Ein offenes Ohr für 1500 KollegInnen

Foto: privat

Die Diplomsozialpädagogin Leyla Özkan verhandelt Kollektivverträge für den gesamten Sozialbereich. Im Gespräch mit KOMPETENZ erzählt sie, warum sie lieber ihrem „Gerechtigkeitswahn“ nachgehen wollte als in der Zahnarzt-Branche zu bleiben.

Ein offenes Ohr für ihre KollegInnen habe sie schon immer gehabt, erzählt Leyla Özkan. Trotzdem habe sie erst einige Jahre Erfahrungen im Betriebsrat gesammelt bevor sie dort landete, wo sie heute ist: Im Betriebsratsvorsitz der Volkshilfe Oberösterreich und im Verhandlungsteam des SWÖ. Damit verhandelt die gebürtige Tirolerin Özkan auch mit den ArbeitgebervertreterInnen Kollektivverträge für alle Angestellten in Sozial- und Gesundheitsberufen in ganz Österreich.

Eigentlich wollte die junge Leyla Özkan ja Zahnarztassistentin und später -technikerin werden, erzählt sie im Interview. Als sie dann tatsächlich in einer Zahnpraxis arbeitete soll ihr der Chef geraten haben sich auch im sozialen Bereich umzuhören: „Die Leute kommen zu uns um mit dir zu reden, nicht zur Zahnbehandlung.“ Offenbar war sie eine gute Zuhörerin.

Immer ein offenes Ohr

Den Tipp ihres Chefs nahm sie sich zu Herzen und auch das mit dem Zuhören blieb ihr. Özkan absolvierte ein Diplom in Sozialpädagogik, arbeitete in Innsbruck unter anderem ehrenamtlich im Frauenhaus. Mit ihrem Umzug nach Linz kam sie zur Volkshilfe Oberösterreich, wo sie im Flüchtlingsbereich begann. Einige Fortbildungen und Lehrgänge später, wollten die Leute immer noch mit ihr reden. Nicht nur KlientInnen, sondern auch die KollegInnen. „Ich sag’s mal so: Schon vor meiner Betriebsrats-Tätigkeit hatte ich immer ein offenes Ohr für meine MitarbeiterInnen“. Und weil sie schon immer die war, „die aufgesprungen ist, wenn was ist“ sei ihr nahegelegt worden sich doch im Betriebsrat einzubringen. Das habe sie dann im Jahr 2008 auch getan. Und ist dann auch dabei geblieben. 2017 wurde Leyla Özkan zur Betriebsratsvorsitzenden der Volkshilfe Oberösterreich gewählt. Damit wurde sie Sprachrohr für über 1500 KollegInnen, die im ganzen Bundesland bei der Volkshilfe tätig sind.

„Ich sag’s mal so: Schon vor meiner Betriebsrats-Tätigkeit hatte ich immer ein offenes Ohr für meine MitarbeiterInnen“

Leyla Özkan

Die Zuständigkeit ihres Arbeitgebers ist sehr breit angelegt. Die Volkshilfe beschäftigt auf der einen Seite JugendassistentInnen, die Jugendlichen am Weg zum ersten Job zur Seite stehen, aber auch ArbeitsassistentInnen, Mobile Begleitung, Wohnen etc. die Menschen mit Beeinträchtigung unterstützen. Sie betreibt Second Hand-Shops, Sozialmärkte und Reparaturcafes, wo Menschen vorübergehend Arbeit finden, die sich am normalen Arbeitsmarkt (noch) schwer tun, die sogenannten TransitmitarbeiterInnen. Der größte Bereich mit rund 600 MitarbeiterInnen aber läuft unter „GSD“, Gesundheit und Soziale Dienste. Der umfasst nicht nur die 24-Stunden Pflege und Mobile Pflege und Betreuung, Hauskrankenpflege, sondern auch ein Demenzzentrum, Logopädie, Haushalt- und Bügelservice, Kindergarten, Hospiz, Kinder- und Jugendtreffs, Beratung und Betreuung erzählt Özkan. Als Betriebsrätin vertritt sie aber auch all jene Angestellten, die in der Verwaltung der Volkshilfe arbeiten.

