Sozialhilfe NEU: Regierung beschließt drastische Kürzungen

Grafik: GPA-djp Öffentlichkeitsarbeit, Lucia Bauer
Mit der Sozialhilfe neu werden die Beitragssätze für Kinder gekürzt. Ab dem 3. Kind werden nur mehr 5 Prozent der Basisleistung ausbezahlt. Das sind etwa 1,50 Euro pro Tag.
Grafik: GPA-djp Öffentlichkeitsarbeit, Lucia Bauer

Die Bundesregierung hat im Ministerrat am 13.03.2019 das Modell der Sozialhilfe Neu beschlossen. Sie wird die bisherige bedarfsorientierte Mindestsicherung ablösen und bedeutet für LeistungsbezieherInnen drastische Kürzungen.

Trotz der heftigen Kritik am Begutachtungsentwurf, insbesondere aufgrund der massiven Kürzungen für Familien mit mehreren Kindern sowie für ZuwanderInnen, hat die Bundesregierung im vorgelegten Gesetzestext kaum Änderungen vorgenommen. An der offensichtlichen Hauptstoßrichtung des Modells, Leistungsansprüche vor allem für Asylberechtigte einzuschränken, ändert sich nichts. Bei der Präsentation durch Kanzler und Vizekanzler wurde dies auch unverblümt klargemacht. Neben der Armutsbekämpfung will man vor allem die Verhinderung von Zuwanderung ins österreichische Sozialsystem bewirken und erwartet sich durch die neue Sozialhilfe eine Verbesserung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.

Die wenigen positiven Änderungen betreffen im Wesentlichen Klarstellungen, wonach der Bonus für behinderte Personen seitens der Länder verpflichtend zu leisten ist und der Anspruch auf Sozialhilfe auch für Personen nach einer Haftentlassung besteht. Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung in offensichtlicher Weise gleichzeitig versucht, Pläne der Stadt Wien für zusätzliche Leistungen, durch restriktivere bundesgesetzliche Vorgaben einzuschränken.

Aus Mindestsicherung wird Maximalsicherung

Durch die neue Sozialhilfe kehrt die Bundesregierung das System der Mindestsicherung um: Den Ländern werden Obergrenzen für die Höhe der Sozialhilfe vorgegeben, die diese bloß unter-, nicht jedoch überschreiten dürfen. Somit löst die Sozialhilfe die Mindestsicherung als Maximalsicherung ab.

Gar keinen Anspruch gibt es künftig für jene Personen, die sich länger als zwei Wochen im Ausland aufhalten, da dann der „tatsächliche und rechtmäßige Aufenthalt im Inland“ nicht mehr gegeben sei. LeistungsbezieherInnen werden damit faktisch in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt.

Der Kernpunkt der Sozialhilfe neu: Mehr Personen, weniger Geld

Ein zentrales Element bildet die massive Verschärfung der degressiven Ausgestaltung der neuen Sozialhilfe, die sich vor allem für Familien mit Kindern auswirkt.

Das erste Kind erhält maximal 25 Prozent der Basisleistung von 885,47 Euro und somit rund 220 Euro, das zweite Kind 15 Prozent, das dritte und jedes weitere Kind erhält bloß noch 5 Prozent der Basisleistung, das sind künftig nur rund 44 Euro pro Kind! Angesichts dieser extrem niedrigen Werte wird von ExpertInnen bereits die Verfassungskonformität der Sozialhilfe NEU in Zweifel gezogen. Der Verfassungsgerichtshof hat im März 2018 zur niederösterreichischen Mindestsicherung Stellung genommen und es als verfassungswidrig angesehen, dass die Mindestsicherung mit einem finanziellen Maximalbetrag unabhängig von der Anzahl der in einem Haushalt lebenden Personen gedeckelt wurde. Zwar würden die Lebenserhaltungskosten pro Person bei zunehmender Haushaltsgröße sinken, dennoch sei für jede einzelne Person im Haushalt ein finanzieller Aufwand gegeben. Ob 5 Prozent des Richtsatzes pro Kind vor diesem Hintergrund als sachlich anzusehen sind, ist mehr als zweifelhaft.

Der Verfassungsgerichtshof hat im März 2018 zur niederösterreichischen Mindestsicherung Stellung genommen und es als verfassungswidrig angesehen, dass die Mindestsicherung mit einem finanziellen Maximalbetrag unabhängig von der Anzahl der in einem Haushalt lebenden Personen gedeckelt wurde.

