Wenn sich rote Linien verschieben

Grafik: GPA-djp

Die Rechten sind längst in der Mitte angekommen, wie Ruth Wodak in der überarbeiteten Ausgabe ihres Buches „Politik mit der Angst“ auf beeindruckende Weise analysiert.

Ihren Titel „Politik mit der Angst“, den Ruth Wodak vor fünf Jahren veröffentlichte, hat die renommierte Wiener Sprachwissenschaftlerin völlig überarbeitet und mit dem Untertitel „Die schamlose Normalisierung rechtsextremer und rechtspopulistischer Diskurse“ neu herausgebracht. Rote Linien und Toleranzgrenzen haben sich inzwischen verschoben, etliche Elemente des Rechtspopulismus sind in die Mitte – der Gesellschaft und des Parteienspektrums – vorgedrungen. Das weist Wodak anhand zahlreicher Politik-Beispiele nach, etwa aus dem Brexit-geplagten Vereinigten Königreich, aus den USA unter Donald Trump, aus Frankreich, Italien, Ungarn und auch Österreich.

Die sprachwissenschaftliche (Diskurs-)Analyse geht dabei nahtlos über in die Politikwissenschaft. Denn mit der verwendeten Sprache verfolgen rechtspopulistische PolitikerInnen ganz bestimmte politische Ziele. Sie bedienen sich gerne Techniken wie der Opfer-Täter-Umkehr, Lügen, Abstreiten oder Übertreiben, auch der, so Wodak, „kalkulierten Ambivalenz“ in Form antisemitischer Anspielungen. Komplexität wird auf simples Schwarz-Weiß-Denken reduziert. Sündenböcke sind rasch gefunden und müssen als Gründe für alle aktuellen Probleme herhalten. Um das auf mehr als 300 Seiten (wovon 20 Prozent Anmerkungen und Quellenangaben sind) aufzudröseln, hat sie akribisch dokumentierte Vorfälle, Reden, Presseaussendungen, Interviews analysiert.

Der Einfluss der extremen Rechten passiert sowohl direkt, durch (Mit-)Regieren, als auch indirekt, indem andere Parteien ihre Programme rechtsextremen Floskeln und Frames anpassen. „Rechtspopulistische Parteien füllen die von den Mainstream-Parteien (vor allem von den Linken) hinterlassene Lücke mit ihren politischen Angeboten. Dadurch wurde deren gesellschaftliche Legitimität zwar erhöht, aber gleichzeitig auch explizit ausgrenzende Einstellungen im öffentlichen Diskurs in die Mitte der Gesellschaft hineingeholt,“ betont Wodak. Der rechtspopulistische Satus quo wird zur „neuen Normalität“. In Österreich tragen das momentan die Grünen in der Koalition mit der ÖVP mit, wie die Autorin mehrmals kritisch feststellt.

Statt positive Vorstellungen in alternativen Parteiprogrammen und Manifesten zu konkretisieren – wie Solidarität, eine Politik des Wohlbefindens, Begegnungskulturen oder Akzeptanz und Leben mit Differenzen –, erleben wir eine rasante Zunahme an Konflikten und die Normalisierung einer diskriminierenden Politik, meint Wodak. Die Realität der lohnabhängigen Arbeit, einschließlich des Prekariats, der Teilzeitbeschäftigung oder der Kleinunternehmen, hat sich stark verändert und verändert sich weiterhin. Gefordert sind daher Parteien und Gewerkschaften gleichermaßen.

Ruth Wodak

Politik mit der Angst – Die schamlose Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse

Edition Konturen, Wien-Hamburg 2020

335 Seiten, ISBN 978-3-902968-56-2, 29,80 Euro

Scroll to top