Auf einer honduranischen Insel arbeiten internationale InvestorInnen an der Verwirklichung eines marktradikalen Utopia. Welche Rolle die FPÖ-nahe Ökonomin Barbara Kolm dabei spielt, wird nun vor Gericht verhandelt.
Anfang Oktober vergangenen Jahres setzt die Journalistin Patrice Fuchs einen Tweet ab. Insgesamt 18 „Likes“ bekommt sie dafür, keine große Sache. Bis ein Brief von der im Tweet kritisierten Barbara Kolm ins Haus flattert. Kolm ist Leiterin des marktradikalen „Friedrich August von Hayek Instituts“, ehemalige FPÖ-Politikerin und Vizepräsidentin der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Am Donnerstag, den 20. Mai 2021 wird die Causa zum dritten Mal vor Gericht verhandelt.
Fuchs ist Filmschaffende, Bloggerin und engagiert sich in der Gewerkschaft für Selbständige. Im betreffenden Tweet kritisiert sie Kolm, sie baue „gerade für Libertarians aus aller Welt eine Luxus-Steueroase“ in Honduras mit auf. Im Zuge von Protesten gegen das Projekt sei bereits eine Menschenrechtsaktivistin ermordet worden, heißt es in dem Post weiter. Darunter verlinkt Fuchs einen Beitrag, der sich detailliert mit dem Projekt „Próspera“ auseinandersetzt.
Demokratie vs. Rechtsstaat
In Honduras, genauer gesagt auf der Karibikinsel Roatán, soll mit „Próspera“ eine der weltweit ersten sogenannten „Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung“ (ZEDE) entstehen. Aus diesen Zonen zieht sich der Staat nahezu vollständig zurück und überlässt die Enklave internationalen InvestorInnen, welche über Steuersystem, Arbeitsrecht, Strafvollzug und Sicherheitsbehörden entscheiden. ZEDEs sind eine Art privater Staat im Staat, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dem Profitstreben weichen müssen.
Auf der Homepage des Projekts buhlen die Betreiber mit günstigen Investitionsbedingungen und einer Rechtsprechung, die hohe Gewinne garantiere, um InvestorInnen. Insgesamt soll die Steuerlast nicht mehr als 7,5 Prozent betragen. Doch als Fuchs das Projekt als „Steueroase“ bzw. „Luxus-Steueroase“ betitelte, ging Kolm via Anwalt medienrechtlich gegen die Journalistin vor.
Für das marktradikale Pilotprojekt sollte eigens die honduranische Verfassung geändert werden. Nachdem sich die HöchstrichterInnen im Oktober 2012 gegen die Novelle stellten, wurden diese just ausgetauscht. Wenige Monate nach der Neubesetzung des Verfassungsgerichts war Próspera beschlossene Sache. Es gilt als eines der Lieblingsprojekte von Präsident Juan Orlando Hernández, der 2009 an die Macht putschte; in einem Land, das einer der höchsten Mordraten weltweit aufweist und Staat und organisierte Kriminalität eine tödliche Symbiose bilden.
Federführend sind der deutsche Unternehmer Titus Gebel und die Unternehmensberatungsfirma Ernst & Young an der Umsetzung der ZEDE beteiligt. Gemanagt wird die Enklave vom Unternehmen Honduras Próspera LLC im US-Bundesstaat Delaware. Nachdem lokale Proteste den Projektstart verzögerten, wird die Realisierung just seit dieser Woche wieder forciert.
„Ein Projekt, das gegen das honduranische Volk gerichtet ist“
„Unsere Position hierzu ist klar“, sagt der honduranische Gewerkschafter Joel Almendares: „Das ist der Ausverkauf unserer Souveränität, der Ausverkauf unserer Souveränität an das internationale Kapital“. Im Gespräch mit der KOMPETENZ schildert Almendares Enteignungen und Vertreibungen der dort lebenden indigenen Bevölkerung, strukturelle Menschenrechtsverletzungen. Er spricht von einem „Projekt, das gegen das honduranische Volk gerichtet ist“. Dass die Sonderwirtschaftszone allen HonduranerInnen zu Gute kommt, für Arbeitsplätze und Wohlstand im Land sorge, wie das auf der Próspera-Website angepriesen wird, hält der Gewerkschafter für eine Farce. Arme werden dort entrechtet und ausgebeutet, während sie sich das Wohnen auf der Luxusinsel nie werden leisten können.
„Der Neoliberalismus“, kritisiert die stellvertretende GPA-Bundesgeschäftsführerin Agnes Streissler-Führer, „ist eine Ideologie, die unter Vorspiegelung angeblicher wirtschaftlicher ‚Naturgesetze‘ rein dem Interesse und dem Machterhalt einiger Weniger dient“. Dazu zähle, dass sich Demokratien den Märkten und deren Mechanismen unterordnen. „Sonderwirtschaftszonen sind dabei ein besonders drastisches, aber strukturimmanentes Beispiel dieses profitorientierten und antidemokratischen Konzepts“, so Streissler-Führer.
Zur Umsetzung eines solchen marktradikalen Utopia wurde ein internationales BeraterInnengremium installiert, eine Art Aufsichtsrat mit dem Namen „Komitee zur Anwendung guter Praktiken“ (CAMP). Neben einigen Ex-BeraterInnen des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan wurde auch Kolm von Präsident Hernández ins Komitee berufen. Welche Rolle sie in dem Gremium spielt und ob sie dort nach wie vor aktiv ist, ist im Detail unklar, jedoch war diese Rolle bis mindestens Mai 2019 auch auf der Website des Hayek-Instituts ausgewiesen. Medienberichten zufolge übte sie das Amt bis mindestens 2018 aus, zeitgleich also zu ihrer Funktion als OeNB-Vizepräsidentin.
Kolm sprach sich in einem Interview mit der Wiener Zeitung 2014 gegen die Schließung von Steueroasen aus, da diese „für ein Minimum an Steuerwettbewerb sorgen“. Außerdem stehe es jedem „Staat frei, Sonderwirtschafts- oder Freihandelszonen einzurichten“, um für InvestorInnen attraktiv zu bleiben. Doch Próspera will sie offenbar nicht als „Steueroase“ bezeichnet wissen.
Über jeden Zweifel erhaben?
Kolms Klage gegen Fuchs wurde in erster Instanz abgewiesen. Doch nach einer Berufung entschied das Wiener Oberlandesgericht (OLG), Fuchs‘ Vorwurf, Kolm beteilige sich am Aufbau einer „Steueroase“, sei ehrenrührig, was so viel heißt wie verleumdend. Begründung: als Vizepräsidentin der Oesterreichischen Nationalbank werde Kolm „insbesondere auch in steuerlichen Belangen ein absolut untadeliges, über jeden Zweifel erhabenes Verhalten abverlangt“.
Nach dem OLG-Urteil sammelte Fuchs innerhalb weniger Tage mehrere Tausend Euro, um den Prozess weiterfinanzieren zu können. Denn klein beigeben will sie keinesfalls: „Wenn eine ehemalige FPÖ-Politikerin und öffentliche Person auf Honduras an einer Niedrigsteuer-Zone mitwirkt, gehört das öffentlich diskutiert“, betont sie auf KOMPETENZ–Nachfrage. Fuchs vermutet, es handelt sich bei Kolms Vorgehen um eine Einschüchterungsklage, um Berichterstattung über ihr Engagement in Honduras zu unterdrücken.
Ob diese Strategie aufgeht, ist fraglich. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Klage mehr medialen Wirbel verursacht als die lamentierte Aussage selbst.