Kollektivvertragsverhandlungen in Zeiten steigender Inflation

Foto: Adobe Stock

Aktuell vergeht kaum ein Tag an dem man nicht sowohl in heimischen als auch internationalen Medien von steigenden Preisen und den vielen damit verbunden Ängsten um ein leistbares Leben liest.

Die Sorgen sind aufgrund der derzeitigen Inflationsraten der letzten Monate verständlich und berechtigt. Um die Inflation und deren Treiber in der derzeitigen Situation besser einordnen zu können, ist es wichtig zu verstehen, wie die Preissteigerung gemessen wird und welche Kritikpunkte es dabei gibt. Klar ist, die Entwicklung der Preise hat einen direkten Einfluss auf jede/n und nimmt daher einen wichtigen Faktor in den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen ein, damit bei ArbeitnehmerInnen auch wirklich reale Lohnerhöhungen ankommen.

Wir wird Inflation gemessen? Ist Inflation für jeden gleich?

Zuständig für die Erhebung und Berechnung der Inflation ist die Statistik Austria, wobei verschiedene Methoden für die Messung der Preissteigerung zur Anwendung kommen. Alle haben gemein, dass dafür ein so genannter repräsentativer Warenkorb ausgewählt wird, dessen Komponenten monatlich verfolgt werden. Diese monatlichen Preise werden mit demselben Monat des Vorjahres verglichen, um die Steigerung zu messen. Die Auswahl und Gewichtung der Produkte in diesem Warenkorb erfolgt anhand der durchschnittlichen Haushaltsausgaben in Österreich, welche in der Konsumerhebung alle 5 Jahre erhoben werden.             
Der bekannteste und am meisten genutzte Indikator ist der Verbraucherpreisindex – VPI. Im VPI wird die Verbraucherpreisentwicklung von mehr als 750 Gütern und Dienstleistungen verfolgt, darunter Lebensmittel, Bekleidung, Kosten für Mieten, Energie, Gesundheit, Bildung und Freizeit.     
Da es sich um durchschnittliche Anteile an den Haushaltausgaben handelt, ist der VPI nicht dazu geeignet die steigenden Kosten für jede/n Einzelne/n genau nachzuzeichnen. Tendenziell sind einkommensschwächere Haushalte stärker von Inflation betroffen, da sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Energie ausgeben im Vergleich zu Menschen, die in Eigentum leben. Im Jahr 2020 war der Anteil der Menschen die in Mietwohnungen leben bei 42,7 Prozent, weswegen Ausgaben für Mieten nur anteilig in den VPI eingehen.     
Es gibt auch andere Kombinationen von Produkten, die zur Messung der Preissteigerung in Österreich eingesetzt werden. Der Minwarenkorb umfasst beispielsweise weniger Produkte und soll einen durchschnittlichen wöchentlichen Einkauf abbilden.

VPI=Verbraucherpreisindex, HVPI=Harmonisierter Verbraucherpreisindex

Die Inflation hängt also sehr stark davon ab, welches Bündel von Produkten betrachtet wird und wie die Gewichtung innerhalb des Warenkorbs ausgestaltet ist. Diese Gewichtung ist auch einer der Hauptunterschiede zwischen dem VPI und dem HVPI, dem harmonisierten Verbraucherpreisindex, der Vergleiche auf europäische Ebene ermöglichen soll. Der HVPI betrachtet zusätzlich auch den Konsum von Ausländern in Österreich, während der VPI auf dem Inländerprinzip beruht.   
Bei der Betrachtung dieser Indizes handelt es sich immer um den in der Konsumerhebung betrachteten durchschnittlichen österreichischen Haushalt handelt. Das bedeutet, dass die persönliche Inflation höher oder niedriger sein kann als die veröffentlichten Werte.

Was sind die aktuellen Preistreiber und wovon gehen die Prognosen aus? 

Die derzeit sehr hohen Inflationsraten sind hauptsächlich durch zwei Pandemie-bedingte Phänomene zu erklären. Einerseits haben weitgehende wirtschaftliche Restriktionen und Probleme bei globalen Lieferketten zu angebotsseitigen Einschränkungen und dadurch zu höheren Preisen bei Rohstoffen und Industrieprodukten geführt. Gleichzeitig ist die wirtschaftliche Erholung im Jahr 2021 stärker als prognostiziert ausgefallen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage damit höher als erwartet. Als Konsequenz steigen die Energiepreise, besonders getrieben durch das Rohöl, derzeit stark an. Da im Vergleichszeitraum letztes Jahr genau diese Produkte sehr billig waren, ist die aktuelle Teuerung im Vorjahresvergleich auch besonders hoch. Durch diesen sogenannten Basiseffekt ist die Inflation bei diesen Gütern aktuell für mehr als 1/3 der gesamten Inflationsrate verantwortlich.

