Eine europaweite Initiative soll den Abbau von sozialen und demokratischen Rechten in den EU-Staaten verhindern.
Im Dezember 2013 soll im Europäischen Rat die Grundsatzentscheidung über die Pakte für Wettbewerbsfähigkeit fallen. Worum es dabei geht? „Troika und Strukturreformen für alle!“, lautet die zugespitzte Antwort: Die Einschnitte in das Sozialsystem, die im südeuropäischen Laboratorium erprobt wurden, sollen verallgemeinert werden. Erst ein klares „Nein“ – wie es etwa die Initiative „Europa geht anders“ fordert – wird den Raum für Alternativen öffnen.
Für die breite Masse der Menschen in Europa ist die bisherige Krisenpolitik gescheitert: Seit Beginn der Aufzeichnungen war die Arbeitslosenquote noch nie so hoch: 26 Millionen Menschen sind in der Union ohne Lohnarbeit – rund zehn Millionen mehr als vor der Wirtschaftskrise. Besonders dramatisch ist die Situation in jenen Ländern, die im Anschluss an die Wirtschaftskrise die Politik der Troika umsetzen mussten, um Geld zu erhalten: In Griechenland und Spanien beträgt die Arbeitslosigkeit mittlerweile rund 27 Prozent – unter Jugendlichen sogar 60 Prozent. Werte, die selbst in der Zwischenkriegszeit nur kurzfristig übertroffen wurden.
Die Gelder kommen aber nicht den Arbeitslosen und Armen zugute, sondern werden zu keinem geringen Anteil zur Rettung von Banken eingesetzt, die nicht selten aus den „Geberländern“ stammen. Neben drastischen Sparmaßnahmen verordnet das „Reformbündnis“ aus Unternehmerverbänden, Finanzindustrie, EUKommission, neoliberalen Staatschefs und EZB „Strukturreformen“, zu denen sich die betroff enen Länder durch vertragliche Vereinbarungen verpflichten.
Strukturen werden nicht reformiert
Die Erfahrungen zeigen aber, dass damit nicht jene Strukturen einer Reform unterzogen werden, die für die Wirtschaftskrise verantwortlich sind. So kam es in keinem der betroffenen Länder zu einer merklich verstärkten Besteuerung von Vermögen, hohen Einkommen und Unternehmensgewinnen. Genauso wenig wurde die Monopolisierung wirtschaftlicher Entscheidungen durch eine Demokratisierung aufgebro-chen. Im Gegenteil, die Ungleichheit in der Verteilung und die Entdemokratisierung der Wirtschaft(-spolitik) spitzte sich weiter zu.
Da Ausgabenkürzungen und neoliberale Strukturreformen die Nachfrage drosseln, kam es zu einem massiven Einbruch der Wirtschaft. Dass diese Entwicklung im Süden letztlich auch die Länder des Zentrums treffen werde, war kritischen ÖkonomInnen von Anfang an klar: denn 87 Prozent der Nachfrage nach europäischen Gütern und Dienstleistungen gehen auf die Nachfrage im Europäischen Binnenmarkt zurück. Dieser Zusammenhang wurde 2012 neuerlich offenkundig, als die Wirtschaftsleistung der gesamten Eurozone um 0,4 Prozent zurückging.
Die Verallgemeinerung der Krisenpolitik
Obwohl die Politik in den „Krisenländern“ aus der Perspektive der breiten Masse gescheitert ist, wird sie in ganz Europa verallgemeinert: Das neoliberale „Reformbündnis“ hat ab 2010 energische Anstrengungen unternommen, Teile der sogenannten Austeritätspolitik (bedingungslose Kürzung der öffentlichen Leistungen) und der „Strukturreformen“ auf ganz Europa auszuweiten. Im Zentrum dieser Bemühungen stehen die sogenannte Economic Governance (wirtschaftliches Paket aus sechs Rechtsakten, welches die Haushalts- und Wirtschaftspolitik verstärkt in die Hände der Europäischen Kommission legt) und der Fiskalpakt (völkerrechtliche Verpfl ichtung zu drastischer Sparpolitik), die Ende 2011 bzw. Anfang 2013 in Kraft getreten sind.
Pakte für Wettbewerbsfähigkeit
Diese Politik soll nun mit einer Grundsatzentscheidung im Dezember 2013 in ihre nächste Etappe gehen: In Pakten für Wettbewerbsfähigkeit, so die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, sollen sich alle Mitgliedsstaaten der Euro-Zone vertraglich gegenüber der Kommission zur Deregulierung ihres Arbeitsrechts, zur „Reform“ ihrer Pensionssysteme und zur Senkung ihrer Löhne verpflichten. Um politischen Widerstand zu überwinden, werden Zuckerbrot und Peitsche in Position gebracht: Wenn die Maßnahmen umgesetzt werden, gibt es dafür ganz nach dem in den Krisenländern zur Anwendung kommenden Modell, eine finanzielle Unterstützung. Andernfalls drohen Verwarnungen und Sanktionen in Form von Geldbußen.
Die Entfaltung der Wirtschaftskrise und ihre „Bearbeitung“ haben die ohnehin oft schon prekäre Lebenssituation vieler Menschen weiter verschärft und die neoliberalen Europabilder brüchig werden lassen. Eine Vertiefung der Union im Interesse der Wenigen stößt daher immer weniger auf den Konsens der Bevölkerung und lässt sich deshalb kaum noch demokratisch durchsetzen.
Autoritär-neoliberale Krisenpolitik
Es überrascht daher nicht, dass die bisherigen Bausteine der Krisenpolitik ein autoritär-neoliberales Muster aufweisen: Sie stellen einen Eingriff in die europäischen Verträge dar, der ordnungsgemäß nur durch ein Vertragsänderungsverfahren erfolgen hätte können, das die frühzeitige Einbindung und Zustimmung der Parlamente und eine Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten vorsieht. In den Rechtswissenschaften herrscht daher weitgehend Einigkeit darüber, dass die Maßnahmen zur Absenkung der Zustimmungserfordernisse rechtswidrig beschlossen wurden.
Dieses Muster scheint sich nun ein weiteres Mal zu wiederholen: Folgt man den Plänen der Kommission, soll wiederum eine untaugliche Rechtsgrundlage für die Pakte für Wettbewerbsfähigkeit herangezogen werden. Erneut soll die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission gegenüber der parlamentarischen Ebene gestärkt werden, auf der sich die Interessen der breiten Masse der Bevölkerung vergleichsweise gut ausdrücken können.
Was nun?
Gegen die Krisenpolitik bilden sich zunehmend Bündnisse von unten. Hierfür steht der Aufruf „Europa geht anders“, der von zahlreichen ErstunterzeichnerInnen aus ganz Europa unterstützt wird. Auf der entsprechenden Homepage heißt es: „Wir fordern alle Menschen, die ein anderes Europa wollen, auf, Druck auszuüben, damit möglichst viele Regierungschefs dem Wettbewerbspakt eine Absage erteilen. Es braucht eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen!“
Aufruf: www.europa-geht-anders.eu
Was ist die EU-Troika? Die Troika ist aus VertreterInnen der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission zusammengesetzt. Jene Mitgliedsstaaten, die Gelder aus dem „Rettungsschirm“ erhalten wollen, müssen „Verträge“ über „Strukturreformen“ mit der Troika aushandeln.
Lukas Oberndorfer ist Experte für Europarecht, Binnenmarktpolitik und Europaforschung in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien.