Die US-Handelsgewerkschaft erringt einen Teilsieg gegen Amazon. Gewerkschaftspräsident Stuart Appelbaum berichtet vom schwierigen Kampf gegen die untragbaren Arbeitsbedingungen beim Plattformgiganten.
Eine erfolgreiche Kampagne der US-amerikanischen Gewerkschaft für Einzel-, Großhandel und Kaufhäuser (RWDSU) hat die Errichtung eines weiteren Amazon Standortes in New York verhindert, bei dem es erneut zu groben Missachtungen fundamentaler Gewerkschafts- und Arbeitsrechte gekommen wäre. Auf eine steuerliche Begünstigung durch die Stadt New York, die dem Amazon-Konzern bis zu 3 Milliarden US-Dollar eingebracht hätte, muss das Unternehmen nun ebenfalls verzichten. Einer breiten Allianz von RWDSU, bestehend aus Beschäftigten, lokalen PolitikerInnen, verschiedenster Interessensgruppen und den Medien, ist es gelungen, Druck auf das Amazon-Management aufzubauen und die Entstehung tausender prekärer Jobs in New York zu verhindern. An der Spitze dieser Kampagne stand Stuart Appelbaum, Präsident der US-amerikanischen Gewerkschaft RWDSU, der im November Wien besuchte.
Amazon misshandelt seine Beschäftigten
Seit 2013 sind aufgrund der unmenschlichen und gefährlichen Arbeitsumstände in den Amazon Standorten weltweit 13 Beschäftigte ums Leben gekommen, mehr als 600 wurden verletzt. Im US-Bundesstaat Pennsylvania beispielsweise musste Amazon während einer Hitzewelle stationäre Ambulanzen am Standort einrichten, um die dehydrierten Beschäftigten versorgen zu können.
Doch auch in den europäischen Amazon Standorten sind die Arbeitsbedingungen unerträglich, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Gewerkschaft GMB aus dem Vereinigten Königreich zeigt. Beschäftigte mussten dort in Flaschen urinieren, weil die Arbeitsprozesse nicht ausreichend Zeit für Toilettengänge vorsahen. Hochschwangere Frauen wurden gezwungen im Stehen zu arbeiten, nahezu täglich gingen Notrufe von sich quälenden MitarbeiterInnen in den umliegenden Rettungszentralen ein. Eine Umfrage unter den Mitgliedern der Gewerkschaft GMB zeigte, dass 87% der befragten Amazon Beschäftigten aufgrund der hohen Arbeitsbelastung ständig oder gelegentlich Schmerzen haben.
Beschäftigte leiden unter hohem Arbeitsdruck und schlechter Bezahlung
Erst auf Initiative von PolitikerInnen hat Amazon angekündigt in den USA einen Mindestlohn von 15 US-Dollar pro Stunde einzuführen. Dies ging jedoch mit der Kürzung von Boni und Aktienzuteilungen für die Beschäftigten einher und gilt auch nicht für sogenannte selbständige AuftragnehmerInnen, die im Unternehmen weit verbreitet sind. Da Amazon seine Beschäftigten verdächtigt, Gegenstände aus den Lagern mitzunehmen, gehören aufwändige Security-Checks bei den Ein- und Ausgängen zum Alltag – diese Zeit gilt nicht als Arbeitszeit und wird nicht bezahlt.
Darüber hinaus sind unfaire Entlohnungen, 12-Stunden Schichten und fehlende Pausen an der Tagesordnung. Das Arbeitspensum nimmt stetig zu, die MitarbeiterInnen berichten häufig von unerfüllbaren Aufträgen. In sogenannten „Power hours“, müssen die Beschäftigten einen besonders hohen Arbeitsaufwand in kürzester Zeit bewältigen. Der ohnehin hohe Arbeitsdruck steigt in diesen Zeiträumen nochmals an. Besonders „fleißige“ Beschäftigte werden daraufhin mit Lotterielosen belohnt. Amazon begreift diese „Power hours“ als Teil der Unternehmenskultur, die die MitarbeiterInnen zusätzlich zur Mehrarbeit motivieren soll.
Das Unternehmen versucht auch mittels Überwachungsmethoden Druck auf die Beschäftigten aufzubauen. So wird beispielsweise gemessen, wie lange LagerarbeiterInnen brauchen, um Bestellungen zusammenzustellen und zu verpacken, während ihnen strikte Zeiten für Pausen und Zielerreichungen vorgegeben werden. Diejenigen, die diese Zeiten überschreiten, bekommen Warnungspunkte.
Aggressive Vorgehensweise gegen gewerkschaftliche Organisierung
Das Amazon-Management unternimmt alle Anstrengungen, den Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen mit legalen und illegalen Mitteln zu bekämpfen. Das Unternehmen hat Videos angefertigt, die lokales Management und Führungskräfte auf den Umgang mit Gewerkschaftsaktivitäten sensibilisieren sollen. Darin wird beispielsweise versucht darzustellen, wie eine gewerkschaftliche Organisierung im Unternehmen Innovationen verhindern und die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen könne. Den lokalen Managements wird sogar dazu geraten illegale Drohungen auszusprechen, um gewerkschaftliche Strukturen zu vermeiden. In Presseaussendungen erklärt Amazon, selbst den direkten Kontakt mit den Beschäftigten zu suchen. Gewerkschaften wären dabei stets hinderlich und stören den effektiven Kontakt mit den MitarbeiterInnen.
