Nicht Bittsteller sein

Keine Krise: 40.000 Flüchtlinge mehr in der Mindestsicherung bringen das System nicht zum kippen. (Foto: ÖGB-Verlag, Michael Mazohl)
Foto: ÖGB-Verlag, Michael Mazohl

Die Schriftstellerin Julya Rabinowich, selbst als Kind aus der Sowjetunion nach Wien emigriert, plädiert für die Öffnung des Arbeitsmarkts für Flüchtlinge.

KOMPETENZ: Sie haben viele Jahre als Übersetzerin mit Flüchtlingen gearbeitet. Was sind Ihrer Beobachtung nach die dringendsten Bedürfnisse von Menschen, die alles verloren haben und nun in Österreich eine neue Heimat finden wollen?

Julya Rabinowich: Ich denke, Flüchtlinge, die aus einem Kriegsgebiet hierher gekommen sind, wollen nicht in erster Linie ein ruhiges Leben, sie wollen schlicht ein Leben, überleben. Und das allererste, was natürlich auf der Liste der Prioritäten steht, wenn man hier ankommt, ist, dass man bleiben kann und hier leben darf und nicht abgeschoben wird in ein Land, in dem einem definitiv der Tod oder schwere Verletzungen drohen.

KOMPETENZ: Es gibt ja aber auch noch die so genannten sicheren Drittländer.

Julya Rabinowich: Die sicheren Drittländer – da möchte ich die Geschichte von dem Mädchen erzählen, das ich aufgefangen habe im AKH, was eine Frage des Überlebens war. Vor etwa einem Jahr habe ich, im AKH als Patientin sitzend, ein Mädchen gesehen, das eingeliefert wurde, kein Wort Deutsch sprechend und noch illegal in Österreich, da sie gerade erst hier angekommen und auf dem Weg nach Traiskirchen war, als sie unterwegs zusammengebrochen ist. Sie hatte ein schweres Nierenversagen.

KOMPETENZ: Woher kam dieses Mädchen?

Julya Rabinowich: Aus Tschetschenien. Man könnte sagen, dass das ja heute kein Kriegsgebiet ist. Aber man kann von einem Kriegsnachhall sprechen – der Vater ist tot, der Bruder verschollen und nur die Mutter und die Tochter sind übrig. Wegen ihres Ehemanns wurde die Mutter bedroht. Die Tochter ist schwer krank. Wäre sie hier nicht behandelt worden, wäre sie jetzt tot. Sie wurde inzwischen hier operiert, hat eine Spenderniere ihrer Mutter bekommen, braucht keine Dialyse mehr. Es ist so gekommen, wie es gehen kann, wenn man menschlich und sinnvoll verfährt.

KOMPETENZ: Hat sie inzwischen Asylstatus bekommen?

Julya Rabinowich: Nein, sie warten noch. Aber Österreich hat sich für zuständig erklärt und ich denke mir, dass sie sehr gute Chancen hat, zu bleiben. Diese Geschichte zeigt, dass die Frage des Überlebens oft eine ganz unmittelbare ist. Das war ein 18jähriges Mädchen und ich denke mir, wenn wir keinen Platz haben für ein 18jähriges Mädchen in Not, dann sollten wir uns eigentlich schämen, denn so schlecht geht es uns nicht. In Syrien wurden Unmengen von Flüchtlingen von den umliegenden Ländern aufgenommen, die ganz sicher nicht besser gestellt sind als Österreich, was ihr Wohlhaben anbelangt. Wobei ich natürlich weiß: Österreich ist ein kleines Land und es leuchtet mir absolut ein, dass es sich seiner Kapazität entsprechend verhalten muss. Aber diese Kapazität ist noch längst nicht erschöpft.

KOMPETENZ: Eben gab es Berichte über einen Ort in Kärnten (St. Peter in Holz), wo gegen die Unterbringung von Asylwerbern in einer ehemaligen Pension mobil gemacht wird. Und das ist ja kein Einzelfall.

Julya Rabinowich: Von solchen Pensionen gibt es einige, viele von ihnen abgelegen, ohne öffentliche Anbindung. Ich würde jetzt sagen, besser wäre es jeweils eine kleine Gruppe von Menschen unterzubringen, und das breit gestreut. In einer kleinen Menge macht das Fremde weniger Angst und man kann leichter aufeinander zugehen.

KOMPETENZ: Soll heißen: Österreich könnte mehr Menschen aufnehmen, sollte sie aber sehr gestreut unterbringen?

Julya Rabinowich: Wir sind weit davon entfernt, überrannt zu werden. Wir haben aber gesehen, dass sich Flüchtlinge in Orten, in denen nur eine oder maximal zwei Familien untergebracht werden, besser integrieren. Die Österreicher sind ja grundsätzlich hilfsbereit – solange sie sich nicht überflutet fühlen. Gerade dieser persönliche Zugang ist so wichtig. Heime trennen Flüchtlinge vollkommen vom Alltag ab und je abgelegener es ist, desto weniger lernt man über den Umgang mit Menschen hier – genau das ist aber sehr wichtig. Und wenn man auch die Sprache nicht lernt, ist man in einem künstlichen Schwebezustand einer Nichtverantwortlichkeit, den die Flüchtlinge, die ich gekannt habe, gehasst haben. Das Argument, diese Menschen legen sich hier bei uns in die soziale Hängematte, stimmt einfach nicht. Die Betroffenen leiden unter dieser Tatenlosigkeit und fühlen sich dadurch völlig wertlos. Das ist kein erstrebenswerter Zustand, mit einem minimalen Taschengeld in einer heruntergekommenen Pension zu sitzen und nichts machen zu dürfen.

KOMPETENZ: Was also brauchen diese Menschen?

Julya Rabinowich: Deutschkurse, Kontakt mit Menschen, also Sozialbeziehungen. Und natürlich die Möglichkeit, arbeiten zu können. Der Ausschluss der Asylwerber vom Arbeitsmarkt ist einer der Gründe, sich wertlos zu fühlen. Und jene Flüchtlinge, die ich kannte, wollten auch arbeiten. Es war ihnen ein Anliegen, dem Land etwas zurückzugeben, etwas zu leisten dafür, dass sie hier sind und auch das Gefühl zu haben, nicht unerwünschte Bittsteller zu sein.

KOMPETENZ: Oft hört man dann aber: was könnten diese Menschen überhaupt arbeiten?

Julya Rabinowich: Das ist absurd, weil es kommen ja nicht nur unqualifizierte Flüchtlinge – das entspricht nur einem Vorurteil. Aber selbst wenn jemand kein Ingenieur oder Arzt ist: es gibt auch Hilfsarbeiten, die ohne viel Kommunikation auskommen, wie Laub kehren, einkaufen gehen, im Haus Ausbesserungen machen. Und dann bildet man sich weiter, lernt die Sprache. Man kann ja klein anfangen, so wie das jeder machen würde, der geplant auswandert, und dann dazulernen und aufsteigen. Wenn man aber jetzt von qualifiziert und unqualifiziert spricht, öffnet das ja auch Verleumdungen und wirklich widerwärtigen Aussagen Tür und Tor, wie jener eines FPÖ-Politikers, der behauptet hat, Asylwerber wären Höhlenmenschen. Vom Höhlenmenschen ist es zum Untermenschen nicht weit – das ist eine absolut unmögliche Ausdrucksweise, die offen zeigt, was man in einer Demokratie nicht leben soll.

 

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