Nur der Nase nach

Ende Juli 2025 haben die Beschäftigten der Gesellschaft österreichischer Kinderdörfer einen BR gewählt. V.l.n.r.:

Sozialarbeiterin Annette Merklin riecht sich förmlich durchs Leben, hilft Kindern bei der Bewältigung des Alltags und hat Appetit aufs Lernen – die besten Voraussetzungen für ihre jüngste Aufgabe als Betriebsratsvorsitzende.

Ende Juli wurde das neue Betriebsratsgremium der Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer Salzburg (GÖK) gewählt – die GÖK ist übrigens nicht zu verwechseln mit SOS-Kinderdorf Österreich. Gemeinsam mit drei Kolleg:innen vertritt Betriebsratsvorsitzende Annette Merklin nun 55 Mitarbeiter:innen, die vor allem in Berufen des psychosozialen Bereichs, etwa als Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen, Psycholog:innen oder Sozial- und Lebensberater:innen beschäftigt sind.

Die 50-Jährige arbeitet als Sozialarbeiterin Vollzeit in der SWG-Siezenheim, eine sozialpädagogische Wohngruppe, und ist für ihre Betriebsratsaufgaben nicht freigestellt. In Salzburg und Umgebung werden fünf Sozialpädagogische Wohngemeinschaften (SWG) mit rund 40 Kindern betreut, die Kids sind zwischen sechs und 13 Jahre alt. „Und wir bieten zudem zehn Übergangswohnungen in der Stadt Salzburg für Jugendliche und junge Erwachsenen“, erklärt Merklin.

Ein Betriebsrat muss her

Zwar hat bereits früher ein GÖK-Betriebsrat existiert, doch der löste sich vor vier Jahren auf. Das blieb nicht ohne Konsequenzen, denn ohne Betriebsrat war es schwer im Namen der Belegschaft der Geschäftsführung gegenüberzutreten. „Es fehlte jemand, der die Meinungen der Mitarbeitenden sammelt und vertritt und wir konnten uns auch nicht mit den Betriebsräten anderer Jugend- und Kinderorganisationen austauschen“, beschreibt die frisch gekürte Betriebsratsvorsitzende das große Dilemma.

„Inzwischen können wir einfache arbeitsrechtliche Fragen etwa wenn es um Ruhezeiten, Karenzregelungen, Mutterschutz oder Papa-Monat geht vorort beantworten.“

Annette Merklin, Betriebsratsvorsitzende, GÖK

Unter der GÖK-Salzburg-Belegschaft reifte die Idee zu einer Neugründung des Betriebsrats – von Anfang an standen GPA-Regionalsekretär Orhan Dönmez (zuständig für Gesundheit, Soziale Dienstleistungen, Kinder & Jugendhilfe, Stv-Bildungsarbeit) und Ronny Güntzel, ÖGB-Regionalsekretär für Flachgau und die Stadt Salzburg, hilfreich zur Seite. Annette Merklin lobt: „Sie begleiten uns wunderbar“. Bei einer Betriebsratsgründung geht es auch um formelle Kriterien wie die Einhaltung der Fristen oder das korrekte einberufen der konstituierenden Sitzung. Um Fehler zu vermeiden, wurde im Vorfeld eine Whatsapp-Gruppe für einen intensiven Austausch gegründet. Materialien und Dokumente wurden dabei von den Regionalsekretären nochmal geprüft.
„Inzwischen können wir einfache arbeitsrechtliche Fragen etwa wenn es um Ruhezeiten, Karenzregelungen, Mutterschutz oder Papa-Monat geht vorort beantworten“, sagt Annette Merklin. Auch vermittelt der Betriebsrat bei Unstimmigkeiten zwischen den Kolleg:innen.

Kindern ein echtes Zuhause bieten

Die Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer versorgt Kinder mit Zeit, Verständnis und Aufmerksamkeit – lebenswichtige Zutaten, die sie aus verschiedensten Gründen nicht bekommen haben. Die betreuten Kinder und Jugendliche kommen meist aus schwierigen Verhältnissen, oft von Gewalt geprägt, und können vorübergehend oder über Jahre nicht bei ihren Eltern leben. Das macht den Beruf von Annette Merklin und ihren Kolleg:innen vielmehr zur Berufung. Es ist ein herausfordernder Alltag, der von Lernunterstützung, spielen, organisieren der Freizeit bis zur Begleitung bei Terminen reicht – und es muss auch Zeit bleiben für Gespräche über die Sorgen der Kids.

