Franzobels neuer Roman bildet ein deprimierend-unterhaltsames Sittenbild unseres Landes ab.
„Beurteile nie ein Buch anhand seiner Titelseite.“ Das eigentlich englische Sprichwort („Never judge a book by its cover“) kommt einem bei Franzobels neuem Buch in den Sinn: „Rechtswalzer“, ein „Kriminalroman“. Obwohl das alles natürlich stimmt: Es handelt sich um einen Krimi, um einen Roman – basierend auf wahren Begebenheiten – und es geht um den Wiener Opernball. Anders als bei Josef Haslingers politischem „Opernball“-Roman (1995) spielt der angebliche Höhepunkt des Faschings bei Franz Stefan Griebl alias Franzobel aber eine Nebenrolle. Wiewohl auf dem publicitystarken High Society-Event der „Rechtswalzer“, die stark nach rechts drehende politische Entwicklung in unserem Land, ab circa dem letzten Drittel der Geschichte kulminiert.
Franzobel hat hier ein kongeniales Sittenbild der Eingeweide Österreichs vorgelegt. Vordergründig ist es eine Kriminalgeschichte, die in Wien und Untergrutzenbach im Weinviertel spielt. Erzählt wird sie abwechselnd aus der Sicht von Bar-Besitzer Malte Dinger und von Kommissar Falt Groschen. Dinger wird beim Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt und landet durch eine Verkettung unglücklicher Umstände – um nicht zu sagen Absurditäten – im Gefängnis. Der Kommissar, dessen Ehefrau sich angesichts der Bundesregierung und deren autoritärer Umbaupläne um das Land sorgt, ermittelt wegen eines grauslichen Mordes. Am Ende werden die beiden Erzählstränge – mehrere Zufälle wollen das so – zusammengeführt.
Die teils absurden Fall-Verstrickungen weiß Franzobel sprachlich gekonnt in raschem Tempo auf die Spitze zu jagen. Dabei kommt die Geschichte alles andere als hochgestochen und abgehoben daher. Zwar spielen Bobos eine Rolle, in erster Linie aber „Proleten“ sowie Neureiche. Es geht um Antisemitismus, Ausländerhass, Vorurteile, Korruption bis in höchste politische Kreise – kurz: um das alltägliche Österreich. Und Franzobel zeigt die Mechanismen der Macht auf, wie die neue rechtsnationale Regierung herrscht, sich vor allem gekonnt in Propaganda übt und damit Erfolg hat.
Alles Ereignisse in der Zukunft im Jahr 2024. Parallelen zur aktuellen Regierung in Österreich liegen freilich auf der Hand. Etwa wenn der Innenminister „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ (sic) das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung übernimmt – und in „Amt des Glaubens“ umbenennt. Auch gibt es einen Vizekanzler, wobei sich der Kanzler und sein Vize mit „Meister“ und „Vizemeister“ anreden lassen, mit Husky-Augen. Das Finanzministerium wurde in „Ministerium für Wohlstand“ umbenannt, es gibt ein „Ministerium der Freude“ sowie harte Maßnahmen gegen Minderheiten, MigrantInnen und Homosexuelle. Der Meister führt seine Bewegung wie eine Sekte.
„Rechtswalzer“ ist deprimierend und unterhaltsam zugleich, spannend sowieso. Gewidmet hat Franzobel den Roman allen Kindern, „auf dass sie allen gesellschaftlichen Entwicklungen, die in Richtung Totalitarismus gehen, mutig trotzen“. Gut ist, dass er im letzten Kapitel noch eine positive Aussicht eingeflochten hat: „Auch das geht vorüber. Wichtig ist, dass wir unsere Würde nicht verlieren.“