Viele Handels-Angestellte gingen im Lockdown an ihre Belastungsgrenzen. Ein fairer Kollektivvertragsabschluss soll ihnen nun die nötige Wertschätzung entgegenbringen. Heute beginnen die KV Verhandlungen.
Das Jahr 2020 schwierig zu nennen, ist untertrieben. Mit der COVID-19-Krise ging ein Teil der Bevölkerung in Arbeit unter, ein anderer musste während des Lockdowns in Kurzarbeit gehen, viele Menschen verloren überhaupt ihren Arbeitsplatz.
Gewinner und Verlierer
Während viele Branchen wie die Gastronomie oder Kunstschaffende verzweifeln, können sich manche Geschäftszweige im Handel sogar über gute Umsätze freuen: Lebensmittel-Märkte etwa verzeichneten im zweiten Quartal beinahe neun Prozent mehr Umsatz. Ebenso rasant wuchsen die Umsätze im Internet- und Versandhandel: im März wurde ein Plus von 13,6 Prozent erzielt, im April waren es gar 26 Prozent mehr. Bei den elektrischen Geräten und Möbeln (dazu zählen auch die Baumärkte) hat es nach dem Lockdown Rekordumsätze gegeben. Im Mai gab es dabei einen Anstieg von 29,5 Prozent, im Juni von 20,2 Prozent. Ganz anders sah es bei Gütern wie Textilien und Schuhe aus – ein Rückgang von über 30 Prozent hat die Branche hart getroffen. Auch der KFZ-Handel musste ein Minus von 10 Prozent verdauen.
Fairer Abschluss verdient
Trotz dieser schwierigen Bedingungen erwarten sich die 420.000 Angestellten und 15.000 Lehrlinge im Handel einen fairen Kollektivvertragsabschluss. Dass die ersten Wochen der Corona-Krise gemeistert werden konnten, ist gerade auch den Beschäftigten im Handel zu verdanken. In Firmen und Geschäften, die durch die Krise weniger Einnahmen hatten, halfen sie ihren Arbeitgebern durch Kurzarbeit und durch den Abbau von Zeitguthaben und Urlaubstagen. In boomenden Branchen wie dem Lebensmittelhandel, machten sie den KundInnen durch ihren immensen Einsatz, die Verfügbarkeit und zig Überstunden auch viel Mut – selbst im größten Stress, lieferten sie gute Qualität. „In der Zeit des Lockdowns und danach haben die KollegInnen teilweise Übermenschliches geleistet. Vom Schlichten der Ware bis zu verloren gegangenen Umsätzen, die wieder aufgeholt wurden“, macht Martin Müllauer, Vorsitzender Wirtschaftsbereich Handel der GPA-djp, deutlich.
Jetzt muss die Balance zwischen Verantwortung für Arbeitsplätze und einer fairen Abgeltung der MitarbeiterInnen gefunden werden. Eine dieser extremen Situation auch angepasste KV-Erhöhung, die zumindest der Inflationsrate entspricht, ist daher angebracht. „Dem Handels-Kollektivvertrag kommt eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung zu“, weiß Martin Müllauer. Eine faire Gehaltserhöhung erhält und stärkt die Kaufkraft, für die österreichische Wirtschaft ist sie ein Antrieb – schließlich geht es um nicht weniger als 420.000 Menschen in diesem Land. „Der private Konsum ist mit eine der wichtigsten Stützen der österreichischen Volkswirtschaft“, erklärt auch Anita Palkovich, Wirtschaftsbereichssekretärin der GPA-djp und Verhandlungsführerin bei den Kollektivvertragsverhandlungen. Die Lohn- und Gehaltserhöhungen schaffen auch Konsum, der wiederum dem Handel zugutekommt. Immerhin 52 Prozent des österreichischen BIP (Bruttoinlandsprodukt) stammen aus Konsumausgaben der privaten Haushalte. Ein großer Teil der vom Handel gewährten Lohnerhöhungen fließt also auch wieder in den Handel zurück. „Der Handel hilft sich damit selbst, denn Handelsangestellte sind auch Konsumenten“, gibt Anita Palkovich zu bedenken. Eine Erhöhung ist auch deshalb wichtig, weil seit Oktober die Ausgaben der privaten Haushalte nachließen. Der wöchentliche BIP-Indikator der Österreichischen Nationalbank, zeigt auf, dass die verschärften Schutzmaßnahmen nach dem Sommer zu einem Rückgang des privaten Konsums führten. Im Interesse der Volkswirtschaft müssen daher diese Ausgaben wieder angekurbelt werden.
Applaus allein genügt nicht
Gerade im Lebensmittelhandel gilt: Die Heldinnen und Helden der Corona-Krise wollen nicht bloß beklatscht werden. Verhandlungsführerin Palkovich: „Die Wertschätzung für ihre Arbeit muss auch durch eine verpflichtende steuer- und abgabenfreie Corona-Prämie für Angestellte und Lehrlinge erfolgen“. Das gilt speziell für ArbeitnehmerInnen, die in trotz der Krise gut verdienenden Unternehmen arbeiten. MartinMüllauer: „Die Prämien sollten in Geld und nicht in Gutscheinen ausbezahlt werden – so können die MitarbeiterInnen selber entscheiden, wofür sie ihr Geld verwenden“. Natürlich soll dabei nach Betrieben differenziert werden. Die Prämien sollen Unternehmen zahlen, die im Lockdown gut verdienten, wie etwa der Lebensmittel- und der Einrichtungshandel.
Abgeltung der höheren Belastung
Gerade die extreme Arbeitsbelastung der letzten Monate darf nicht der neue Alltag vieler Handelsangestellten werden. „In Krisenzeiten haben wir zu wenig Personal und zu lange Arbeitszeiten – das stundenlange Tragen der MNS-Maske brachte viele KollegInnen noch schneller an ihre Leistungsgrenze. Es muss möglich sein, mehr durchzuschnaufen, um nachher auch gestärkt weiter arbeiten zu können“, führt Martin Müllauer aus. Längst sind die Belastungsgrenzen erreicht, doch das für alle wichtige Weihnachtsgeschäft steht noch bevor. Die GPA-djp fordert eine faire Abgeltung der Arbeitsbelastung und will neben den Themen Arbeitszeitverkürzung und Zuschläge auch die bezahlte MNS-Masken-Pause auf den Verhandlungstisch bringen. Anita Palkovich: „Wir müssen die besonders belastenden Arbeitszeiten auch über den Kollektivvertrag regulieren. Noch vor dem Weihnachtsgeschäft sind die Handelsangestellten an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, müssen aber durchhalten“. Die KV –Verhandlungen sind für Mittwoch 21.10. angesetzt, drei Termine sind bisher dafür geplant. Es wird spannend.
Handel in weiblicher (Teilzeit-)Hand
Mehr als 63 Prozent der Handelsangestellten sind Frauen, mehr als 57 Prozent unter ihnen arbeiten Teilzeit. Im gesamten Handel liegt die Teilzeitquote bei 38 Prozent. Der Lebensmittelhandel konnte im 2. Quartal einen Beschäftigungszuwachs von 0,9 Prozent verzeichnen – dagegen wurden 11,1 Prozent der ArbeitnehmerInnen im Textil-, Bekleidungs- und Schuhhandel abgebaut.