„Ein guter Abschluss muss ein wenig weh tun.“

Foto: Edgar Ketzer

Warum sind Kollektivverträge (KV) so wichtig und wie genau laufen KV-Verhandlungen ab? Wir haben bei Eva Scherz nachgefragt: Im Interview erzählt sie aus ihrer langjährigen Erfahrung als Verhandlerin großer Kollektivverträge in der Gewerkschaft GPA. Der KV neu erklärt, mit einem Blick hinter die Kulissen.

KOMPETENZ: Der Kollektivvertrag und die KV-Verhandlungen sind das Herzstück der Gewerkschaftspolitik. Was beinhaltet so ein Kollektivvertrag eigentlich?

Eva Scherz: Ein Kollektivvertrag – kurz „KV“ – schreibt die Rechte von ArbeitnehmerInnen fest. Die Mindestanforderungen an einen KV sind schnell aufgezählt: als Vertrag muss er Zeit und Geld regeln. Oder, anders gesagt: Wie viel Arbeitszeit schulde ich, wieviel bekomme ich dafür ausbezahlt?

KOMPETENZ: Wir haben doch ohnehin Gesetze wie z.B. das Arbeitszeitgesetz. Wozu brauchen wir da noch zusätzlich den Kollektivvertrag?

„In Österreich wirken Kollektivverträge übrigens wie Gesetze, sie sind Gesetzen de facto gleichgestellt.“

Eva-Scherz

Eva Scherz: Obwohl wir natürlich über gesetzliche Grundlagen wie eben das Arbeitszeitgesetz usw. verfügen, kann ein Kollektivvertrag auf spezifische Anforderungen einer Branche deutlich besser eingehen. So kann ein KV einzelne Berufsgruppen abbilden, bestimmte Anforderungen definieren und regeln, auch Zulagen werden geregelt, oder auch spezielle Situationen wie z.B. arbeiten in der Nacht. Die einzelnen Branchen unterscheiden sich eben oft sehr stark, und daher braucht es Regelungen, die über die allgemeine gesetzliche Grundlage hinausgehen. Natürlich hängt auch die im KV vereinbarte Bezahlung von den Möglichkeiten der jeweiligen Branche ab.

In Österreich wirken Kollektivverträge übrigens wie Gesetze, sie sind Gesetzen de facto gleichgestellt.

KOMPETENZ: Wie viele Kollektivverträge verhandelt die Gewerkschaft GPA und wie oft wird verhandelt?

Eva Scherz: Die GPA verhandelt rund 175 Kollektivverträge im Jahr. Die meisten davon werden jährlich verhandelt, nur in Ausnahmefällen ist die Laufzeit eines Kollektivvertrags länger. Eine längere Laufzeit kann vorkommen, wenn es in einer Branche nur wenige BetriebsrätInnen gibt.

In der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) gab es im Coronajahr 2020 einen 3-Jahresabschluss, das war allerdings die absolute Ausnahme und wird auch eine bleiben. Wir wollten eine Arbeitszeitverkürzung erreichen und waren damit erfolgreich: Seit Jänner beträgt die Arbeitszeit in der Branche um eine Stunde weniger.

Jährlich zu verhandeln ist deshalb wichtig, damit Gehaltserhöhungen immer zeitnah an der Teuerung sind. Es spielt hier aber auch die Gewohnheit eine Rolle: viele ArbeitnehmerInnen rechnen mit jährlichen Gehaltserhöhungen. In Deutschland ist das z.B. anders, da gibt es in etlichen Branchen Zweijahresverträge.

KOMPETENZ: Wer sitzt sich beim Verhandeln eines Kollektivvertrags gegenüber?

Eva Scherz: Die ArbeitgeberInnen treffen auf die ArbeitnehmerInnen. Auf der ArbeitnehmerInnenseite sind das GewerkschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen. Bei den ArbeitgeberInnen können das in der WKO organisierte ArbeitgeberInnen sein, oder freiwillige Verbände und VertreterInnen von Verbänden, wie z.B. der Bankenverband oder die Sozialwirtschaft.

KOMPETENZ: Wie laufen solche Verhandlungen ab? Wer ist Teil der Verhandlungsteams?

Eva Scherz: Auf Seite der ArbeitnehmerInnen sind, wie gesagt, GewerkschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen in den Teams. Die Größe der Teams hängt wiederum von der Größe der jeweiligen Branche ab.