Es muss immer bedacht werden, dass die Bundesländer auch niedrigere Werte vorsehen können. Man kann also nicht davon ausgehen, dass die bundesgesetzlich vorgesehenen Leistungen dann auch landesgesetzlich in dieser Höhe umgesetzt werden. Wenn durch die nach wie vor im Raum stehende Abschaffung der Notstandshilfe künftig weitaus mehr Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sein werden, ergibt sich eine Kostenverschiebung zu Lasten der Länder. Laut WIFO-Schätzungen ist hier mit Zusatzkosten von rund 900 Millionen Euro zu rechnen. Daher kann diese finanzielle Belastung dazu führen, dass die Länder niedrigere Leistungen als die Höchstsätze vorsehen.

Dass aus Sicht der Regierung offenbar nicht jedes Kind gleich viel wert ist, zeigte sich bereits bei der Implementierung des „Familienbonus Plus“. So werden durch den Familienbonus vor allem gutverdienende Personen steuerlich begünstigt, schlecht verdienende Personen können den Familienbonus in vielen Fällen nicht in voller Höhe oder sogar überhaupt nicht zur Anrechnung bringen. Der Gedanke, wonach Kinder reicher Eltern belohnt und Kinder armer Eltern bestraft werden sollen, setzt sich nun durch die Ausgestaltung der Sozialhilfe fort.

Wohl um allzu laute Kritik an den Reformplänen zu vermeiden, sieht der Ministerratsbeschluss der Bundesregierung im Vergleich zu bisherigen Ankündigungen in der Vergangenheit kleinere Begünstigungen für AlleinerzieherInnen und Behinderte vor. So erhalten AlleinerzieherInnen etwas höhere Geldleistungen für ihre Kinder als Personen, die nicht alleinerziehend sind. Für Menschen mit Behinderung ist nun ein fixer Zuschlag in der Höhe von 159 Euro (für das Jahr 2019) vorgesehen. Bemerkenswert dabei ist, dass von der Anwendung des Bonus für Behinderte die Länder in ihren Ausführungsgesetzen nicht abgehen dürfen, demgegenüber muss der Bonus für AlleinerzieherInnen von den Ländern nicht zwingend ausgezahlt werden

Vermögenszugriff

Wenig geändert hat sich daran, dass, entgegen den ursprünglichen Beteuerungen der FPÖ, auch künftig vorhandenes Vermögen aufgebraucht werden muss, wenn Sozialhilfe bezogen wird. Lediglich der Freibetrag steigt von 4.315 Euro auf künftig 5.200 Euro; auf bestehendes Immobilieneigentum kann künftig nach drei Jahren zugegriffen werden. Durch die von der Regierung ebenfalls in Aussicht gestellte Abschaffung der Notstandshilfe in ihrer jetzigen Form wird das jedoch wesentlich mehr Menschen als bisher betreffen. So verfügen jene Personen, die derzeit Mindestsicherung beziehen, in aller Regel über kein wesentliches Vermögen, wohingegen jene Personen, die auf Vermögen zurückgreifen können, zu einem hohen Prozentsatz gar nicht erst Mindestsicherung bzw. nun Sozialhilfe beantragen.

Ungleichbehandlung von Fremden, Asylberechtigten und Menschen ohne Pflichtschulabschluss

Einer ursprünglich von der Bundesregierung ins Auge gefassten unmittelbaren Schlechterstellung von Asylberechtigten durch niedrigere Sätze hat der EuGH in einem die oberösterreichische Mindestsicherung betreffenden Fall eine Absage erteilt. In der bundesweiten Neuregelung der Mindestsicherung sollen nun jene Personen eine um über 300 Euro niedrigere Leistung erhalten, die keine ausreichenden Sprachkenntnisse (Deutsch B1 bzw. Englisch C1) nachweisen können. Zweifellos zielt diese Bestimmung ebenfalls darauf ab, Asylberechtigten und MigrantInnen den Zugang zur Mindestsicherung zu erschweren. C1 ist deutlich über Maturaniveau und setzt „sehr gute“ Sprachkenntnisse voraus.

Da die Pflicht zum Nachweis von Deutschkenntnissen auch über den Pflichtschulabschluss erfolgt, würde die Kürzung schätzungsweise auch etwa 40.000 ÖsterreicherInnen ohne Pflichtschulabschluss im Mindestsicherungsbezug treffen.