Gegen Widerstände

Für ihre Arbeit im Betriebsrat ist Leyla Özkan heute freigestellt – und damit auch ziemlich beschäftigt. Eine Arbeit, die ihr Spaß macht. Mindestens genau so wichtig aber ist es im Betriebsrat Reibungen auszuhalten, erzählt sie. „Es ist einfach meine Arbeit, etwas für meine KollegInnen durchzusetzen. Widerstände darf man da nicht persönlich nehmen.“ Schon gar nicht zu Herzen nehmen darf man sich Widerstände bei den Verhandlungen zum Kollektivertrag, wo Özkan die Beschäftigten des Verbands der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen vertritt. Seit einigen Jahren schon verhandelt sie den Kollektivvertrag mit.

„Es ist einfach meine Arbeit, etwas für meine KollegInnen durchzusetzen. Widerstände darf man da nicht persönlich nehmen.“

Leyla Özkan

Aktuell befindet sie sich im „kleinen Team“, das direkt mit den ArbeitgebervertreterInnen zusammen trifft. Entscheidungen dürften nur gemeinsam mit dem „großen Team“ getroffen werden. Vor zwei Wochen begannen die Verhandlungen. Özkan und ihre KollegInnen traten mit einer Forderung von +15 Prozent Lohn und einer Einmalzahlung über 350 Euro an, eine Runde habe schon stattgefunden. „Die Reaktionen der Arbeitgeber auf unsere Forderung waren schon ein bisserl erstaunt.“ Viel mehr darf Leyla Özkan aber zum Inhalt der Treffen nicht erzählen. Klar ist nur, dass sie das nächste Mal am 16. November mit den Arbeitgeber-VertreterInnen zusammenkommen wird. Die Tätigkeit als Verhandlerin finde sie „unglaublich spannend“, sagt sie. Es sei zwar eine große Aufgabe, mit viel Vorbereitung und Verantwortung, aber: „Ich bin stolz dabei sein zu können.“

Unsoziale Rahmenbedingungen

Bis auf Weiteres bleibt es spannend, was Özkans Verhandlungsteam den ArbeitgeberInnen abringen kann. Darüber hinaus bleibe im Sozialsektor noch viel zu erreichen. „Insbesondere im Pflegebereich muss was weitergehen“, findet Özkan. Dort spüre man den Fachkräftemangel schon seit geraumer Zeit. Es gebe wenige neue Bewerbungen, immer wieder werfen KollegInnen das Handtuch. Schon vor der Pandemie mussten sie viel einspringen und hatten sehr wenig Zeit für sich privat. Corona hat die Situation dann noch massiv verschärft. „Viele KollegInnen sind schon wirklich fertig. Der Sozialbereich wird einfach zu wenig wertgeschätzt.“ Leyla Özkan wünscht sich nicht nur Beifallklatschen, sondern konkret „mehr Budget und bessere Rahmenbedingungen.“

„Viele KollegInnen sind schon wirklich fertig. Der Sozialbereich wird einfach zu wenig wertgeschätzt.“

Leyla Özkan

Der Sparkurs im Sozialbereich sei auch der Grund warum dort viel mehr Frauen arbeiten würden. Es gebe kaum Vollzeitstellen. Mit 20 oder 25 Stunden verdiene man aber zu wenig um eine Familie zu erhalten. „Eigentlich traurig, dass Frauen dann damit auskommen sollen.“

Schon seit der Kindheit werde Özkan von einem Sinn für Gerechtigkeit geleitet, was sich bis heute durchzieht, und zwar nicht nur in der Arbeit, sondern auch in ihrer Freizeit. Geht sie nicht gerade zum Ausgleich spazieren, liest sie Bücher, in denen es auch oft im Gerechtigkeit im weitesten Sinne geht, wie sie sagt. Was Leyla Özkan mit ihrem „Gerechtigkeitswahn“ bei den SWÖ-KV-Verhandlungen erreichen kann, wird in den nächsten Wochen noch zu beobachten sein.

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