Wer den Augustin kauft, unterstützt nicht nur den Kolporteur. Gestärkt wird auch ein Journalismus, der sich jenen Menschen widmet, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden.
Vor 15 Jahren änderte sich für Traude Lehner von einem Tag auf den anderen alles. Sie war nach Italien gegangen, um dort im Gastgewerbe zu arbeiten. Und verliebte sich. 13 Jahre war sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten liiert. „Und dann habe ich ihm eines Tages vom Balkon gewinkt – und 20 Minuten später gab es weder ihn noch das Auto mehr.“ Die Verwandtschaft speiste sie mit damals umgerechnet 7.000 Schilling ab. Eine Zeitlang kam sie noch halbwegs über die Runden, zuerst mit Servieren, später im Telefonverkauf. „2002 ist dann der Euro gekommen und über Nacht ist alles wahnsinnig teuer geworden. Ich konnte nicht einmal mehr meine kleine Wohnung zahlen. Und da habe ich mir gedacht, obdachlos sein kann ich auch zu Hause. Und da bin ich wieder nach Wien gekommen. Zweieinhalb Jahre habe ich dann in einem Obdachlosenheim gelebt.“
In der Arbeitswelt konnte Lehner, heute 58 Jahre alt, nicht mehr Fuß fassen. Ihre Hände schmerzen, selbst ein paar Worte mit einem Stift zu Papier zu bringen, verursacht ihr Qualen. Obdachlos ist sie allerdings nicht mehr. Mit ihrem nunmehrigen Mann lebt sie in einer kleinen Gemeindewohnung. Sie bezieht Mindestsicherung, er, nach einem Herzinfarkt derzeit rekonvaleszent, bekommt Notstandshilfe. Gemeinsam verfügen sie im Monat über 1.130 Euro. Kennengelernt haben sie einander beim Augustin. Ihn hatten zuvor zwei Scheidungen finanziell ins Straucheln gebracht. Gemeinsam spielen sie heute bei der Augustin-Theatergruppe „11% K.Theater“. Die ist inzwischen „unsere zweite Familie“.
Kolportage
Wenn Traude Lehner mit ein paar Augustin-Heften in der Hand über den Naschmarkt geht, bleibt sie bei jedem Lokal stehen, spricht freundlich Leute an. „Manchmal kaufen drei auf einmal einen Augustin. Dann dauert es wieder ein bissl. Man kann es nicht vorhersagen.“ Auch ihr Mann ist Augustin-Kolporteur. Insgesamt verkaufen heute rund 500 von Armut betroffene Menschen die 1995 vom Journalisten Robert Sommer mitbegründete Zeitung. Die ersten 15 Hefte erhalten die Kolporteure umsonst. Danach müssen sie jeweils die Hälfte des Verkaufspreises zahlen, wenn sie in der Augustin-Redaktion in der Reinprechtsdorferstraße ihre Exemplare abholen.
Unabhängigkeit
Von Anfang an wurde das Blatt ohne öffentliche Förderungen produziert, betont Sommer gegenüber der KOMPETENZ. Einnahmequellen sind heute der Verkauf, die Unterstützung durch 333 private „LiebhaberInnen“, aber auch Inserate. „Damals lag die Gründung solch eines Projekts in der Luft. Es gab auch andere, die so etwas geplant haben. Sie wollten aber zuerst öffentliche Mittel aufstellen. Das wollten wir gar nicht. Und so konnten wir uns durchsetzen.“ Sich selbst zu finanzieren bedeutet auch: nicht abhängig zu sein – und das zu machen, was Sommer wichtig ist: „Parteilichen Journalismus. Wenn jemand nicht zum dritten Mal in einem AMS-Kurs sitzen will, wo ihm beigebracht wird, wie man sich richtig bewirbt, dann interessiert uns nur seine Perspektive. Sonst keine.“
Spezieller Fokus
Der Augustin hat aber auch als einziges Medium den Daumen auf Themen, die andere Zeitungen nicht so behandeln könnten. „Wir haben den Fokus auf Institutionen, die Menschen nicht würdig behandeln: Heime, Geriatrie-Einrichtungen, Psychiatrien, Obdachlosenasyle. Hier lebt man fast in strafvollzugsähnlichen Zuständen. Sexualität in Altersheimen ist zum Beispiel bis heute tabuisiert. Die Mahlzeitenausgabe orientiert sich alleine an den Bedürfnissen der Verwaltung. Das Recht auf Intimität in dem Zimmer, für das man bezahlt, ist oft nicht gegeben. Und man muss um Erlaubnis fragen, wenn man Besuch erhält.“
Traude Lehner und ihr Mann schreiben auch ab und zu im Augustin. Wenn sie etwas veröffentlichen, bekommen sie so wie alle anderen Autoren – ob JournalistInnen, ExpertInnen oder eben Betroffene – 90 Euro für einen einseitigen Beitrag bezahlt. „Wir wollten von Anfang an weg von der Ehrenamtlichkeit“, betont die Sozialarbeiterin Riki Parzer, wie Sommer Mitbegründerin des Projekts. Auch im Bereich Sozialarbeit geht der Augustin andere Wege. Man wirke etwa nicht auf die Kolporteure ein, mit den Einnahmen zunächst einmal die Schulden zu tilgen. Die Sozialarbeiter hier sind vor allem eines: Anlaufstelle, wenn die Kolporteure Sorgen und Probleme haben – mit Kunden, im Alltag, aber auch mit anderen Augustin-Verkäufern.
Sozialer Anschluss
Ein Drittel der Kolporteure kommt heute aus Österreich, ein Drittel aus Osteuropa, ein Drittel aus Afrika. Das ist nicht immer leicht. Die Männer und Frauen aus Afrika, sie sind im Gegensatz zu den Verkäufern, die in Österreich groß geworden sind, jung und fit. Jene aus Osteuropa erhalten mit den Einnahmen aus dem Augustin-Verkauf oft ganze Familien. Während die einen im Arbeitsprozess, oft auch krankheitsbedingt, nicht mehr Fuß fassen können, würden die anderen liebend gerne arbeiten. Doch das Fremdenrecht gibt ihnen dazu keine Möglichkeit. Mit dem Verkauf des Augustin halten sie sich recht und schlecht über Wasser – und finden bei den Freizeitangeboten wie der Fußballtruppe, der Theatergruppe oder im Chor Stimmgewitter sozialen Anschluss. Insofern wirkt der Augustin auf verschiedenen Ebenen. Und Sommer und Parzer sind auch nach 17 Jahren immer noch mit Begeisterung dabei.
Internet
Das Medienangebot des Augustin finden Sie auch im Internet auf www.augustin.or.at, mit Links zu Radio Augustin (gesendet auf Radio Orange) und Augustin TV (auf OKTO).