In großen Bereichen haben wir immer große Teams, umso mehr, wenn nicht nur eine, sondern zwei Gewerkschaften verhandeln wie z.B. in der Metallbranche. Auch die Sozialwirtschaft Österreich ist eine große Branche mit entsprechend großen Teams. Da verhandeln wir für 95.000 Beschäftigte, mit der Satzung kommen dann noch mal 30.000 dazu, und darüber hinaus hat dieser KV und sein Abschluss Auswirkungen auf etliche kleinere Kollektivverträge, von Caritas, Diakonie, Rotem Kreuz, u.a.m. Insgesamt umfasst der Bereich rund 200.000 Beschäftigte.

Bei solchen großen Runden ist es sinnvoll, wenn es ein großes Team, ein mittleres Team, und ein Kleinstteam gibt. Oft wird auch in Unterausschüssen vorbereitet und verhandelt. Ein Kleinstteam, das können auch nur eine oder zwei KollegInnen sein. Wir nennen das dann ein bisschen selbstironisch die „Kopierkammerlfraktion“, weil sich ein so kleines Team auch auf ganz kleinem Raum treffen kann.

KOMPETENZ: Wie lange dauern KV-Verhandlungen normalerweise?

Eva Scherz: In kleineren Bereichen kann es sein, dass wir uns gleich nach der ersten Runde einigen können, wenn sich die beiden Teams schon länger kennen und eine gute Tradition haben beim Verhandeln.

Aber an sich gibt es da keine Regel. Es hängt von der Größe der Verhandlungsteams und ihrer Gesprächskultur ab. Diskussionen in einzelnen Gruppen können länger dauern, auf beiden Seiten.

Auch der Start der Verhandlungen läuft unterschiedlich ab. In der Metallbranche gibt es traditionell eine öffentliche Forderungsübergabe der ArbeitnehmerInnen an die ArbeitgeberInnen. Im Handel wiederum ist es üblich, die Verhandlungen mit einer großen BetriebsrätInnen-Konferenz zu beginnen.

KOMPETENZ: Was ist aus deiner Sicht bei einer KV-Verhandlung wichtig?

„Respekt für sein Gegenüber ist ganz wichtig! Der andere ist nicht mein Gegner, sondern vertritt ebenso die Interessen seiner Mitglieder wie ich.“

Eva Scherz

Eva Scherz: Drei Dinge, nämlich gute Vorbereitung, ein gutes Team und gute Rahmenbedingungen vor Ort. Warum die Vorbereitung wichtig ist, liegt auf der Hand. Was das Team angeht, so finde ich Teams aus möglichst unterschiedlichen Personen ideal. Natürlich kann das, wenn zu extreme Persönlichkeiten aufeinanderprallen, auch zu Problemen führen. Der sprichwörtliche Choleriker auf Arbeitgeberseite ist natürlich nicht von Vorteil.

Mit guten Rahmenbedingungen vor Ort meine ich ganz grundlegende Dinge wie Unterbringung und Verpflegung, alles, was zum Wohlbefinden beiträgt. Die FunktionärInnen brauchen einen Arbeitsplatz, ab und zu sollte man raus an die frische Luft gehen können, RaucherInnen wollen mal eine Zigarettenpause, usw. Viele Verhandlungen finden in den Räumlichkeiten der WKO statt, weil es dort ausreichend Platz gibt. Auch der ÖGB Catamaran bietet gute Räumlichkeiten. Manchmal gibt es nur Würstel und Getränke, manchmal ein ganzes Menü. Ich persönlich freue mich immer schon sehr auf die nette Verpflegung bei den Verhandlungen der Elektro- und Elektronikindustrie.

Noch etwas möchte ich hinzufügen: Respekt für sein Gegenüber ist ganz wichtig! Der andere ist nicht mein Gegner, sondern vertritt ebenso die Interessen seiner Mitglieder wie ich.

KOMPETENZ: Wenn man sich nicht einigen kann, wann werden Kampfmaßnahmen eingesetzt?

Eva Scherz: Ob und welche Kampfmaßnahmen man sich wann überlegt, das hängt von der Branche und vom Organisierungsgrad ab. Kampfmaßnahmen, das ist ein weiter Begriff und kann ganz viele Dinge beinhalten! In manchen Branchen kann schon eine Presseaussendung Druck erzeugen, in anderen Branchen nur ein Streik.