Trotz der aktuell sehr hohen Teuerung gehen ExpertInnen davon aus, dass diese Preissteigerung ein temporäres Phänomen sind und nach einem Aufholen des Konsums und der Normalisierung der globalen Wertschöpfungsketten wieder zurückgehen. Das spiegeln auch die aktuellen Inflations-Prognosen der Forscher vom WIFO und dem IHS wieder. Die WirtschaftsforscherInnen prognostizieren für die kommenden Monate zum Beginn von 2022 noch höhere Inflationsraten, vor Allem bedingt durch die steigenden Strom– und Gaspreise, die viele Haushalte belasten werden. Jedoch gehen die Vorhersagen durch sich erholende Lieferketten und abschwächende Konjunktur, und sich dadurch normalisierende Energiepreise, mittelfristig von Inflationsraten rund um 2 Prozent herum aus, welche dem Inflationsziel der europäischen Zentralbank entsprechen würden.

202120222023
WIFO2,8 %3,3 %2,2 %
IHS2,8 %2,8 %1,9 %
Inflationsprognosen WIFO/IHS vom 15.12.2021

Kollektivvertragsverhandlungen sichern reale Lohnerhöhungen

Die Inflation spielt neben den Produktivitätszuwächsen in den jeweiligen Branchen eine zentrale Rolle in den gewerkschaftlichen Lohnforderungen bei den jährlichen Verhandlungsrunden.  Maßgeblich ist dabei die durchschnittliche Inflation der 12 Monate seit der letzten Tarifverhandlung gemessen am VPI.         
Der Durchschnitt der letzten 12 Monate wird deshalb herangezogen, da die Inflation aufgrund von saisonalen Trends, politischen Geschehnissen oder Krisen sehr stark schwanken kann. Beispielsweise lag im Jänner 2021 die Inflation bei 0,8 Prozent, während sie im März 21 schon bei 2 Prozent stand. Die Betrachtung des Durchschnitts mag in der aktuellen Situation mit sehr hohen Inflationsraten vielleicht für Viele problematisch erscheinen, macht bei genauerer Betrachtung aber Sinn für ArbeitnehmerInnen. Ein anschauliches Beispiel ist der Mai 2020 als die Inflation im Vergleich zum Mai des Vorjahres bei nur 0,7 Prozent lag. Hätten Kollektivvertragsabschlüsse diesen Wert als Maßstab für die Inflation herangezogen, wären am Ende reale Einkommensverluste bei den ArbeitnehmerInnen angekommen, denn die durchschnittliche Inflation im Vorjahr lag bei 1,5 Prozent.       
Der VPI wird trotz seiner potenziellen Schwächen als Vergleichsindex herangezogen, da er im Zeitverlauf relativ stabil und verlässlich ist. Hätte man beispielswiese für die Tarifverhandlungen im September 2020 den Miniwarenkorb mit -1,1 Prozent als Größe herangezogen, wäre kein positiver Abschluss möglich gewesen. Im Oktober 2021 lag die Teuerung beim Miniwarenkorb bei 8,5 Prozent, was die Volatilität im Vergleich zum VPI (3,6 Prozent im Oktober 2021) zeigt.         
Tatsächlich können Kollektivvertragsverhandlung nur auf Basis der Wirtschaftsdaten des vergangenen Jahres zu einem gerechten Abschluss führen, da sich Prognosen über Inflation und Konjunktur oft nicht bewahrheiten. Kollektivvertragsverhandlungen basierend auf Annahmen über die Entwicklung der Wirtschaft und des Preisniveaus könnten also zu erheblichen Einbußen für Beschäftigte und negativen gesamtwirtschaftlichen Effekten führen.

Durch diese Vorgehensweise konnte seit 1995 ein Wachstum der kollektivvertraglichen Mindestgehältern deutlich über der Steigerung der Verbraucherpreise gesichert werden.

TLI=Tariflohnindex, VPI=Verbraucherpreisindex

Nur ein hoher gewerkschaftlicher Organisierungsgrad ermöglicht, dass die Forderung nach der Abgeltung der Inflation und dem gerechten Anteil von ArbeitnehmerInnen an der Produktivität auch weiterhin erreicht werden können.

Jetzt Gewerkschaftsmitglied werden: https://www.gpa.at/mitglied-werden

Scroll to top