
Alexandra Beran ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende beim Wiener Standort von Boehringer Ingelheim. Vielseitig interessiert und vielfach ausgebildet, vertritt sie knapp 3.400 Kolleg:innen. Was sie antreibt und welche Rolle ihre fünf Kinder in ihrer Betriebsratsarbeit spielen, hat sie der KOMPETENZ im Gespräch erzählt.
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Mit diesem Zitat beginnt Alexandra Beran ihre Antwort, wenn man sie nach ihrem Werdegang fragt. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende am Wiener Standort des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim hat ursprünglich technische Chemie studiert. Als Diplomingenieurin hat sie dann im Jahr 2005 begonnen, bei Boehringer Ingelheim in der onkologischen Forschung zu arbeiten.
Forschung und Produktion in großem Maßstab
Die Krebsforschung ist ein zentraler Bereich des internationalen Unternehmens, in Wien sind dazu rund 450 Mitarbeitende beschäftigt. Und das mit großem Erfolg: Erst vor kurzem hat ein vielversprechendes Mittel zur Behandlung von Lungenkrebs aus der Wiener Forschung in den USA die Zulassung erhalten.
„Wenn ich zur Arbeit fahre und das Gelände sehen, denke ich mir oft einfach: Wow, Wahnsinn.“
Alexandra Beran
Der Großteil der Beschäftigten am Wiener Standort ist aber in der Produktion von biopharmazeutischen Arzneimitteln beschäftigt – das sieht man auch am großflächigen Gelände. Unter riesigen silbernen Rohren, die ganze Gebäudekomplexe miteinander verbinden, verladen und transportieren LKWs Produktionsmaterialien. Direkt beim Eingang steht ein hochmodernes Bürogebäude – und dort, im 4. Stock, ist das Betriebsratsbüro, wo Alexandra von ihrer Arbeit erzählt.
Familie und Beruf besser ermöglichen
Alexandras Weg in den Betriebsrat ist unweigerlich mit ihren Kindern verknüpft gewesen. Nach ihrer Karenz wollte sie an ihre ursprüngliche Position zurückkehren. Doch dann wurde ihr mitgeteilt, dass dies als Teilzeitkraft nicht möglich sei.
Betriebsratsgründung
Du denkst auch darüber nach, in deinem Betrieb oder in deiner Filiale einen Betriebsrat zu gründen? Ab fünf dauernd beschäftigten Mitarbeiter:innen habt ihr das Recht, eine Belegschaftsvertretung zu wählen! Deine Gewerkschaft GPA unterstützt dich dabei! Alle Infos zur Wahl und Unterstützung (auch nach der Gründung) erhältst du in deiner Regionalgeschäftsstelle. Für Nicht-Mitglieder ist eine Erstberatung kostenlos!
Mehr zur Betriebsratswahl findest du hier.
In weiterer Folge ist die Chemikerin auf einer Art „beruflichem Abstellgleis“ gelandet, was ein zündender Moment für ihr Engagement war, schildert sie: „Es wirkte auf mich so: Entweder du bist eine gute Mutter und bist daher Vollzeitmutter oder du bist eine gute Mitarbeiterin und arbeitest in Vollzeit, aber eine Kombination von beidem ist nicht möglich.“ Das wollte sie nicht hinnehmen und brachte sich daraufhin im Betriebsrat ein.
Die fünffache Mutter kämpfte dafür, Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Kolleg:innen durchzusetzen. Wichtig war dabei, auch den entsprechenden Rückhalt zu bekommen: „Unsere Betriebsrats-Vorsitzende Irmgard Gettinger hat mir gesagt, du kannst das – mach das!“
„Es ist ganz wichtig, dass wir uns als Betriebsrät:innen nicht nur für unsere eigenen Themen interessieren, sondern darüber hinausblicken.“
Alexandra Beran
Das erforderte nicht nur viel Courage, sondern auch eine entsprechende Expertise: Alexandra eignete sich ein umfassendes arbeitsrechtliches Wissen an, das sie seither unter ihre Kolleg:innen bringt. Bei einem Familientag, der alle zwei Jahre vom Betriebsrat organisiert wird, können Beschäftigte ihre Familie mitbringen – eine ideale Gelegenheit, um über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu reden.
Dazu werden etwa auch die Betriebskindergärten vorgestellt, gleichzeitig bekommen die Kinder durch Führungen mit, wo ihre Eltern arbeiten. „Da sieht man richtig, wie stolz die Kinder sind. So ein Arbeitsplatz macht Eindruck“, erzählt Alexandra. Ebenfalls anwesend bei diesem Familientag sind die Gewerkschaft GPA und die Arbeiterkammer, um Fragen von Beschäftigten zu beantworten.
Geschlechtergerechtigkeit im Fokus
Gerade als Betriebsrätin ist es Alexandra wichtig, Elternzeitmodelle klar zu vermitteln – insbesondere den männlichen Kollegen. Denn: „Es ist nach wie vor so, dass Väter weniger oft in Karenz gehen als Mütter. Bei Männern ist es noch immer ein Stück weit eine Überraschung, auch wenn wir viele positive Gegenbeispiele haben. Gleichzeitig ist es bei Frauen noch immer als selbstverständlich angesehen, dass sie durch Karenz und Elternteilzeit einen Karriereknick haben – das wird dann oft nicht einmal benannt.“ Hier aktiv gegenzusteuern, bedeutet auch, geschlechterbezogene Ungleichheiten auf struktureller Ebene zu verändern.
