Nicht nur Österreich leidet darunter, dass die Konjunktur nicht anspringt. Nahezu alle Industrieländer kämpfen gegen eine Wirtschaftsflaute an. Der Welt sind die innovativen Ideen ausgegangen, glauben immer mehr Ökonomen.
Erstmals in der Nachkriegszeit lag das Wirtschaftswachstum in Österreich zwischen 2012 und 2015 vier aufeinanderfolgende Jahre unter einem Prozentpunkt. Deshalb tobt unter Ökonomen eine heftige Debatte darüber, was die Ursache für diese Misere ist. Hindert die Bürokratie Unternehmen daran durchzustarten? Sind die Schulden zu hoch, oder wurde im Gegenteil zu viel gespart?
Das Problem an diesen Erklärungsversuchen ist, dass lokale Ursachen für ein globales Problem gesucht werden. Denn das Wachstum enttäuscht nicht nur in Österreich. In weiten Teilen Europas herrscht seit Jahren Flaute. In Japan liegt das Wachstum bei null. Kanada schwächelt, zuletzt auch die USA. So gibt es Wissenschafter, die meinen, die Industrieländer leiden in Wahrheit an einer anderen Krankheit: Ihnen sind die innovativen Ideen ausgegangen.
Keine große Entdeckungen
Das US-Magazin Inc wollte zu Jahresbeginn von Risikokapitalgebern wissen, welche Firmen aus dem Silicon Valley 2016 durchstarten werden. Unter die Top-Ten der innovativsten Firmen schaffte es Juicero. Das Start-up verkauft eine neuartige Saftpresse, die sich mit dem Internet verbinden lässt und dabei Rezepte lernt. Nimmt man das Ergebnis dieser Befragung als Maßstab, hat die Weltwirtschaft tatsächlich ein Problem. Zu den großen Entdeckungen vergangener Jahrhunderte zählten der Verbrennungsmotor und die Elektrizität. Und was kommt heute aus dem Silicon Valley, dem innovativsten Flecken der Erde? Onlineentsafter.
Der US-Ökonom Robert Gordon hat für die Anhänger der wachstumspessimistischen Denkschule eine Bibel geschrieben. In seinem 2016 erschienenen Werk „The Rise and Fall of American Growth“ argumentiert der Wissenschafter von der Northwestern University in Chicago, dass wir den hohen Lebensstandard der Gegenwart einer kurzen Periode zwischen 1870 und 1940 zu verdanken haben. In diese Zeit fallen Erfindungen wie Eisenbahn, Elektrizität und Verbrennungsmotor. Dank des Automobils konnten Unternehmen Märkte erschließen, die bis dahin außerhalb ihrer Reichweite waren. Durch neue Massenprodukte wie Waschmaschinen reduzierte sich der Aufwand für die Hausarbeit und den Menschen blieb mehr Zeit, produktiv tätig zu werden. All das trug zum rasanten Produktivitätswachstum bei. Doch ab den 1970er-Jahren reduzierten sich die Zuwachsraten in den USA.
Sieht man sich die Entwicklung der totalen Faktorproduktivität (TFP) in Österreich an, ergibt sich ein ähnliches Bild. Mit TFP messen Ökonomen den technischen Fortschritt. In Österreich stieg die TFP zwischen 1961 und 1970 im Schnitt um 3,3 Prozent pro Jahr an. Die zwei Jahrzehnte darauf waren es nur noch 1,3 und ein Prozent pro Jahr. Vor Ausbruch der Finanzkrise lag das Produktivitätswachstum kaum über der Nulllinie.
Produktivität stagniert
Die dritte industrielle Revolution, die digitale, hat zur materiellen Wohlstandsvermehrung kaum beigetragen. Internet und E-Mail haben die Produktivität der Industrieländer nur kurz zwischen 1994 und 2004 erhöhen können. Spätere Neuerungen wie das Smartphone, Facebook und Tablets machen sich in den Statistiken nicht bemerkbar. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Die meisten Innovationen betreffen Unterhaltung und Kommunikation, spielen also in der Produktion kaum eine Rolle. Die digitale Revolution hat das Konsumverhalten weniger beeinflusst, als man annimmt. Laut Statistik Austria gibt ein Haushalt im Schnitt gerade 3,7 Prozent seines Einkommens für Mobiltelefone, Internet und Co. aus. Die OECD argumentiert in einem neuen Bericht, dass die wachsende Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen mitschuldig an der Entwicklung ist. Seit den 80er-Jahren geht die Kluft zwischen Arm und Reich auf. Am unteren Ende der Einkommensskala kämpfen Menschen mit Reallohnverlusten. Dies führe dazu, dass es mehr und mehr Eltern schwer fällt, Geld in die Ausbildung und Förderung ihrer Kinder zu investieren. Kreative Köpfe gehen somit der Gesellschaft verloren.
Die OECD empfiehlt verschiedene Maßnahmen, etwa die verstärkte Förderung benachteiligter Kinder, damit die Ideenmaschine wieder anspringt. Technologiepessimisten wie Gordon sagen hingegen, dass die Zeit der großen Erfindungen vorbei ist. Nichts lasse darauf schließen, dass 3-D-Drucker oder Roboter ein ähnliches Potenzial entfalten werden wie das Automobil oder die Elektrizität. Das Wachstum wird nicht zurückkehren. Allerdings muss das kein Problem sein. Statt nach mehr materiellem Wohlstand zu streben, wäre es in der Leseart eines Gordons möglich, auszukommen mit dem was ist.
Auch Ökonomen wie Karl Aiginger, der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, glauben, dass es sich in eine Post-Wachstumsgesellschaft gut leben lassen könnte. Um die Verteilungskämpfe zu bewältigen, bräuchte es neue Lösungsansätze. Liegt das Wachstum unter zwei Prozent, steigt die Arbeitslosigkeit. Dem müsste nicht so sein. Aiginger ist ein Befürworter von Arbeitszeit-Umverteilung. Besonders für Besserverdiener wäre es eine Option, weniger zu arbeiten und statt Lohnerhöhungen mehr Freizeit zu bekommen. In einigen Kollektivverträgen sind solche Modelle bereits vorgesehen und werden auch genutzt.
Wohin wollen wir?
Aiginger glaubt, dass viele junge Menschen für die neue Zeit bereit sind, weil sie ohnehin andere Ziele verfolgen als Wohlstandsvermehrung. Aber will die Gesellschaft die Transformation mitmachen? Das Streben nach Wachstum hat in den vergangenen Jahrzehnten große menschliche Energien freigesetzt. Nimmt man den Leuten die alten Ziele weg, ohne sie zu ersetzen, wird das Frustration auslösen. Also bräuchte es neue Zielsetzungen. Ideen gibt es genug. So könnte die neue Ideologie darin bestehen, die globale Armut besser zu bekämpfen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und die globale Umweltzerstörung zu stoppen. Wahrscheinlich bräuchte es jemanden, der den Anstoß für die notwendigen Debatten gibt, damit wir als Gesellschaft eine wichtige Frage klären, nämlich wohin wir überhaupt wollen.
Der Jurist und Politologe András Szigetvari ist Redakteur bei der Tageszeitung Der Standard.