In zynischer Weise bezeichnet die Bundesregierung die Pflicht zum Nachweis von Sprachkenntnissen, um die Sozialhilfe in regulärer Höhe zu erhalten, als „Qualifizierungsbonus“. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch nicht um einen Bonus, sondern um eine Kürzung für alle jene Personen, die keine ausreichenden Kenntnisse nachweisen können. Dabei wird nicht eine Weigerung Deutsch zu lernen sanktioniert, sondern die mangelnde Sprachkenntnis an sich! Es werden durch die vorgesehene Regelung also auch jene Personen bestraft, die bisher schlicht keine Sprachkenntnisse erwerben konnten, weil die Bundesregierung die Mittel für Deutschkurse ebenfalls gekürzt hat. Da die Pflicht zum Nachweis von Deutschkenntnissen auch über den Pflichtschulabschluss erfolgt, würde die Kürzung schätzungsweise auch etwa 40.000 ÖsterreicherInnen ohne Pflichtschulabschluss im Mindestsicherungsbezug treffen. Nicht zuletzt sollen Sprachkenntnisse auch „durch persönliche Vorsprache bei der Behörde“ nachgewiesen werden können, wobei äußerst fraglich ist, wie in einer Gesprächssituation mit einem/einer SachbearbeiterIn bestehende Sprachkenntnisse überprüft werden sollen.

Im Entwurf zum Sozialhilfe-Statistikgesetz, der gleichzeitig mit der Sozialhilfe NEU beschlossen werden soll, ist geregelt, dass die Länder dem Bund (neben einer großen Zahl anderer Daten) auch bekanntgeben müssen, welche Staatsangehörigkeit die leiblichen Eltern der MindestsicherungsbezieherInnen besitzen. Dass dieses Detail abgefragt und eingemeldet werden muss, hat wohl zum Hintergrund, dass die Bundesregierung aufzeigen möchte, wie groß der Anteil von Menschen „mit Migrationshintergrund“ unter den MindestsicherungsbezieherInnen ist, um damit medial negative Stimmung zu erzeugen. Die MindestsicherungsbezieherInnen sollen also für das politische Narrativ der Bundesregierung herhalten.

Behauptung und Wirklichkeit

Das Zurückfahren der Mindestsicherung bzw. ihre Ablösung durch das neue System der Sozialhilfe, wird mit angeblich explodierenden Kosten argumentiert. Das ist jedoch in keiner Weise nachvollziehbar.

  • Die Ausgaben der Länder und Gemeinden für die Mindestsicherung betrugen im Jahr 2017 lediglich 977 Millionen Euro, somit weniger als 1 Prozent der jährlichen Sozialausgaben insgesamt.
  • Im Vergleich zum Jahr 2016 war eine bloß geringfügige Steigerung der Zahl der MindestsicherungsbezieherInnen von 0,1 Prozent zu verzeichnen.
  • Im Jahr 2017 wurden insgesamt 307.853 Personen durch die Mindestsicherung unterstützt, diese lebten in 121.503 „Bedarfsgemeinschaften“ (=Haushalten), die große Mehrheit davon, nämlich 85.696 Haushalte, nahmen die Mindestsicherung jedoch nur in Form des Teilbezugs in Anspruch, die Mindestsicherung machte also nicht das einzige Einkommen aus.
  • Im Schnitt wurde pro Haushalt (und nicht pro Person!) Mindestsicherung in der Höhe von nur 606 Euro monatlich bezogen, bei einem Paar mit vier oder mehr minderjährigen Kindern betrug dieser Wert im Schnitt lediglich 1.233 Euro.

Kürzung in der Mindestsicherung und Abschaffung Notstandshilfe ist Hartz IV

Angesichts dieser Zahlen erweist sich die neu geregelte Sozialhilfe insgesamt als Bestrafung für Menschen in Armut. In Verbindung mit der geplanten Abschaffung der Notstandshilfe in ihrer jetzigen Form (diese bleibe, so Vizekanzler Strache, lediglich „im System des Arbeitslosengeldes NEU erhalten“) und der Kürzung des Arbeitslosengeldes bei längerem Bezug, ergibt sich eine Spirale nach unten, was die soziale Absicherung betrifft. Der Mindestsicherung als letztes Netz in diesem System, wird von der Bundesregierung massiver Schaden zugefügt und der Weg in Richtung Hartz IV geebnet.

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