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Hohe Kinderzahlen, fehlende Unterstützung, engagierte Pädagog:innen am Anschlag: Was sich in der Elementarpädagogik dringend ändern muss.
Seit Jahren fordern Betriebsrät:innen, Personalvertretungen und Gewerkschaften bessere Rahmenbedingungen in der Elementarpädagogik: kleinere Gruppen, bessere Fachkraft-Kind-Schlüssel und eine gesetzlich geregelte Zeit für Vor- und Nachbereitung. Seit 2021 trugen Pädagog:innen ihren Unmut lautstark auf die Straße. Doch wie sieht die Realität heute aus? Drei Perspektiven aus Praxis, Gewerkschaft und einer Initiative geben Einblick in ein System, das längst an seine Grenzen stößt.
Der Alltag – oft ein „durchwurschteln“
Elementarpädagog:innen finden in ganz Österreich unterschiedliche Arbeitsbedingungen vor. Eines haben aber alle gemeinsam: Fallen Elementarpädagog:innen oder Assistent:innen aus, gerät der Alltag schnell ins Wanken. Unerwartete Krankenstände oder plötzliche Kündigungen können durch den allgemeinen Fachkräftemangel nur schleppend ausgeglichen werden. Durch die hohe Belastung der Elementarpädagog:innen sind diese aber nicht selten.
„Viele meiner Kolleg:innen sagen: ‚Wenn alle gehen, wird’s ja nicht besser‘.“
Daniela, ehemalige Elementarpädagogin
Daniela ist 35 Jahre alt und war über ein Jahrzehnt lang in der Elementarpädagogik tätig – als gruppenführende Pädagogin, Springerin und auch Leiterin eines Kindergartens in Wien. 2022 ist sie ausgestiegen. Nicht, weil sie den Beruf nicht mochte. Im Gegenteil: „Ich habe mich wohlgefühlt in meiner Arbeit und in meiner Rolle.“ Nach ihrem Studium im Bereich Sozialer Arbeit, das sie berufsbegleitend absolvierte, wollte sie in ihrer neuen Profession arbeiten. „Wir haben uns im Leitungsteam gegenseitig gut unterstützt und konnten dadurch den Fachkräftemangel oft kompensieren. Aber das war sicher nicht überall so. Generell ist die Gruppengröße ein Riesenthema – das weiß man ja auch aus der Wissenschaft“, erzählt sie.
„Es müsste möglich sein, dass frühkindliche Einrichtungen ganzheitlicher arbeiten können – gemeinsam mit den Eltern, auf Augenhöhe“, sagt sie. Doch genau das fehlte: Anlaufstellen, bei denen Familien frühzeitig begleitet werden – in einem Rahmen, der Vertrauen schafft. „Der Kindergarten wäre dafür ideal. Aber das System sieht es nicht vor.“
Ein weiteres Problem sieht sie in der fehlenden Akademisierung: „Österreich ist eines der wenigen Länder in Europa, in dem die Ausbildung nicht auf tertiärer Ebene stattfindet.“ Das erschwere eine professionelle, zukunftsorientierte Ausgestaltung des Berufs. Dennoch betont Daniela, dass sich in den letzten Jahren Dinge verbessert haben – etwa beim Gehalt oder bei den Assitent:innenstunden. „40 Stunden Assistenz pro Gruppe waren definitiv eine Entlastung“, sagt sie. Aber: „Ohne Assistentinnen läuft der Betrieb nicht – und trotzdem verdienen sie kaum etwas. Das ist frustrierend.“
Rahmenbedingungen Hauptgrund für Kündigungen
Für viele Kolleg:innen, so berichtet sie, sei das nicht das Gehalt der Grund für eine Kündigung, sondern die Bedingungen. „Es ist einfach ernüchternd, wenn man weiß, was pädagogisch möglich wäre – und dann ständig an Grenzen stößt.“ Dass so viele trotzdem bleiben, zeige, wie ernst sie ihren Bildungsauftrag nehmen. „Aber ideal ist das nicht. Man sollte seine Arbeit nicht nur ‚aushalten‘ müssen.“
Als Pädagogin hat Daniela erlebt, wie schwer es ist, den Spagat zwischen Betreuung, Bildungsauftrag und Erwartungen der Träger zu meistern – vor allem bei übervollen Gruppen. „25 Kinder pro Gruppe – das ist nach wie vor Realität“, sagt sie. Auch bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen habe es oft an Unterstützung gefehlt.
