Hinter dem schönen Begriff „Praktikum“ verbirgt sich häufig eine Strategie der Arbeitgeber, junge gut ausgebildete Menschen für wenig Geld oder sogar kostenlos arbeiten zu lassen.
Viele Arbeitgeber glauben es entdeckt zu haben: das Mittel, hoch qualifizierte Arbeitsleistung zu einem Spottpreis zu bekommen. Kein hinderlicher Kollektivvertrag, kein ArbeitnehmerInnenschutz, kein Betriebsrat, der in die Quere kommt. Alles was man benötigt sind Jobausschreibungen, die Berufserfahrung verlangen sowie Arbeitssuchende (im Idealfall mit abgeschlossenem Studium), denen man einen Job in Aussicht stellt, sofern sie zunächst einmal ein unentgeltliches Praktikum absolvieren. Wer beißt da nicht an?
Doch so einfach, wie viele ArbeitgeberInnen glauben, funktioniert das nicht. Welche Art von (Arbeits-)Verhältnis vorliegt, entscheidet nicht dessen Bezeichnung (Volontariat, Praktikum, Jobtraining etc.), sondern dessen tatsächlich praktizierter Inhalt. Prüft man solche „Praktika“, stellt sich nicht selten heraus, dass sie in Wahrheit echte Arbeitsverhältnisse sind, mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten.
Arbeiten für ein Taschengeld
Mustafa Durmus, Rechtsberater in der GPA-djp, hat neulich ein Kunststück zuwege gebracht: Er sah eine junge Grazer Psychologin im Fernsehen, die sich beklagte, lediglich 400 Euro pro Monat für 20 Wochenstunden zu erhalten, und dies als Akademikerin. Mustafa Durmus beschloss spontan, die junge Frau ausfindig zu machen und ihr zu helfen. Beides ist ihm gelungen. Ein Grazer Sozialverein beschäftigte die Akademikerin als „Fachausbildungskandidatin in klinischer Psychologie“. In Wahrheit erstellte sie jedoch Befunde und Diagnosen und führte Supervisionen und Kriseninterventionen durch. Ein akademischer Halbtagsjob also, üblicherweise mit rund 1.500 Euro pro Monat dotiert. Über ein Jahr hatte die junge Frau für ein „Taschengeld“ gearbeitet – nun erhielt sie 12.000 Euro nachbezahlt, eine große Erleichterung und Genugtuung. So wie dieser jungen Grazer Psychologin geht es vielen (Fach-)HochschulabsolventInnen. Mehr denn je kann man von einer „Generation Praktikum“ sprechen. In immer mehr Bereichen sind gut ausgebildete junge Leute dazu gezwungen, einer unbezahlten oder schlecht bezahlten Tätigkeit ohne rechtliche Absicherung nachzugehen, um die Chance auf einen ihrer Qualifikation angemessenen Job zu wahren.
Wer ist betroffen?
Nach unserer Erfahrung ist die Situation für AbsolventInnen der Grund- und Integrativwissenschaften sowie der Geisteswissenschaften besonders dramatisch. Wir sprechen von der Werbe- und Medienbranche und von den Sozial- sowie NGO-Bereichen (PsychologInnen, PädagogInnen, SoziologInnen). Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch andere Branchen betroffen wären. Entscheidend ist die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses nach dem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt. Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: Worauf ist der Fokus des (Schein-)Praktikums gerichtet? Auf die Ausbildung oder aufs betriebliche Interesse? Wird lediglich in einen Beruf hineingeschnuppert und steht die Ausbildung im Vordergrund, spricht vieles für ein echtes Praktikum. Für PraktikantInnen muss man sich Zeit nehmen, wenn sie etwas lernen sollen. Man muss sie anleiten und ihre Arbeitsergebnisse mit ihnen besprechen. Wird hingegen unter Einordnung in die betriebliche Organisation gearbeitet, mit fixen Arbeitszeiten, fixer Aufgabenzuteilung und Weisungsgebundenheit, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um ein echtes Arbeitsverhältnis handelt und das Unternehmen mit einem „Scheinpraktikum“ Kapazitätsspitzen oder Karenzvertretungen billig abzudecken versucht. Geprüft werden muss also stets im Einzelfall.
Beratung bei der GPA-djp
Sind Sie vielleicht auch eine/ein Betroffene/r? Dann lassen Sie Ihr „Praktikum“ in einer unserer Regionalgeschäftsstellen überprüfen, sich über Ihre Möglichkeiten beraten und entscheiden Sie, ob Sie gegen Ihren zahlungsunwilligen Arbeitgeber vorgehen wollen oder nicht. Es könnte sich lohnen!
Ausbeutung liegt im Trend: „Scheinpraktikum“ statt Arbeitsvertrag
Eines sei vorweg gesagt: Der Beitrag auf dieser Doppelseite befasst sich nicht mit Pflichtpraktika, Volontariaten oder echten Praktika nach abgeschlossener (Fach-)Hochschulausbildung, sondern mit einer Unart, die gerade im Trend liegt: Echte Arbeitsverhältnisse als Praktika zu bezeichnen, um Kosten zu sparen und das Arbeitsrecht inklusive geltendem Kollektivvertrag großräumig zu umgehen. Erleichtert werden diese „Scheinpraktika“ dadurch, dass viele (Fach-)HochschulabsolventInnen einen Job suchen und jede Chance nutzen, um in einem Unternehmen Fuß fassen zu können. Sie sind sogar dazu bereit, für einige Wochen, oft Monate unentgeltlich oder für ein „Taschengeld“ zu arbeiten, und zwar Vollzeit.
Dass sie dabei häufig ausgenutzt werden, liegt auf der Hand. Außerdem bekommen längst nicht alle am Ende auch den erhofften Job. Daher ist es wichtig, Bewusstsein zu schaffen, Betroffene zu informieren und sie dabei zu unterstützen, ihre Entgeltansprüche durchzusetzen.