
Wie Sparpolitik und Deregulierung in Belgien Beschäftigte und ihre Mitbestimmung unter Druck setzen.
Belgien unter der „Arizona-Regierung“, einer Mitte-Rechts-Koalition, steht für einen Kurs, der auf Sparmaßnahmen zulasten von Arbeitnehmer:innen, Deregulierung am Arbeitsmarkt und eine schlechtere soziale Absicherung setzt. Das trifft Beschäftigte und Gewerkschaften direkt und stellt einen beispiellosen Angriff auf erkämpfte Rechte dar.
Flexibilisierung und Nachtarbeit
So will die Regierung den Arbeitsmarkt umfassend flexibilisieren – zulasten von Arbeitnehmer:innen. Sogenannte „Flexi-Jobs“, die im Vergleich zu regulären Anstellungsverhältnissen weniger Regulierungen unterliegen, sollen als Arbeitsmodell auf nahezu alle Branchen ausgeweitet werden.
Auch Nachtarbeit wird ausgeweitet, weil in bestimmten Branchen der Arbeitsbeginn auf Mitternacht verlegt werden soll – geleistete Arbeit vor Mitternacht zählt dann nicht mehr als Nachtarbeit. In weiten Teilen soll das Verbot von Nachtarbeit in Belgien abgeschafft werden, wenn es nach den Plänen der Regierung geht. Das senkt Schutzstandards und greift in bestehende Kollektivverträge ein. Auch bei den Themen Arbeitszeit und Dienstpläne gibt es Maßnahmen, die die Planbarkeit für Beschäftigte erheblich einschränken. So soll etwa die Mindestwochenarbeitszeit bei Teilzeit entfallen.
Länger arbeiten, weniger Pension
Die Eingriffe in das Pensionssystem sind besonders weitreichend. Durch unterschiedliche Maßnahmen werden Menschen künftig länger arbeiten müssen und dennoch weniger Pension erhalten. Frauen wären davon überproportional betroffen, weil sogenannte „gleichgestellte Zeiten“ außerhalb von Pflege- und Krankenständen stark begrenzt werden sollen.
Auch Phasen der Arbeitslosigkeit sollen bei der Pension künftig nur noch sehr eingeschränkt berücksichtigt werden. Insgesamt wird der Zugang zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch die vorliegenden Pläne deutlich erschwert. Neben Einschnitten bei Sozial- und Arbeitsrechten zeigt sich der Kurs der Regierung auch deutlich in der Steuerpolitik.
Wer profitiert?
Durch eine Erhöhung des allgemeinen Steuerfreibetrags setzt die Regierung eine Maßnahme, von der auch Menschen mit hohem Einkommen profitieren. Parallel dazu werden Steuervergünstigungen für Arbeitslose und manche Pensionist:innen gestrichen. Das belastet die Schwächsten, während Gutverdienende besser dastehen.
Gleichzeitig gibt es niedrige Steuern auf Kapitalgewinne mit breiten Ausnahmen, die zeigen, dass Reiche weiterhin nur einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Sozialstaat leisten.
Angriff auf die Gewerkschaften
Die Regierung greift auch in den sozialen Dialog ein. Wenn sich die Sozialpartner bei Verhandlungen nicht einigen, entscheidet künftig die Regierung selbst. Schutzmechanismen rund um Betriebsratswahlen werden reduziert. Beschäftigte, die für den Betriebsrat kandidieren und nicht gewählt werden, sind nun deutlich leichter zu kündigen.
Außerdem können Regelungen aus Kollektivverträgen durch individuelle Vereinbarungen in verschlechterter Form angewendet werden. Auch Betriebsvereinbarungen können nun – anstatt wie bisher nur Verbesserungen – Verschlechterungen gegenüber dem Kollektivvertrag enthalten.
Eine Protestwelle rollt durch das Land
Die belgischen Gewerkschaften haben ihren Widerstand gegen den Reformkurs der Regierung im Laufe des Jahres 2025 deutlich intensiviert. Ende November kam es zu landesweiten Streiks und Massenprotesten, die große Teile des öffentlichen Lebens lahmlegten – vom Verkehr über Schulen bis hin zu öffentlichen Dienstleistungen. Auch nach diesen Aktionen blieb der Druck hoch: Gewerkschaften kündigten weitere Proteste an, etwa eine landesweite Großdemonstration Anfang März, und brachten rechtliche Schritte gegen zentrale Teile der Reformen auf den Weg.
Das zeigt die Entschlossenheit, soziale Rechte zu verteidigen. Der Druck wirkt bereits: Es wurden Ausnahmen und Übergangsregelungen erzielt, etwa bei der Anrechnung von Zeiten in der Arbeitslosenversicherung und bei Trainings in Mangelberufen. Zudem hat die Regierung noch nicht alle Reformpakete finalisiert. Das eröffnet weiteren Handlungsspielraum für Verhandlungen und Aktionen von Seiten der Zivilgesellschaft.
Für Beschäftigte in Österreich ist das eine wichtige Lehre. Schutzstandards können rasch unter Druck geraten, wenn kollektive Regeln durch individuelle Vereinbarungen ersetzt werden. Das unterstreicht die Bedeutung einer starken Sozialpartnerschaft. Denn Gewerkschaften sichern nicht nur Einkommen, sondern auch demokratische Räume. Wenn Kollektivverträge entwertet und Mitbestimmung zurückgedrängt werden, verlieren Beschäftigte doppelt.