„Wir ergänzen die Familien, aus denen die Kinder kommen“, erklärt Merklin. „Manchmal fordert es einen längeren Atem, bis etwas gut funktioniert, aber vor allem ist eine intensive Beschäftigung mit einem Kind notwendig, damit es sich auf eine Bezugsperson einlassen kann.“ Aber die Energie und Mühe dafür zahlt sich meistens aus.

„Mein ehemaliges Bezugskind war ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der mit 13 Jahren nach Österreich gekommen ist“, erinnert sich die Betriebsratsvorsitzende. Im Herbst 2021 wurde der Teenager aus Syrien in die SWG-Siezenheim aufgenommen, damals sprach er kein Wort Deutsch.
Im Laufe von drei Jahren in der SWG holte er den Pflichtschulabschluss nach, heute sind seine Deutschkenntnisse so gut, dass er ins Oberstufengymnasium geht und das erste Jahr positiv absolviert hat.

Doch das war nicht selbstverständlich, am Anfang gab es durchaus Reibereien, denn der Junge zeigte wenig Begeisterung dafür, deutsche Sätze aufzuschreiben und sie zu üben. „Das fiel ihm schwer, aber nach eineinhalb Jahren hat er den Widerstand abgebaut“, erzählt Merklin mit einigem Stolz. „Er hat sich für eine weiterführende Ausbildung entschieden und dann wirklich losgelegt. Und vor kurzem sagte er, dass ich ihn zum Lernen angetrieben habe, sei schon sehr wichtig gewesen.“

Dem Tourismus entwachsen

In Zell am See gebürtig, wuchs Annette Merklin mit der Frühstückspension ihrer Eltern auf, studierte Geschichte und arbeitete im Familienbetrieb mit. An der Uni Innsbruck startete sie 2010 ein psychotherapeutisches Propädeutikum, nach dem Abschluss machte sie an der Uni Krems den Master in Sozialer Arbeit und nimmt dort bis heute an Weiterbildungen teil. „Ich habe mich immer wahnsinnig gern gebildet“, erzählt Annette Merklin. Dabei reist sie mit dem Zug von Salzburg nach Krems und lernt während der Fahrten – ihr fällt das leicht. „Ich bin wahnsinnig gern an die Universität gegangen und in Krems hat alles so gut funktioniert, weil der Unterricht an Wochenenden in Blöcken stattfand.“ Jetzt hofft Annette Merklin, dass sie die Dreifachbelastung Arbeit, Weiterbildung und Betriebsrats-Vorsitz gut schafft, denn ihr Amt wäre auch von ihrem Opa geschätzt worden.
„Meine 85-jährige Tante hat mir gesagt, mein Großvater wäre stolz auf mich gewesen. Er hat in den 50er und 60er Jahren in der Holzindustrie gearbeitet, wenn er Probleme in der Arbeit hatte, konnte er auf die Gewerkschaft bauen.“

„Meine 85-jährige Tante hat mir gesagt, mein Großvater wäre stolz auf mich gewesen. Er hat in den 50er und 60er Jahren in der Holzindustrie gearbeitet, wenn er Probleme in der Arbeit hatte, konnte er auf die Gewerkschaft bauen.“

Annette Merklin, Betriebsratsvorsitzende, GÖK

Wenn Zeit bleibt, spaziert Merklin durch Zell am See und genießt die Landschaft. Doch auch Städtereisen dürfen bei ihr nicht fehlen. Sie ist nämlich eine leidenschaftliche Schnüfflerin von Düften, die sie als Parfums sammelt. Am liebsten mag sie „Kitten Heel“ den blumig-fruchtig Duft Roberto Ugolini, doch es fasziniert sie auch das Unbekannte: „Ich schaue in den großen Städten ob es Parfums gibt, die ich noch nicht kenne. Ich finde es nämlich toll immer wieder was Neues zu riechen.“

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