Arbeitsverdichtung wächst
Karin Wilflingseder, Vorsitzende der Themenplattform Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik in der GPA Wien, kennt die Herausforderungen im inklusiven Bereich gut. Im Oktober 2024 trat in Wien ein neues Inklusionsgesetz in Kraft, das zunächst für Unmut sorgte: „Wir haben in der kurzen Vorlaufszeit im Sommer klargemacht, was an Ressourcen notwendig wäre, um Kinder gut zu fördern. Nichts davon wurde umgesetzt“, so Wilflingseder.
„Wir bilden genug Pädagog:innen aus – untätige Politiker:innen vertreiben sie nur ganz schnell wieder aus dem Beruf.“
Karin Wilflingseder, Themenplattform Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik in der GPA Wien
Die versprochenen Förderungen kamen erst gegen Ende des Kindergartenjahres an – und fielen deutlich geringer aus als erhofft. „Die ohnehin überarbeiteten Kolleginnen haben fast das ganze Kindergartenjahr zum Nulltarif gearbeitet – also ohne zusätzliche Vorbereitungszeit, Zulagen oder irgendwelche zusätzlichen Maßnahmen“, kritisiert Wilflingseder.

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Besonders bitter: Statt Entlastung brachte das Gesetz eine massive Arbeitsverdichtung. „Wir haben zudem zu wenig Personal, das entsprechend ausgebildet ist“, berichtet sie. Das neue Gesetzt besagt: Maximal zwei diagnostizierte Kinder mit erhöhtem Förderbedarf pro Gruppe sind erlaubt. „In der Praxis sind es häufig mehr Kinder mit erhöhtem Förderbedarf – nämlich jene, die noch keine Diagnose haben“, so Wilflingseder. Sie fordert: „Wir bräuchten dringend eine geringere Kinderanzahl pro Gruppe.“
Dazu braucht es aber auch Fachkräfte – ein Teufelskreis. „Viele Pädagoginnen haben den Beruf verlassen. Häufig werden Assistent:innen ohne Ausbildung anstelle fehlender Pädagog:innen eingesetzt. Sie verdienen extrem schlecht und betreuen Kinder mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Das ist für mich ein Bildungsskandal“, betont Wilflingseder.
„Es geht um Chancengleichheit“
Für Viktoria Miffek-Pock vom Verein EDUCARE steht das Wohl der Kinder im Mittelpunkt. Doch die aktuellen Bedingungen lassen Bildungsarbeit oft nicht zu. „Die größte Herausforderung ist, dass es unter den aktuellen Rahmenbedingungen sehr schwierig ist den Kindern ganz individuell zu begegnen und adäquat auf die unterschiedlichen Bedürfnisse zu reagieren. Die Frage ist also: Wie können die Menschen, die mit diesen Kindern arbeiten, diesen Bedürfnissen gerecht werden?“, so Miffek-Pock.
„Die größte Herausforderung ist, dass es unter den aktuellen Rahmenbedingungen sehr schwierig ist den Kindern ganz individuell zu begegnen und adäquat auf die unterschiedlichen Bedürfnisse zu reagieren. “
Viktoria Miffek-Pock, EDUCARE
„Wir sind leider noch weit vom Ideal entfernt – unter anderem wegen des schlechten Fachkraft-Kind-Schlüssels. Die wissenschaftlichen Empfehlungen sehen da ganz andere Verhältnisse vor“, betont die Sprecherin von EDUCARE.
Ein Lichtblick sei das TSI-Projekt, das zwischen 2022 und 2024 vom Bildungsministerium, der EU-Kommission und der UNICEF initiiert und begleitet wurde. Es liefert Empfehlungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Kindergärten – etwa kleinere Gruppen und eine qualifizierte Ausbildung der Elementarpädagog:innen. „Diese Empfehlungen dürfen nicht in der Schublade verschwinden“, warnt Miffek-Pock.
Zwar gibt es auf Länderebene positive Beispiele – wie einen Fachkraft-Kind-Schlüssel von acht Kinder pro Elementarpädagog:in in Salzburg oder zehn Stunden Vorbereitungszeit in der Steiermark –, doch das Nebeneinander verschiedener Regelungen erschwert eine nationale Strategie. Langfristig müsse mehr investiert werden, betont Miffek-Pock. „Im EU-Vergleich liegt Österreich im Mittelfeld – dabei sind elementarpädagogische Bildungseinrichtungen die erste Bildungsinstitution im Leben eines Kindes. Bessere Rahmenbedingungen zahlen sich gesellschaftlich aus.“
Fazit:
Ob aus Sicht der Pädagog:innen, der Gewerkschaft oder der Forschung – die Botschaft ist klar: Es braucht konkrete Maßnahmen, um den Beruf attraktiv zu machen und Kindern die Unterstützung zu bieten, die sie verdienen.