Die Arbeit als Betriebsrätin ist für Alexandra viel mehr als ein simples Problemlösen. Das ist auch der Grund, warum sie zusätzlich die Ausbildung als Lebens- und Sozialberaterin absolviert hat: „Wenn es nicht um ganz klassische Rechtsthemen geht, versuche ich, zu schauen, wie ich die Person begleiten und empowern kann. Oft kommen Kolleg:innen erst mit einem hohen Leidensdruck. Da muss man ein ganz anderes Beratungsgespräch führen.“
„Wenn man fünf Kinder hat, ist man auch ein bisschen eine Kümmerin und übernimmt viel Verantwortung – ich finde es schön, das auch auf einer breiteren, gesellschaftlichen Ebene tun zu können.“
Alexandra Beran
Häufig gibt es zwei sehr unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema als Problemursache, erklärt Alexandra – hier gilt es dann, das Gemeinsame, Verbindende zu finden, auf dem man aufbauen kann. Und auch wenn jemand sich dafür entscheiden sollte, das Unternehmen zu verlassen, ist der Betriebsrat da: „Dann geht es darum, gemeinsam einen guten Abschluss zu finden, bei dem die betroffene Person das Gesicht wahren kann. Solche Abschnitte sind oft sehr belastend, da ist es wichtig, unterstützt zu werden.“
Das Team als Herz des Betriebsrats
Seit zwei Jahren ist Alexandra freigestellt, was sie dazu nutzen will, die Zusammenarbeit des gesamten Gremiums zu stärken: „Meine Rolle ist es auch, zu schauen, dass all jene Kolleg:innen, die nicht freigestellt sind, ihre Betriebsrats-Tätigkeit gut wahrnehmen können. Denn der Betriebsrat sind wir alle gemeinsam!“
Dass die Zusammenarbeit im Team so gut funktioniere, habe auch viel mit Unterschieden zu tun: Denn die 19 Mitglieder des Betriebsrats sind aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens, das Alter ist gut durchgemischt, die Biografien ganz unterschiedlich. Durch diese individuellen Sicht- und Herangehensweisen kann der Betriebsrat in den diversesten Situationen handlungs- und durchsetzungsfähig bleiben.
Betriebsratsgründung
Bei einem weltweit operierenden Unternehmen ist auch der internationale Austausch unerlässlich, um die wirtschaftliche Seite im Blick zu haben, erklärt Alexandra: „Als Betriebsrätin ist es auch wichtig, auf das große Ganze zu schauen, um rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können.“ Dazu nutzt der Betriebsrat Netzwerke innerhalb des Konzerns, aber auch der Austausch innerhalb der Branche, wie etwa dem Pharma Netzwerk der Gewerkschaft GPA ist sehr wichtig – um sich zum Beispiel auf Kollektivvertragsverhandlungen vorzubereiten.
Viele Vorhaben vor sich
Aktuell arbeitet Alexandra an einer Betriebsvereinbarung zum Thema Anti-Diskriminierung. Das Ziel: „Dass nicht nur klar ist, welche Maßnahmen es im Falle einer Diskriminierung gibt – sondern dass überhaupt vorbeugend agiert wird.“ Dabei soll auch ganz klar festgehalten werden, welche Schritte betroffene Beschäftigte einleiten können. Dieses klare Definieren von Prozessen, so erklärt die Betriebsrätin, ist auch ein Empowerment: „Ich weiß, was ich tun kann, um mich zu wehren.“
Was es außerdem dringend benötigt, ist ein neues Verständnis von Arbeitszeit – ein Prozess, der weit über das einzelne Unternehmen hinausgehen muss, erklärt die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende: „Es wird noch immer starr daran festgehalten, dass man im gesamten Erwerbsleben zu 100%, also in Vollzeit, für seine Firma da sein soll. Man wird schief angeschaut, wenn man das nicht kann, weil man zum Beispiel eine Ausbildung macht, eine Familie hat oder, gerade im späteren Erwerbsleben, einfach nicht mehr so viel arbeiten kann. Arbeitszeit darf nicht starr sein, sie muss sich dem Leben anpassen, nicht umgekehrt.“
Zur Person
Alexandra Beran lebt mit ihrer Familie in Wien. Nachdem Abschluss des Studiums der Technischen Chemie startete sie 2005 ihre berufliche Laufbahn bei Boehringer Ingelheim in der onkologischen Forschung. Seit 2014 setzt sie sich als Mitglied des Betriebsrats für die Interessen ihrer Kolleg:innen ein, seit 2 Jahren als stv. Betriebsratsvorsitzende sogar in freigestellter Funktion. Darüber hinaus ist sie zum GPA Bundesfrauenforum und zum GPA Bundesforum delegiert. Im Bundesausschuss der GPA verhandelt sie den Kollektivvertrag der Chemischen Industrie mit. In ihrer Freizeit zieht es sie hinaus in die Natur, am liebsten mit Laufschuhen oder Mountainbike. Die Berge sind ihr persönlicher Kraftort, wo sie den Kopf frei bekommt, und neue Energie gewinnt. Ein echtes Erkennungszeichen: Alexandra ist bei jedem Wetter mit dem Fahrrad unterwegs, auch täglich auf ihrem Weg zur Arbeit.