Zwischen diesen beiden Maßnahmen liegt sehr viel dazwischen: Infos an Beschäftigte oder öffentliche Betriebsratssitzungen können z.B. während Verhandlungen schon deutliche Zeichen setzen. Eine andere Möglichkeit sind große BetriebsrätInnenkonferenzen. Dann können wir öffentliche Kundgebungen organisieren, Warnstreiks, und eben auch, wenn es sein muss, längere Streiks.

KOMPETENZ: Wann ist es für dich ein guter Abschluss?

„Ob ein Abschluss letztlich angenommen wird oder nicht, das entscheidet immer das Verhandlungsteam.“

Eva Scherz

Eva Scherz: Ich sage immer: Ein guter Abschluss ist es dann, wenn es beiden Seiten ein wenig weh tut! Zu Ende der Verhandlungen euphorisch rauszugehen würde sich komisch anfühlen. Ob ein Abschluss letztlich angenommen wird oder nicht, das entscheidet immer das Verhandlungsteam. Jede Betriebsrätin und jeder Betriebsrat hat eine Stimme im Team und kann sich entsprechend einbringen.

KOMPETENZ: Welche Kollektivverträge verhandelst du, Eva? Welcher kommt als nächstes dran?

Eva Scherz: Meine nächste große Verhandlungsrunde wird im Frühjahr stattfinden, ich bin Verhandlerin bei der Elektro- und Elektronikindustrie. Dort vertreten wir ca. 50.000 ArbeitnehmerInnen, und zwar ArbeiterInnen und Angestellte.

Diese Branche hat zwei Besonderheiten: erstens gibt es die sogenannte Freizeitoption. Das bedeutet, die Beschäftigten haben die Wahl zwischen einer Gehaltserhöhung oder eben mehr Freizeit. Zweitens gibt es in der Elektro- und Elektronikindustrie das Leistungsvolumen. Dabei gibt es zusätzliche jährliche Gehaltserhöhungen, die im Betrieb mit der Mitsprache des Betriebsrates individuell verteilt werden, eine wirklich tolle Sache!

Mein anderer richtig großer Bereich ist die Sozialwirtschaft Österreich, das ist ein Kollektivvertrag, der mir sehr am Herzen liegt. Ich verhandle darüber hinaus auch kleinere Kollektivverträge aus dem Sozialbereich, dazu gehören die Mobilen Dienste Steiermark, das Rote Kreuz oder der SOS Kinderdorf-KV.

Jeder Bereich bringt unterschiedliche Herausforderungen, jede Branche hat interessante Seiten. Beim Start der Verhandlungen bin ich immer optimistisch, das braucht man einfach! Das einzige, was ich nicht so gern mag, sind Nachtverhandlungen.

KOMPETENZ: Du verhandelst als Frau Kollektivverträge in Männerbranchen wie der Elektroindustrie, ist das eine zusätzliche Herausforderung?

Eva Scherz: Als ich angefangen habe, war ich in etlichen Verhandlungsteams die einzige Frau, zum Beispiel in der chemischen Industrie, und ja, auch beim Elektro- und Elektronik-Kollektivvertrag. Viele Teams sind nach wie vor männlich dominiert, aber das ändert sich nach und nach.

Und es gibt eben auch weiblich dominierte Branchen wie die Sozialwirtschaft, dort sind im Verhandlungsteam überwiegend Frauen vertreten. Wir in der GPA haben außerdem schon seit Jahren ein sehr fortschrittliches Quotensystem, das die Mitglieder der Branchen in den Verhandlungsteams abbildet.

Ebenso wie es zu wenig Frauen in der Politik und zu wenig weibliche Führungskräfte gibt, so ist es auch hier so, dass der Zeitaufwand, den ein gewerkschaftliches Engagement verlangt, für Frauen oft zu viel ist. Ich bin aber, was die Zukunft angeht, zuversichtlich: Die jungen Kolleginnen sind sehr selbstbewusst und werden sich durchsetzen!

Wo finde ich meinen Kollektivvertrag? 

Dein Kollektivvertrag muss auf deinem Dienstzettel ausgewiesen sein und in deinem Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen. Du kannst ihn aber auch bei deiner Gewerkschaft GPA bekommen oder beim Betriebsrat. Alle Infos über deinen Kollektivvertrag und den Stand der aktuellen Verhandlungen findest du auch hier

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