„Du hast nur Zeit, deinen Kopf zu retten“

Ex-Studentenaktivist Ousmane Camara /c Nurith Wagner-Strauss

Ex-Studentenaktivist Ousmane Camara ist zwei Mal vor der Militärdiktatur im westafrikanischen Guinea geflohen. Die Schubhaft in Österreich war für ihn eine moralische Demütigung. Er hofft, hier Asyl zu bekommen.

„Merci.“ Ousmane Camara bedankt sich, die rechte Hand am Herz. In einer finsteren Hinterhofwohnung bewohnt er im Moment ein Zimmer gratis. Bilder und Devotionalien der Heimat schmücken den mit allerlei Trödel ausgestatteten Raum. Anfangs etwas schüchtern, spricht Ousmane Camara mit leiser Stimme. Er gehört der Bildungsschicht seines Landes an, drückt sich höflich aus – nur wenn es um Guineas Machthaber geht, erwacht in ihm der Widerstandskämpfer und gerät er in Rage.

Studentenaktivist

Mit nicht einmal zehn Euro, umgerechnet 60.000 Guinea-Francs, an staatlichem Stipendium hätten die StudentInnen das monatliche Auslangen finden müssen. Für Wohnen, Essen und Studieren. Zum Überleben seien aber monatlich 300.000 Guinea-Francs notwendig. Der Internetzugang war beschränkt auf 30 Minuten pro Woche. „Wir haben eine bessere Ausstattung der Uni verlangt. Ich habe Zivilingenieurwesen studiert. Wir brauchten neue Labors und zusätzliche Hörsäle“, erzählt der ehemalige Studentenaktivist. 2003 hatte Ousmane Camara sein Studium in der Hauptstadt Conakry begonnen. Im Jahr darauf wurde er Sprecher der Studierendengewerkschaft SEUC, des „Syndicat des Etudiants de l’Université de Conakry“. Die damaligen Studierendenvertreter seien korrupt gewesen. „Nichts bewegte sich“, so Ousmane. Das Regime reagierte auf das Aufbegehren an den Universitäten mit brutalsten Repressionen und Verhaftungen. Auf die Demonstrationen, Streiks, General- und Hungerstreiks sowie Volksaufstände im Land folgten Festnahmen, Misshandlungen, Massenvergewaltigungen.

Armut und Unfreiheit

Schon während der ersten Republik (1958-1984), nach der Unabhängigkeit von Frankreich, habe das Militär 50.000 Regimegegner getötet. Die Bevölkerung lebte in immer prekäreren Verhältnissen. Heute leben laut Schätzungen bis zu 80 Prozent in Armut. Dem steht Guineas Reichtum an Bodenschätzen gegenüber: Es ist der größte Exporteur von Bauxit und verfügt über Gold-, Diamanten- und Eisen-Industrie. Bis zu 60 Prozent des Budgets verschlinge das Militär, berichtet Ousmane. Und lässt kein gutes Haar am neuen Präsidenten Alpha Condé, der Ende des Vorjahres installiert wurde und das Militärregime fortsetze. „Ihm ist nicht das Wohlergehen des Landes wichtig, sondern die Wahrung seiner persönlichen Interessen“, echauffiert sich Ousmane, „Du lebst nur frei in Guinea, wenn du auf der Seite des Präsidenten bist.“

Demokratie sieht anders aus, das hat die internationale Gemeinschaft inzwischen auch erkannt. In dem westafrikanischen Staat herrscht Bürgerkrieg. Erst im November 2010 sprach Österreich eine offizielle Reisewarnung für das Land aus. Im Dezember hätte Ousmane Camara dennoch aus Österreich nach Guinea abgeschoben werden sollen. Verhindert hat das letztlich der Pilot der Brussels Airlines-Maschine, die via Wien-Schwechat am Weg in die guineische Hauptstadt war.

Rettung in letzter Minute

„Ich hielt mich am Treppengeländer vor dem Einstieg fest und schrie. Ich hatte Angst. Ich habe das Recht, Widerstand zu leisten. Der Pilot war aus Belgien und sprach Französisch, daher konnte ich ihm meine Situation erklären. Er sagte, unter diesen Umständen könne er mich nicht mitnehmen. Leider weiß ich nicht, wie er hieß.“ Ousmane Camara ist dem Flugkapitän dankbar, dass er nicht den sicheren Tod in seinem Land gefunden hat. „Ich bin eine gesuchte Person in Guinea, von den Militärs und von meinen Ex-Schwiegereltern.“ Und er erzählt, wie er bei seiner ersten Flucht nach Österreich 2007 seine Ex-Frau kennenlernte. Das war nach der Studenten-Revolte in der Hauptstadt. Dabei war er schwer verletzt und 25 Tage lang gefoltert worden.

Versuch einer Rückkehr

„Ich habe nicht geglaubt, dass ich überlebe“, so Ousmane Camara. Zwei Monate hatte er im Spital verbracht. Dann, zu Hause bei den Eltern, konnte er im Jänner 2007 der Verhaftung durch die Militärs knapp entkommen. „Du hast nur Zeit, deinen Kopf zu retten.“ Seine Eltern wurden verschleppt und getötet. Mit Hilfe eines Onkels gelang Ousmane per Boot die Flucht nach Italien und von dort nach Österreich. Hier wurde sein Asylantrag abgelehnt. Mit seiner Frau ging er zurück, mit der neugeborenen Tochter Aїssatou lebten sie mit den Schwiegereltern unter einem Dach. Diese waren der Meinung, dass das Kind traditionsgemäß beschnitten werden müsse – dem widersprach Ousmane heftig, wie er heute erzählt. „In Guinea müssen die Kinder den Willen der Eltern befolgen, aber ich sagte, nicht mit meiner Tochter.“ Die Schwiegereltern drohten ihm, und der ehemalige Studentenaktivist ergriff erneut die Flucht. Seine Tochter brachte er bei Bekannten unter. Er selbst landete im Juni 2010 in London, wurde nach Wien überstellt und verbrachte vier Monate im Rossauer Gefängnis. Dort habe man ihn zwar nicht körperlich, aber moralisch gedemütigt. Zu Weihnachten kam er gegen Kaution frei.

Hoffnung auf Asyl

Ein Solidaritätskomitee formierte sich in einer beispiellosen Aktion rund um Linke, Gewerkschafts- und Studierendenvertretern. Sie richteten ein Spendenkonto für Ousmane ein. Er kann so zum Beispiel einen Intensivkurs in Deutsch besuchen. Gerne würde er sein Diplom als Zivilingenieur abschließen. „Dann könnte ich in meinem Land wieder zu etwas beitragen.“ Mit seiner Heimat habe er keineswegs für immer gebrochen. Er denke sehr wohl an eine Rückkehr, „wenn ich dort in Sicherheit bin“. Vorerst hofft er, in Österreich Asyl zu erhalten.

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