Im Unternehmen von Lasse Rheingans ist um 13.00 Uhr Feierabend. Aus dem Experiment des 5-Stunden-Tages wurde ein Dauermodell. Dahinter steckt auch eine besondere Haltung gegenüber den MitarbeiterInnen. Der Consulter ist überzeugt, „dass Menschen einen guten Job machen wollen, wenn sie morgens aufstehen.“
KOMPETENZ: Sie haben beim heurigen Festival „Tage der Utopie“ – einer Veranstaltung, die sich mit brennenden Zukunftsfragen beschäftigt – über den 5-Stunden-Tag in Ihrem Unternehmen referiert. Sind Arbeits(zeit)modelle wie dieses tatsächlich utopisch?
Lasse Rheingans: Ich glaube für die meisten Menschen ist das tatsächlich Utopie, weil immer noch die alten Muster gelten. Gerade auch in Österreich, wo ja der 12-Stunden-Tag verankert wurde. Ich denke aber, dass sich die Arbeitswelt und die Gesellschaft so ändern werden, dass unser Modell nicht mehr lange Utopie bleibt. Wir werden viel Wandel erleben, viele Modelle werden sich ändern – und der klassische 8-Stunden-Tag wird immer irrelevanter werden.
KOMPETENZ: Sie haben den 5-Stunden-Tag im Jahr 2017 eingeführt – bei vollem Gehalts- und Urlaubsanspruch. Was war der Anstoß für dieses Experiment?
Lasse Rheingans: Ich habe damals eine Firma, die ich gegründet hatte, verkauft. Und ich war wirklich erschöpft. Mir ist aufgefallen, dass ich eigentlich arbeitswillig bin und richtig Lust auf meinen Job habe. Gleichzeitig gab es aber immer wieder Phasen, wo ich im Büro gesessen bin und mir dachte: Was mache ich hier? Ich kann eigentlich nicht mehr arbeiten, der Druck ist zu hoch. Und Leute, die viel am Rechner arbeiten, kennen das Phänomen, dass man dann beginnt, Mini-Pausen zu machen, mit Freunden chattet oder Social-Media-Kanäle checkt. Aber das ist ja Quatsch. Nach dem Verkauf der Firma habe ich daher beschlossen: Ich will nicht mehr zurück in diese alte Arbeitswelt. Ich will nicht mehr im Büro sitzen müssen, weil irgendeine innere Stimme sagt, dass das gottgegeben ist. Daher habe ich begonnen zum Thema Arbeitsorganisation, neues Management zu recherchieren. Ein Buch aus Amerika hat sich mit dem 5-Stunden-Tag beschäftigt. Das hat mir wichtige Impulse gegeben. Wir müssen Arbeit neu denken – nicht, weil wir weniger arbeiten möchten, sondern weil es nicht mehr zeitgemäß ist, Arbeit in Zeit zu messen. Jeder, der darüber nachdenkt, wird feststellen, dass man im Büro Zeit einsparen kann – ohne, dass die Qualität darunter leidet.
„Wir müssen Arbeit neu denken – nicht, weil wir weniger arbeiten möchten, sondern weil es nicht mehr zeitgemäß ist, Arbeit in Zeit zu messen.“
Lasse Rheingans
KOMPETENZ: Wie ist es dann weitergegangen – von den Überlegungen hin zur praktischen Umsetzung?
Lasse Rheingans: Ich habe dann eine kleinere Agentur gekauft und mir fest vorgenommen, mit dem Team neu über Arbeit nachzudenken. Ich habe die zwölf MitarbeiterInnen gefragt, ob sie Lust auf ein Experiment haben: 5-Stunden-Arbeitstage bei vollem Gehalts- und Urlaubsanspruch. Natürlich mit der Prämisse, dass wir das Ergebnis schaffen müssen.
KOMPETENZ: Wie war die Reaktion der MitarbeiterInnen?
Lasse Rheingans: Sie haben sich zuerst gewundert und dachten: Der will uns testen. Wir haben dann gemeinsam die Prozesse analysiert. Dabei findet man so viele Phasen im Arbeitsalltag, die nicht produktiv sind – von der Mittagspause bis zum Tratsch an der Kaffeemaschine. Mein Antrieb war es, das bestmögliche Arbeitsumfeld zu schaffen und parallel dazu alles aus dem Weg zu räumen, was bei der Arbeit stört.
KOMPETENZ: Was stört bei der Arbeit?
Lasse Rheingans: Es gibt sehr viel Zeit, die in Unternehmen verschenkt wird: Meetings, die für eine Stunde angesetzt sind, obwohl sie viel schneller gehen könnten oder E-Mails, die hin und her geschickt werden. Jeder kennt das. Wir haben uns diese Prozesse angesehen und wöchentlich in einem sehr ehrlichen Austausch evaluiert. Wir haben auch das Büro umgebaut, um für mehr Ruhe zu sorgen und technologisch neue Prozesse aufgesetzt – wer kümmert sich um E-Mails, wie sieht die Kommunikation mit den Kunden aus etc. Wir waren hier immer im Fluss. Außerdem hat ein externer Supervisor die Umstellung begleitet.
KOMPETENZ: Wie verändert eine so gravierende Umstellung die Unternehmenskultur – vor allem, wenn es um die sozialen Beziehungen geht? Nicht jeder Kaffee-Tratsch muss unproduktiv sein – manchmal entstehen dabei ja auch Ideen.