Steuererleichterungen in Milliardenhöhe für Standorterrichtung
Amazon veranstaltete einen regelrechten Wettbewerb, als es um die Errichtung des neuen Headquarters ging. 200 amerikanische Städte nahmen daran teil. Um Amazon mit 50.000 neuen Arbeitsplätzen in ihre Region zu locken, versprachen sie Steuererleichterungen oder gar Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung. Das Unternehmen entschied sich letztlich dafür, das neue Headquarters auf zwei Standorte aufzuteilen. Einer davon war New York, wo Arbeits- und Gewerkschaftsrechte stärker verankert sind als in anderen Gegenden der USA.
Amazon hat bereits für die Errichtung der ersten New Yorker Niederlassung Steuererleichterungen von bis zu 1 Mrd. US-Dollar erhalten. Die Stadt hätte den Bau eines weiteren Amazon-Standortes erneut mit bis zu 3 Mrd. US-Dollar subventioniert. Das sahen viele kritisch. Selbst ein Finanzexperte der Stadt New York stellte den Deal öffentlich bei einer Pressekonferenz in Frage und kritisierte die enormen Steuererleichterungen für Amazon.
Studien zeigen, dass solche Unternehmenssubventionen unfair gegenüber anderen MarktteilnehmerInnen und insgesamt zwecklos sind. Denn sie führen gemessen an der Schaffung von Arbeitsplätzen zu keinen nennenswerten Unternehmensexpansionen. Die bundesstaatlichen und lokalen Regierungen in den USA geben dennoch jährlich mehr als 90 Mrd. US-Dollar aus, um im Standortwettbewerb attraktiver zu sein. Diese Summe ist höher als jene, die der US-amerikanische Staat jährlich für öffentlichen Wohnraum, Bildung oder die Infrastruktur ausgibt.
Gewerkschaftskampagne verhindert Fortsetzung übler Amazon Methoden in New York
RWDSU-Präsident Stuart Appelbaum bemängelte, dass das Unternehmen mit Milliarden an Zuschüssen überschüttet werde, dies aber an keine Bedingungen verknüpft sei, wie die Einhaltung von Arbeitsrechten oder die Möglichkeit der gewerkschaftlichen Organisierung. Mithilfe einer breiten Allianz ist es ihm gelungen, so viel Druck auf die Stadt New York aufzubauen, dass diese letztlich von Amazon verlangte, mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Daraufhin zog sich Amazon von seinen Plänen für New York zurück und beschuldigte die lokale Regierung sowie die Gewerkschaften, standortfeindlich zu agieren.
Für RWDSU war das ein Erfolg, aber vor allem deshalb möglich, weil sie versuchten neben den prekären Beschäftigungsverhältnissen auch weitere Auswirkungen dieser Standortansiedelung darzustellen. Darunter fallen beispielsweise die enormen Kosten, die für die Steuererleichterungen aufgewendet hätten werden müssen. Die Stadt New York kann dieses Geld nun beispielsweise in die marode Verkehrsinfrastruktur oder in den dringend benötigten Ausbau von Bildungseinrichtungen investieren. Dem betroffenen Stadtviertel bleiben Probleme wie steigende Mietpreise oder ein überhöhtes Verkehrsaufkommen erspart.
Amazon hat jedoch bereits einen anderen Standort für sein zweites Headquarter gefunden und dazu den südlichen US-Bundesstaat Virgina ausgewählt. Dieser erscheint dem Management aufgrund der weitaus schlechteren arbeitsrechtlichen Absicherung für Beschäftigte, den noch schwächeren gewerkschaftlichen Strukturen sowie den bereits genehmigten Steuererleichterungen in Höhe von 750 Millionen US-Dollar als attraktiv genug.
Amazon und Steuern
Amazon ist mittlerweile in diversen Branchen weltweit tätig. Das Unternehmen ist einer der größten online Händler, verfügt über den größten online Marktplatz für Drittanbieter, agiert als Warenzulieferer und und ist auch einer Anbieter von Webservices. Das Unternehmen hat im Jahr 2018 einen Gewinn von ca.11 Milliarden US-Dollar eingefahren. Der Vorstandsvorsitzende von Amazon konnte sich 2017 über ein Jahreseinkommen von über 900 Millionen Euro freuen. Das Unternehmen bezahlt in der EU durch einen vereinbarten Steuervorbescheid mit den luxemburgischen Behörden für 75 Prozent seiner Umsätze keine Steuern.
Amazon in Österreich
Seit Oktober 2018 gibt es auch in Österreich einen Amazon-Standort. Die Beschäftigten, die großteils über eine Leiharbeitsfirma beschäftigt sind, berichten von Überwachung, Disziplinierungsmaßnahmen und erniedrigenden Vorschriften und Arbeitsverdichtung. Die GPA-djp fordert eine angemessene und respektvolle Behandlung der Beschäftigten durch Amazon, ein Ende der Überwachung von Beschäftigten durch Amazon und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Dem Verteilerzentrum in Großebersdorf folgt nun auch ein Standort in Wien Liesing.