Die Arbeitsbedingungen haben sich aufgrund der Corona-Pandemie auch für Österreichs JournalistInnen verschärft. Viele werden dem Beruf Adieu sagen, rechnen ExpertInnen. Die intransparente Förderpolitik trübt die Zukunftsaussichten der Branche zusätzlich.
In Österreich sind 25 Prozent der journalistischen Arbeitsplätze in einem Dutzend Jahren verloren gegangen. Das hat der aktuelle Journalismus-Report des Medienhaus Wien (MHW) ermittelt. Demnach ist die Anzahl der JournalistInnen in den untersuchten Jahren 2006 sowie 2018/19 von 7067 auf 5346 gesunken. Weil Personal abgebaut oder Medien überhaupt eingestellt wurden. Der Rückgang ist dramatisch, während Künstliche Intelligenz (KI) bei Sprach- und Textarbeit fortschrittlicher wird. Die Corona-Krise setzt dem Beruf weiter zu. Sind journalistische Jobs vom Aussterben bedroht?
Nein, glaubt Eike Kullmann, Vorsitzender der Journalistengewerkschaft in der GPA-djp. Aber die negative Tendenz werde durch die momentane Abwärtsspirale verstärkt. Das Personal soll „auf 27 Hochzeiten tanzen“, mehrere Kanäle „omnifunktional“ bespielen, zusätzlich zu kernjournalistischen Aufgaben wie Recherche und Interview auch Video- und Fotomaterial sowie instantane Kurznachricht via Internet liefern – „dieser Spagat geht sich nicht aus“, so Kullmann im Interview mit der KOMPETENZ. Er rechnet damit, dass angesichts des Arbeitsdrucks die Fluktuation steigen wird.
Der Preis der Freiheit
Allgemein verstärken sich Schieflagen innerhalb von Branchen oder Berufsgruppen durch die Pandemie noch einmal. So hat der Journalismus-Report bereits davor die „zwei Welten von fixen und freien JournalistInnen“ in Umfragen bestätigt gefunden: Erstere zeigten sich zufrieden mit der beruflichen Sicherheit. Freiberufliche JournalistInnen schätzten die Flexibilität in Sachen Zeiteinteilung, Arbeitsbelastung oder Recherche – dafür zahlten sie aber schon bisher einen Preis, nämlich oftmals mangelnde berufliche Sicherheit und Bezahlung. Nun macht die Corona-Krise allen JournalistInnen das Leben schwer.
„Generell sind die Herausforderungen für Freie (JournalistInnen) besonders groß, denn sie arbeiten ohnehin oft unter prekären Bedingungen, es gibt kaum Absicherung“
Daniela Kraus
„Die ökonomische Lage der Medienhäuser verschlechtert sich, Diskurs und Kommunikation in den Redaktionen kann nur in ganz reduziertem Ausmaß stattfinden, informeller Austausch findet kaum statt, und auch die Recherche ist natürlich sehr verkompliziert“, erklärt Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclub Concordia und Mitherausgeberin des Journalismus-Report. „Generell sind die Herausforderungen für Freie besonders groß, denn sie arbeiten ohnehin oft unter prekären Bedingungen, es gibt kaum Absicherung, Modelle wie Kurzarbeit sind nicht möglich, die Akquisition von Aufträgen ist noch mühseliger, und für neue oder innovative Projekte gibt es kaum Fördermöglichkeiten – mit Ausnahme der Wiener Medieninitiative.“
Corona treibt Veränderung an
Andy Kaltenbrunner, der traditionell für das Projekt des Journalismus-Report federführend verantwortlich ist und derzeit an einer Corona-Begleitforschung arbeitet, bestätigt: „Corona hat die Transitionsprozesse, vor allem die digitalen, im Medienmarkt extrem beschleunigt.“ Journalistische Marken wurden wichtiger und mehr genutzt denn je. Andererseits gingen die Erlöse aus Vertrieb und Werbung deutlich zurück. Zwar wurde das teilweise durch die geförderte Kurzarbeit auch in Medienhäusern, vor allem aber durch öffentliche Sonderförderungen und Inseratenausgaben der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Unternehmen) aufgefangen. Die Abhängigkeit vieler Medien ist dadurch allerdings stark gestiegen. „Für das Verhältnis Medien und Politik, vor allem für unabhängigen Journalismus ist das natürlich nicht gut.“
Die symbiotische Verstrickung von Medien und Politik in Österreich wird im Journalismus-Report fundiert analysiert. „Österreichs Medienlandschaft ist anders“, heißt es da, aufgrund der hohen Fixierung auf Printmedien und deren nationale Reichweite – Vergleichbares gibt es in keinem anderen europäischen Staat. Nur in Japan haben gedruckte Tagesnachrichten immer noch solche Verbreitung wie in Österreich. Auch der österreichische Grad an Eigentumsverflechtung sucht seinesgleichen, insbesondere Konzentrationskonstruktionen wie die Mediaprint und die Styria-Gruppe.
Dass nach der Pandemie die Inserate sowie AbonnentInnen und KäuferInnen auch nur annähernd im Ausmaß wie vor 2020 zu den Traditionsmedien zurückkehren, sei nicht anzunehmen, so Andy Kaltenbrunner. Und seine Perspektive für Österreichs Journalismus ist alles andere als rosig. Wie Gewerkschafter Kullmann prognostiziert er ebenfalls einen weiteren Rückgang der JournalistInnen-Zahl – „vor allem, weil weitere traditionelle Medien eingestellt werden“. Für mehrere hundert Freie, die schon vorher vielfach zu prekären Bedingungen journalistisch gearbeitet haben, sind die Aussichten sehr schlecht. Während der Pandemie haben sie zusätzlich an Aufträgen verloren (Sparmaßnahmen sowie gestrichene Kulturberichte aufgrund geschlossener Kulturbetriebe etwa). „Viele werden den Beruf aufgeben“, meinen Kaltenbrunner und Kullmann unisono.
Neue digital Projekte
Positiv hervorzuheben ist, dass einzelne JournalistInnen gerade jetzt neue, digitale Projekte starten; zu nennen sind zum Beispiel „Die Chefredaktion“ von Melisa Erkurt und „Hashtag“ von Stefan Apfl. Im internationalen Vergleich tut sich hier in Österreich jedoch wenig. „Solche journalistische Start-Ups sind in Nord- und Südeuropa seit einem Jahrzehnt wichtige neue Player und Arbeitgeber für immer mehr JournalistInnen“, erläutert Andy Kaltenbrunner. So wie Concordia-Generalsekretärin Kraus moniert auch er die unzureichenden öffentlichen Fördermöglichkeiten für neue journalistische Projekte.
Die wachsenden Zahlungen aus Presse- oder Privatrundfunkförderung und Inserate würden, so Kaltenbrunner, im Moment ausschließlich bereits bestehende Medien unterstützen – und helfen, die dort immer größeren Budgetlöcher zu stopfen. „Noch dazu erfolgt die Vergabe der öffentlichen Inserate höchst intrasparent und ist immer stärker von persönlichen politischen Interessen der Entscheidungsträger, in den vergangenen Jahren vor allem der Ministerien und des Bundeskanzleramtes, abhängig. Das ist für Journalismus und Publikum eine Entwicklung in die falsche Richtung.“
Mit anderen Worten: „Wenn die Beschäftigung von immer weniger JournalistInnen immer stärker von der intransparenten Vergabe von öffentlichen Mitteln abhängig ist, dann ist das für Medien- und Meinungsvielfalt eine fatale Spirale von Qualität der demokratischen Öffentlichkeit nach unten.“