
Die KOMPETENZ hat mit Laura Šukarov-Eischer aus der internationalen Abteilung der GPA und der GPA-Datenschutzexpertin Clara Fritsch darüber gesprochen, was der von der EU-Kommission vorgestellte digitale Omnibus für den Arbeitsplatz bedeutet.
KOMPETENZ: Die EU-Kommission hat den digitalen Omnibus im November veröffentlicht, um, wie sie sagt, die Wettbewerbsfähigkeit im digitalen Raum zu erhöhen. Was hat es damit auf sich?
Clara Fritsch: „Vereinfachung“ ist so ein schönes Wort, natürlich sind alle dafür und sagen sofort „Na klar wollen wir das!“ Die Wahrheit ist in diesem Fall aber: Man kommt einfach den Interessen größerer Unternehmen entgegen. „Vereinfachung“ ist also ein Etikettenschwindel.
Laura Šukarov-Eischer: Hier wird ganz gezielt mit dem Narrativ der Vereinfachung gearbeitet, um mit einem Omnibus oder Sammelgesetz – wie der Name sagt – ganz viele Regeln auf einmal zu ändern. Das Problem ist aber auch in diesem Fall: Es werden ganz handfeste Rechte von Beschäftigten wegfallen. Das werden Kolleg:innen und Betriebsrät:innen auch konkret spüren.
KOMPETENZ: Wenn Beschäftigte Rechte verlieren, drängt sich die Frage auf, inwiefern sie eingebunden wurden. Wie ist dieser Omnibus entstanden?
Laura Šukarov-Eischer: Der Entstehungsprozess ist demokratiepolitisch extrem fragwürdig. Bei den aktuellen Omnibus-Projekten werden durch den gezielten Einsatz von Notfallklauseln Eilverfahren ausgelöst, auch wenn gar kein Notfall vorliegt. Wichtige Schritte, die absichern, dass EU-Gesetze demokratisch entstehen, werden dabei verkürzt oder ganz übersprungen, wie beispielsweise Folgenabschätzungen oder öffentliche Konsultationen.
Indirekt erhält dadurch die EU-Kommission mehr Macht, weil es weniger Gelegenheit gibt, sich zu einem von ihr vorgelegten Gesetzesvorschlag zu äußern und für Verbesserungen zu argumentieren. Oberflächliche Folgenabschätzungen und Konsultationen im Miniformat schränken auch die Ressourcen des EU-Parlaments ein, das traditionell am meisten auf die Rückmeldungen von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft gehört hat.
„Vom Omnibus sind besonders jene betroffen, die sowieso schon zu einer vulnerablen Gruppe gehören und nicht gut für sich einstehen können.“
Clara Fritsch
KOMPETENZ: Was waren die ersten Reaktionen auf diesen Omnibus?
Clara Fritsch: NGOs haben sofort „Obacht“ geschrien, aber auch mehrere EU-Institutionen haben Bedenken geäußert – ein ungewöhnlicher Schritt. Das ist dann nicht mehr so leicht von der Hand zu weisen, wenn auch aus dieser Richtung Kritik kommt. Dieser Omnibus ist ein schwer durchschaubares Puzzle. Auf knapp 160 Seiten steht eben nicht „hier ist das Kapitel, das den Datenschutz betrifft, hier das Kapitel zum Thema Künstliche Intelligenz“, sondern es sind eigentlich viele Seiten Prosa, in denen diese Einschnitte unter vielen Überschriften versteckt sind. Auch das ist eine sonderbare Vorgehensweise.
KOMPETENZ: Der Omnibus vereinfacht den Zugriff auf Daten von Beschäftigten massiv. Musk, Bezos, Zuckerberg und Co. dürften sich freuen. Ist das ein Kniefall vor US-amerikanischen Interessen?
