Warum eine wirtschaftliche Katastrophe droht, wenn die Vorgaben des EU-Fiskalpaktes umgesetzt werden, erklärt Alexandra Strickner, Ökonomin der globalisierungskritischen Organisation Attac.
KOMPETENZ: Die EU-Regierungschefs, mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens, haben einen Fiskalpakt vereinbart. Was bringt der?
Alexandra Strickner: Das ist ein europaweit koordiniertes Sparpaket, mit dem die Schuldenbremse und der Sparzwang eingeführt werden, mit dem Ziel, die Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen. Es ist ein völkerrechtlicher (internationaler, Anm.) Vertrag, dessen Bestimmungen die Mitgliedsländer in ihre nationale Rechtsordnung übernehmen müssen. Der Vertrag sieht vor, dass das jährliche strukturelle (Neu-)Defizit maximal 0,5 Prozent betragen darf und jene Staaten, die mehr als 60 Prozent des BIP Gesamtverschuldung haben, ihren aktuellen Gesamtschuldenstand jährlich um ein Zwanzigstel verringern, bis sie die 60 Prozent erreicht haben. Der Pakt schränkt also die haushaltspolitischen Möglichkeiten der Parlamente dieser Länder sehr stark ein. Ausgabenkürzungen in allen EU-Ländern werden die bereits schwache Wirtschaft der EU endgültig in die Rezession führen. Nur: In einer Rezession sinken die Einnahmen und steigen die Schulden. Der Pakt schafft also das Gegenteil von dem, was man will, und ist daher aus wirtschaftspolitischer Sicht katastrophal. Das ist ein Marsch in den Ruin sehenden Auges.
KOMPETENZ: Der EU-Pakt ist noch nicht in Kraft.
Alexandra Strickner: Wenn ihn 12 der 25 unterzeichnenden Länder, also nicht einmal die Hälfte der Mitglieder, verabschieden, tritt er für diese in Kraft. Der Vertrag steht außerhalb des EU-Rechts, das EU-Parlament ist weder in der Erarbeitung noch in der Umsetzung beteiligt. Außerdem gibt es keine Ausstiegsklausel. Der Fiskalpakt sieht auch vor, dass nur jene Länder, die ihn ratifizieren, Hilfsgelder aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus („Euro-Schutzschirm“, Anm.) erhalten können.
KOMPETENZ: Warum dann das Ganze?
Alexandra Strickner: Das ist eine gute Frage. Gewisse Gruppen wie die großen Wirtschaftsverbände sehen im Fiskalpakt die Möglichkeit, „Reformen“ in ihrem Interesse leichter durchzusetzen. Sparpakete machen es einfacher, Privatisierungen umzusetzen, auch der Druck, den Arbeitsmarkt weiter zu flexibilisieren, wird höher. Das sieht man in Griechenland, das in Europa mittlerweile als eine Art Versuchskaninchen gilt: Im öffentlichen und privaten Sektor werden die Gehälter und Pensionen gekürzt, es wird privatisiert etc. Volkswirtschaftlich machen EU-weite Sparpakete dieser Art in einer so eng verflochtenen Wirtschaft keinen Sinn! Denn wenn die Löhne sinken, sinkt auch die Nachfrage, weil sich die Menschen weniger leisten können. Insofern ist es auch nicht nachvollziehbar, warum Deutschland so sehr diese Politik EU-weit durchsetzen will, denn damit wird auch die Nachfrage nach deutschen Produkten sinken.
KOMPETENZ: Der Fiskalpakt schreibt Budgetkonsolidierungsziele fest, welche Maßnahmen im Detail beschlossen werden ist den Ländern jedoch freigestellt.
Alexandra Strickner: Nicht wirklich. Der Vertrag beauftragt die EU-Kommission, eine nähere Ausgestaltung vorzunehmen. Sie soll insbesondere Art, Umfang und Zeitrahmen der zu ergreifenden Korrekturmaßnahmen festlegen. Das Problem dabei ist auch, dass man nur auf die Budgetdefizite schaut, nicht aber auf z.B. strukturelle Exportüberschüsse (von Deutschland z.B.), die wachsende ungleiche Verteilung von Vermögen oder unregulierte Finanzmärkte. Das sind wesentliche Ursachen der Krise, und da passiert nichts! Eine gemeinsame Währung braucht auch eine gemeinsame Steuer- und Lohnpolitik. Als Österreich noch den Schilling hatte, gab es in den neun Bundesländern ja auch nicht neun verschiedene Lohnabschlüsse und unterschiedliche Steuersätze.
KOMPETENZ: Ist aus dem EU-Fiskalpakt auch Positives zu erwarten, etwa höherer Lohnabschlüsse nach Produktivität?
Alexandra Strickner: Das sehe ich derzeit überhaupt nicht. Die bisherigen Vorgaben der EU-Kommission bzw. der nationalen Regierungen waren, dass Löhne und Gehälter gesenkt werden sollen. Das gilt nicht nur für Griechenland, das ist auch in anderen Ländern wie Rumänien passiert, und Italien geht in die gleiche Richtung.
KOMPETENZ: Wie ist zu erklären, dass selbst der sozialdemokratische Regierungschef Österreichs den Pakt öffentlich als positives Ergebnis bewirbt?
Alexandra Strickner: Wenn man sich die Entwicklung der Sozialdemokratie anschaut, hat Tony Blair mit dem „Dritten Weg“ (Modernisierung der Sozialdemokratie, Anm.) die Liberalisierung der Finanzmärkte vorangetrieben, und in Deutschland wurden unter Gerhard Schröder die „Hartz IV“-Reformen (Kürzung der staatlichen Sozialleistungen, wodurch aber die Sozialausgaben noch mehr stiegen, Anm.) beschlossen. Es fehlt eine gemeinsame progressive Vision, wohin die Reise gehen soll. Diese Politik ist schlecht für die breite Masse der Menschen, die Armutszahlen steigen und auch der Zulauf zu den rechtspopulistischen Parteien.
KOMPETENZ: Werden die basisdemokratischen Bewegungen zunehmen, wo sich die BürgerInnen wehren?
Alexandra Strickner: Es ist ganz dringend notwendig, dass sich Gewerkschaften, soziale Bewegungen und globalisierungskritische Organisationen gemeinsam für alternative Krisenantworten einsetzen. Es geht nicht nur darum, den Fiskalpakt zu verhindern, wir müssen auch für ein anderes Europa kämpfen. Der Aufruf der deutschen Gewerkschaften „Europa neu begründen“ ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Den Angriff auf Löhne und Sozialstaat kann man nicht in Österreich (oder in den jeweiligen EU-Ländern) alleine lösen. Wir müssen uns zusammenschließen, alle Kräfte bündeln und Kämpfe verknüpfen.
KOMPETENZ: Was bedeutet das konkret für die Arbeitswelt, drohen mehr Streiks?
Alexandra Strickner: In Österreich war Streik bisher die „ultima ratio“, vorher werden alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Angesichts des Spardrucks wird es aber sicher zu einer Verschärfung der Arbeitskonflikte kommen. Ich bin mir sicher, dass auch in Österreich die Leute beginnen aufzustehen und sagen, „es reicht“, wenn Löhne nicht erhöht, Dienstleistungen gestrichen werden oder es zu weiteren Privatisierungen kommt. Es geht auch darum, dass wir uns von der Politik nicht auseinanderdividieren lassen. Wir sind alle jeweils ArbeitnehmerInnen, BürgerInnen und KonsumentInnen, und daher müssen wir gemeinsam solidarisch handeln.