Ein Streik in Schweden ist äußerst unüblich. Im Fall von Tesla ist aber alles anders. Nicht nur aufgrund der Dauer des Streiks, sondern auch wegen der grenzüberschreitendenden Solidarität. Die KOMPETENZ sprach dazu mit dem Ökonomen Jonathan Herlitz der schwedischen Gewerkschaft IF Metall und dem Tesla-Mechaniker Jānis Kuzma.
KOMPETENZ: Worum geht es bei dem Streik?
JONATHAN HERLITZ: Der Hauptkonflikt ist, dass wir einen Kollektivvertrag mit Tesla erreichen wollen, dieses Vorhaben von der Arbeitgeberseite aber abgelehnt wird. In den letzten fünf Jahren haben wir versucht, dies mit Gesprächen zu lösen, hatten aber keinen Erfolg, weshalb seit dem 27. Oktober 2023 gestreikt wird. Das ist der längste Arbeitskampf, den wir in den letzten 80 Jahren hatten. Dabei geht es um 130 Mechaniker, für die wir einen Kollektivvertrag einfordern.
Wie ist der Streik anfangs abgelaufen?
HERLITZ: Als wir mit dem Streik begonnen haben, haben wir zuerst nur bei Tesla gestreikt. Aber dann hat Tesla Streikbrechereingesetzt: Arbeitskräfte aus dem Ausland wurden als Ersatz eingeflogen. Das werten wir als klare Bedrohung für das schwedische Modell. Seit 1938 gibt es das Abkommen von Saltsjöbaden, das eine stabile Verhandlungsgrundlage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerdarstellt. Ein zentraler Punkt davon ist, keine Streikbrecherzu verwenden. Und genau diese Praxis beobachten wir nun bei Tesla.
Was hat der Einsatz von Streikbrecherbedeutet?
HERLITZ: Andere Gewerkschaften haben sich mit sogenannten „Sympathie-Streiks“ solidarisch gezeigt. Zum Beispiel die Transport-Gewerkschaft, die keine Tesla-Autos an den Häfen entlädt. Der Grund, warum so viele schwedische Gewerkschaften in diesen Konflikt involviert sind, liegt auch darin, dass er von Bedeutung für das gesamte schwedische Modell ist. Wir müssen sicherstellen, dass große Unternehmen aus anderen Ländern sich den schwedischen Regeln anpassen, nicht umgekehrt. Ein Kollektivvertrag sorgt für Arbeitsbedingungen, die nicht von heute auf morgen vom Arbeitgeber verändert werden können. Das umfasst etwa die Möglichkeit von Altersteilzeit, eine jährliche Einkommensanpassung, aber auch eine Arbeitszeitverkürzung. Darauf haben die Beschäftigten bei Tesla keinen Anspruch.
Gab es auch Kampfmaßnahmen außerhalb von Schweden?
HERLITZ: Norwegische, dänische und finnische Gewerkschaften haben sich solidarisch erklärt und haben die Häfen in ihren Ländern für Tesla blockiert, um Lieferungen nach Schweden zu erschweren. Daraufhin hat Tesla die Autos über Straßenverkehr nach Schweden transportiert. Das ist für das Unternehmen deutlich kostspieliger. Dass es überhaupt möglich war, über die Ländergrenzen hinweg zu streiken, ist dem skandinavischen Modell zu verdanken – dieses erlaubt solche Maßnahmen.
Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen?
HERLITZ: Seit April gibt es keine Gespräche mehr. Ich denke, dass Tesla Angst vor einem Kollektivvertrag in Schweden hat, weil dann andere Werkstätten folgen könnten, etwa beim großen Standort in Berlin oder in den USA. Dabei ist spannend: Zu Beginn des Konflikts dachten wir, dass die Entscheidung über einen Kollektivvertrag in den USA gefällt wird. Aber in einem vor kurzem veröffentlichten Interview hat das schwedische Management erklärt, dass es die Entscheidung selber treffen könne. Diese Personen können sich also nicht mehr hinter Elon Musk verstecken.
So geht es Jānis Kuzma, Tesla-Mechaniker
KOMPETENZ: Welche Haltung hatte Tesla in den letzten Jahren gegenüber Gewerkschaften?
JĀNIS KUZMA: In Malmö, wo ich in einer Tesla-Werkstatt arbeite, war das Management der Gewerkschaft IF Metall gegenüber anfangs noch recht aufgeschlossen. Ein halbes Jahr vor dem Streik begann die Situation dann aber schlechter zu werden. Die zuvor genannten Manager, die keine Probleme mit IF Metall hatten und es erlaubten, dass die Gewerkschaft Treffen mit den Beschäftigten abhalten konnte, wurden zum Teil entlassen. Danach wurden solche Treffen nicht mehr erlaubt. Gleichzeitig kündigten Beschäftigte, weil sie sahen, dass etwas im Unternehmen falsch läuft.
Was für Folgen hatte diese Abkehr von einem gewerkschaftsfreundlicheren Management?
KUZMA: Es gab keinen Dialog mehr zwischen den Beschäftigten und dem Management. Eines Tages kamen wir zur Arbeit und unsere Stühle waren entfernt worden, mit der Begründung, dass wir arbeiten sollten. Dabei brauchen wir diese Sitzgelegenheiten, wenn wir etwa Reparaturen dokumentieren.
Wie kam es schließlich zum Streik bei Tesla?
KUZMA: IF Metall hat uns gesagt, wenn so vieles schief läuft und man kein Gehör findet, sollten wir gemeinsam über die Möglichkeit eines Streiks nachdenken. Nach mehreren Sitzungen haben wir schließlich beschlossen, für einen Kollektivvertrag zu streiken. Bis zu dem ersten Tag des Streiks gab es viele Treffen, da viele Beschäftigte sich nicht wirklich vorstellen konnten zu streiken, weil es in Schweden sehr selten dazu kommt.
Wurde das am Arbeitsplatz geduldet?
KUZMA: Kurz vor dem Streik wurde uns in einem Meeting mitgeteilt, dass jeder, der streiken will, alle Schlüssel, Ausweise, Computer etc. abgeben muss. Die Botschaft war klar: Wenn du streikst, bist du hier nicht mehr willkommen. Ohne dass sie es explizit ausgesprochen hatten, aber das war die Stimmung, die sie erzeugt haben.
Am Tag des Streiks bin ich in die Werkstatt gegangen. Der Manager war überrascht, als er erfuhr, dass ich beim Streik mitmache. Nachdem ich alle Gegenstände abgegeben hatte, teilte er mir mit, dass ich unverzüglich das Gebäude zu verlassen habe. Ich fragte ihn, ob ich mich wenigstens von meinen Kolleg, die nicht streiken, verabschieden könnte. Er verneinte.
Wie ist die aktuelle Situation in den Werkstätten?
KUZMA: So wie ich es verstehe, hat Tesla seither versucht, die Arbeitsbedingungen dem Kollektivvertrag entsprechend anzunähern. Das tun sie, damit sie sagen können, dass wir keinen Kollektivvertrag brauchen – aber das stimmt nicht! Nach einem Jahr können sie dann eigenmächtig entscheiden, was gekürzt wird, weil ohne Kollektivvertrag nichts in Stein gemeißelt ist. Es braucht jedoch eine feste Vereinbarung, die eindeutige Regeln hat. Dabei geht es mir nicht um mich, sondern vielmehr um die Zukunft, um die nächste Generation, die auch arbeiten wird – und auch gewerkschaftliche Strukturen brauchen wird.