Laura Šukarov-Eischer: Jein. Hier werden eindeutig die Präferenzen einzelner Tech-Konzerne bedient. Keine Vorteile gibt es aber für die US-amerikanische Bevölkerung. Schon beim Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, das im Juli geschlossen wurde, ist der digitale Omnibus in einem Nebensatz angedeutet. Hier wurden unsere Gesetze für den digitalen Raum als Problem für US-Interessen dargestellt, obwohl es in Wirklichkeit nur um die Profitinteressen einzelner US-Tech-Konzerne geht.
Clara Fritsch: Ich benutze gerne das Bild eines Schutzwalls, den die europäische DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) darstellt. In diesen Wall wird durch den digitalen Omnibus nicht nur ein kleines Loch gebohrt, sondern ein Basistunnel geschaffen! Man lässt die Tech-Konzerne einfach hinein und setzt ihnen noch weniger Schranken!
KOMPETENZ: Wie wirkt sich das konkret auf Beschäftigte aus?
Clara Fritsch: Durch den digitalen Omnibus sollen Beschäftigte und Betriebsrät:innen stark eingeschränkt werden, wenn es darum geht, ob und wie ihre Daten einer KI zugeführt werden. Soll heißen, meine Daten werden zum Trainieren einer KI genutzt, mein Arbeitgeber teilt mir das nicht einmal mit, und im Endeffekt spüre ich die Konsequenzen, ohne zu wissen, woher sie kommen.
Eine Konsequenz könnte sein, dass ich weniger Aufträge erhalte oder keine Prämie bekomme, weil das eine KI entscheidet. Noch weiter gedacht: Mein Arbeitgeber könnte anhand meiner Daten auf meinen Gesundheitszustand schließen. Diese sonst höchst schützenswerten Daten wären durch den vorgestellten Omnibus viel leichter verarbeitbar!
Es muss aber betont werden, dass das österreichische Recht klare Regelungen vorsieht und nicht außer Kraft gesetzt werden würde. In Österreich hat der Betriebsrat, was Mitsprache angeht, beide Füße in der Tür. Bei uns muss bei der Verwendung personenbezogener Daten informiert werden und eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden, wenn das über die gesetzlich erforderlichen Datenverarbeitungen hinausgeht.
KOMPETENZ: Die EU-Kommission schreibt, dass der digitale Omnibus „verantwortungsvollen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft“. Wie viel Wahrheit steckt hinter der Aussage?
Laura Šukarov-Eischer: Unternehmen in der EU erhalten keinen echten Vorteil. Dieser angepriesene „Wettbewerbsvorteil“ gilt für alle Unternehmen, unabhängig davon, ob sie europäisch sind oder nicht. Das Kräfteverhältnis zur US-Konkurrenz ist also unverändert.
Es werden Rechte von Arbeitnehmer:innen abgebaut, ohne dass dem ein Plus gegenüberstünde. Dadurch gewinnt die europäische Wirtschaft überhaupt nicht.
Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen ist Planbarkeit bei solchen grundlegenden Veränderungsprozess wichtig. Durch solche Eilverfahren entsteht aber Unsicherheit, da auch bestehende Regelungen, wie etwa die DSGVO, angegriffen werden. Die Ressourcen, sich auch kurzfristigen Regeländerungen anzupassen, haben aber vor allem große Konzerne. Das Narrativ man würde hier vor allem KMU schützen, ist schlicht falsch.
Clara Fritsch: Wenn ich Zugriff auf ganz viele Daten von Beschäftigten innerhalb von Europa erlaube, stellt sich die Frage, wer davon profitiert. Vor allem US-amerikanische Firmen, die an neuen Modellen für KI, wie zum Beispiel Chatbots im Callcenter arbeiten. Das bringt europäischen Unternehmen wenig, und kleinen Firmen gar nichts!
„Dieses Grundprinzip des Interessenausgleichs, das massiv zur sozialen Stabilität in Europa beigetragen hat, wird gerade angegriffen!“
Laura Šukarov-Eischer
KOMPETENZ: Das heißt, es wird nicht alles einfacher, wie versprochen?