Lasse Rheingans: Das stimmt schon. Wir haben irgendwann herausgefunden: Um den 5-Stunden-Tag leben zu können, brauchen wir mehr Team-Events in der Freizeit. Sonst leiden die Beziehungen untereinander und das wirkt sich wieder negativ auf die Arbeit aus. Wir haben als Konsequenz mehrere freiwillige Angebote gemacht – zum Beispiel gemeinsam Kochen am Freitag um 13.00, also nach Feierabend. Oder Montag Mittag eine Yoga-Stunde. Was wir aber auch beobachten konnten war, dass die MitarbeiterInnen in ihrer längeren Freizeit Spaziergänge in der Natur gemacht oder wieder Sprachen gelernt haben – und dabei kreative Ideen für ihre Arbeit hatten.
KOMPETENZ: Offenbar hat sich der Ansatz bewährt – aus dem Experiment wurde ein Dauermodell.
„Aber wir haben es geschafft, die Produktivität zu halten, obwohl wir jeden Tag 40 Prozent weniger Zeit aufwenden.“
Lasse Rheingans
Lasse Rheingans: Ja. Ich habe immer gesagt: Wir haben eigentlich nichts zu befürchten. Wenn es nicht funktioniert, können wir jederzeit reagieren und abbrechen. Aber wir haben es geschafft, die Produktivität zu halten, obwohl wir jeden Tag 40 Prozent weniger Zeit aufwenden.
KOMPETENZ: Wie haben die Kunden darauf reagiert – Stichwort: Erreichbarkeit? Bei Ihnen gilt eine Kernzeit von 8.00 – 13.00 Uhr.
Lasse Rheingans: Wir haben das offen an die Kunden kommuniziert. Wenn man das plant und abspricht, ist es kein Problem. Unser Projektgeschäft ist mit ganz klaren Prozessen, Deadlines, Projektmanagement und auch wöchentlichen Routinen mit dem Kunden verbunden, wo alles nachvollziehbar ist. Und wenn es doch einmal einen Notfall gibt, lassen wir auch niemanden hängen. Aber jetzt kommt ein interessanter Punkt: Wenn jeder Kollege und jede Kollegin jeden Tag drei bis vier Stunden mehr Freizeit hat, dann ist die Bereitschaft für Notfalleinsätze zwischendurch, sei es auch am Abend oder am Wochenende, wesentlich größer.
KOMPETENZ: Ihre Geschäftspartner erwarten also keinen Support 24/7?
Lasse Rheingans: Ich hatte vor 15 Jahren sehr wohl Kunden, die mich abends um halb zehn angerufen haben. Aber das ist auch eine Haltungsfrage. Ich möchte nicht für Konzerne arbeiten, die uns als Dienstleister misshandeln. Wenn jemand 24/7 erwartet, dann haben wir diesen Kunden eben nicht. Ich finde das Machtgehabe, das hier dahintersteckt, grundfalsch.
KOMPETENZ: Sie arbeiten im Bereich Consulting/Kreativwirtschaft. Ist der 5-Stunden-Tag auch in anderen Branchen möglich?
Lasse Rheingans: Auf jeden Fall. Man muss ja die Frage stellen: Welche Branche ist nicht von massivem Wandel betroffen – wie etwa der Digitalisierung? Da gibt es eigentlich keinen Bereich. Wenn wir uns die Produktion ansehen, da haben wir seit Jahrzehnten die Diskussion rund um Robotik und Automatisierung. Hier müssen wir uns Gedanken machen wie wir die Menschen anders einsetzen. Und da sind wir wieder bei den menschlichen Talenten und Stärken, auf die es ankommt.
KOMPETENZ: Welche Voraussetzungen braucht es seitens der MitarbeiterInnen und des Managements, um diesen Wandel zu schaffen? Oder anders gefragt: Wo lauern die größten Hürden?
Lasse Rheingans: Ich glaube, dass wir im Management oftmals nicht die Haltung mitbringen, den Menschen positiv gegenüberzustehen. Ich bin überzeugt, dass Menschen einen guten Job machen wollen, wenn sie morgens aufstehen. Vielen Führungskräften fehlt es aber an der Haltung, dass Menschen gut sind. Sie sind häufig eher der Ansicht, Menschen müssen gezwungen werden und es braucht Druck, um Leistung zu erhalten. Wenn Menschen aber dort eingesetzt werden, wo ihre Stärken, Interessen und Talente liegen, kann wunderbares entstehen – intrinsisch motiviert.
„Denn nur wer gesund und zufrieden ist, kann auch einen guten Job machen.“
Lasse Rheingans
KOMPETENZ: Das spannt den Bogen zu einem grundsätzlichen Thema: Die Zukunft der Arbeit. Welche Eckpfeiler würden Sie hier einschlagen?
Lasse Rheingans: Das ist genau die Frage: Was macht unsere Arbeit aus? Wir brauchen Menschen, die mit ihren Potenzialen, ihren Stärken und Interessen den Job machen, den sie wirklich lieben. Wir sind nicht mehr in der Zeit der Industrialisierung, sondern in der Zeit, wo wir als Menschen gute Arbeit machen müssen. Und da gehört es dazu, dass wir uns gut fühlen. Denn nur wer gesund und zufrieden ist, kann auch einen guten Job machen. Wenn man Angst hat oder in einer prekären Situation ist, kann man nicht gut arbeiten, weil man gehemmt ist. Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir alle rund um die Uhr funktionieren müssen.
Zur Person:
Lasse Rheingans ist Geschäftsführer der Rheingans GmbH mit Sitz im deutschen Bielefeld. Das Unternehmen mit rund 15 MitarbeiterInnen ist auf die strategische Beratung von Firmen und Führungskräften spezialisiert – mit Schwerpunkt Digitalisierung.