartnerin warnt ihn regelmäßig, auch die benötigten Pausen zu machen. um die Batterien wieder aufzuladen.

Gesicherte Informationen notwendig

Ein starker und objektiver ORF ist für dieses Land wichtig. Laut  Medienforschung nutzen 9 von 10 Menschen in Österreich  den ORF. Pro Monat sehen/hören/lesen im Schnitt 95 Prozent ab 14 Jahren zumindest ein Angebot . Und es gilt: Professionelle Kriterien müssen in der Berichterstattung eingehalten werden. Unabhängig, faktenbasiert und qualiätsgesichert (Wenn dagegen verstoßen wird, so gibt es  Konsequenzen und durchaus öffentliche Diskussionen). Das ist heute wichtiger denn je: Eine Gesellschaft braucht gesicherte Informationen, denn auch in Österreich gibt es eine  Parallelöffentlichkeit durch  Propaganda Plattformen, die im Interesse einer Partei arbeiten. Und Tech-Oligarchien  wie X (vormals Twitter) zerstören auch hierzulande den gesellschaftlichen Diskurs. Während der blauschwarzen Regierungsverhandlungen hatten daher viele Angst um ihren Arbeitsplatz. „Viele Menschen haben bei uns ihre Berufung gefunden – der ORF ist schon etwas, womit sich die Belegschaft identifiziert und wofür sie brennt“, erklärt Harald Kratzer.

Wofür der Betriebsratsvorsitzende noch brennt

Trotzdem bleibt noch Zeit für andere Dinge. Gleich nach der Matura gründete Harald Kratzer mit Schulfreunden die Cover-Band „Lazy Dogs“, wo der Betriebsratsvorsitzende noch heute Klavier und Akkordeon spielt und auch dem Backround-Gesang frönt. Aufgespielt wird etwa auf Bällen und Hochzeiten. Wurde früher Sinatras „My Way“ als Zugabe gesungen, ist es heute „I will survive“. Die gereifte Boys-Band hat seit einiger Zeit auch eine Sängerin. Langweilig kann Harald Kratzer aus zeitlichen Gründen gar nicht werden: seit 23 Jahren ist er nämlich auch geprüfter Pyrotechniker und Feuerwerker, managt Bühnenpyrotechnik genau wie Großfeuerwerke. Bloß für eines hat Harald Kratzer einfach noch keine Zeit gefunden: einen Hund, aber der muss wohl noch ein wenig warten.

Hast du schon einmal selbst überlegt einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens fünf Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Als Betriebsrät:in hast du einen besonderen Kündigungsschutz. Wir unterstützen dich und deine Kolleg:innen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Wende dich an unsere Beratung unter www.gpa.at/kontakt

Scroll to top