Laura Šukarov-Eischer: Mit der neuen EU-Kommission und einem sehr rechten EU-Parlament gibt es immer wieder Gefälligkeitsdienste für Unternehmen, die profitgetrieben sind – statt ernsthaft über sinnvolle Vereinfachung zu diskutieren. Leider wird auch nicht genug unterschieden zwischen Bedürfnissen einerseits und Präferenzen andererseits von Unternehmen. Ein Bedürfnis wäre, dass innovative Technologien gefördert werden. Dafür setzen sich auch Gewerkschaften ein, denn wir alle sind an einer starken Wirtschaft interessiert. Es ist aber eine reine Präferenz, dass dies ohne Mitsprache der Beschäftigten und vorgeschriebene Abläufe passiert – darf aber nicht geschehen, denn hier bleiben Kolleg:innen auf der Strecke.
Beim digitalen Omnibus geht es nicht darum, dass wir zum Beispiel nicht genug in eine gewisse Forschungsrichtung investiert haben und jetzt Aufholbedarf haben. Nein, man sägt hier am für Europa so wichtigen Interessenausgleich. Schon in frühen EU-Papieren steht, dass wir auch innerhalb der EU keine großen Unterschiede im Wohlstand haben wollen, weil das Gesellschaften destabilisiert. Dieses Grundprinzip des Interessenausgleichs, das massiv zur sozialen Stabilität in Europa beigetragen hat, wird gerade angegriffen!
KOMPETENZ: Also ein demokratiepolitischer Angriff, getarnt als große Vereinfachung?
Clara Fritsch: Das trifft insbesondere am Arbeitsplatz zu. Als Bürger:in kann ich mich entscheiden, Tools nicht zu verwenden – das geht so in der Arbeit nicht. Wenn mein Arbeitgeber durch den digitalen Omnibus vollen Zugriff auf meine Tätigkeiten am Handy und Firmenlaptop bekommt, ist das ein klarer Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte!
Mein:e Arbeitgeber:in muss nämlich nicht jede Sekunde wissen, wo ich bin und was ich gerade mache. Ob ich mich zum Beispiel mit meinem Betriebsrat austausche, was mein Recht ist, geht ihn oder sie nichts an. Durch einen umfassenderen Zugriff auf Arbeitsgeräte ist das gefährdet. Das muss nicht einmal konkret passieren, allein durch das Wissen über die Zugriffsmöglichkeit entsteht eine Barriere, mich an meinen Betriebsrat zu wenden.
KOMPETENZ: Der digitale Omnibus ist quasi noch druckfrisch. Lässt sich da noch etwas verändern?
Laura Šukarov-Eischer: Die Kommission betreibt gerade ein „Flooding the zone“, wo ganz viel auf einmal kommt, um es Kritiker:innen wie Gewerkschaften zu erschweren, angemessen Position zu beziehen. Selbstverständlich tun wir das trotzdem, aktuell vernetzen wir uns, bündeln Expertise und erarbeiten Verbesserungsvorschläge.
Es wird unsere Aufgabe sein, beim EU-Parlament und beim EU-Rat Überzeugungsarbeit zu leisten. Noch ist nicht gesagt, dass der digitale Omnibus in dieser Form in Kraft tritt. Hier sehen wir auch schon erste Verbündete: Es gibt innerhalb des EU-Parlaments bereits Stimmen, die schon jetzt laut Kritik üben. Das stärkt auch unsere Position!
Clara Fritsch: Außerdem stimmt das EU-Parlament bald über die „Artificial intelligence pro workers Initiative“ ab, die darauf abzielt, den Einsatz von KI am Arbeitsplatz zu regulieren und den Beschäftigten EU-weit einheitliche Rechte zu verankern. Das stellt ein Gegengewicht zu dem dar, was der Omnibus macht. Es gibt also Hoffnung!
