Gewerkschaften leisten Widerstand gegen neues Arbeitsgesetz.
Am 16. Juni 2021 hat das griechische Parlament ein neues Arbeitsgesetz auf Vorschlag der mit absoluter Mehrheit regierende konservativen „Nea Demokratia“ verabschiedet.
Im Vorfeld dazu haben zwei griechische Gewerkschaftsbünde einen 24-stündigen Generalstreik und zahlreiche lokale und überregionale Protestaktionen dagegen organisiert. Umfragen zufolge sprechen sich 55 Prozent der GriechInnen gegen das neue Arbeitsgesetz aus. Lediglich 28 Prozent der Befragten begrüßen die Regierungsinitiative.
Griechischer Arbeitsmarkt: hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, viele unbezahlte Überstunden
Die Arbeitslosigkeit in Griechenland liegt derzeit bei rund 16 Prozent (EU-Schnitt: ca. 7 Prozent), wobei von einer höheren Dunkelziffer auszugehen ist. Rund 30 Prozent der GriechInnen leben unter der Armutsgrenze. Der gesetzliche Mindestlohn im Land liegt bei weniger als 4 Euro/Stunde (Deutschland: 9,5 Euro/Stunde). Griechenland ist damit der einzige EU-Staat, indem der Mindestlohn 2021 niedriger ist als im Jahr 2010.
Darüber hinaus liegen die GriechInnen mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von knapp 44 Stunden schon jetzt an der Spitze der EU-Staaten. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten leistet Überstunden, 40 Prozent davon werden dafür nicht entlohnt.
Einführung des 10-Stunden-Arbeitstages ohne Gehaltsvergütung
Unter dem Deckmantel der Arbeitszeitflexibilisierung ermöglicht das neue Gesetz anstatt des bisher vorgesehenen 8-Stunden-Arbeitstages eine tägliche Normalarbeitszeit von bis zu 10 Stunden. Überstunden mit eingerechnet könnten Beschäftigte in Spitzenzeiten nun bis zu 13 Stunden täglich arbeiten. Abgesehen von der generellen Ablehnung einer Ausweitung der Arbeitszeit ist der größte Kritikpunkt an dieser Maßnahme die damit einhergehende Vergütungsregelung. Die zusätzlichen beiden Normalarbeitsstunden pro Tag werden nämlich nicht mit entsprechenden Zuschlägen vergütet, sondern lediglich in einem Zeitkonto gutgeschrieben. In einem Durchrechnungszeitraum von sechs Monaten sollen sie den Beschäftigten dann in Form von Urlaubsstunden wieder zugutekommen. Dies bedeutet reale Einkommensverluste für viele Beschäftigte.
Anstellungsverhältnisse in vielen Fällen halbjährlich befristet
Im für Griechenland besonders bedeutenden Tourismussektor werden die meisten Arbeitsverträge beispielsweise auf nur sechs Monate befristet. Die ArbeitnehmerInnen in diesem Sektor werden also Gefahr laufen, ihre zusätzlich geleisteten Normalarbeitsstunden nie in Anspruch nehmen zu können. Bisher ist ungeklärt, wie die Beschäftigten einen entsprechenden Ausgleich dafür erhalten sollen. Die ArbeitnehmerInnen haben durch die neue gesetzliche Regelung auch keinerlei Druckmittel gegenüber ihren ArbeitgeberInnen, um ihre Ansprüche geltend machen zu können.
Etikettenschwindel: Regierung wirbt mit Freiwilligkeit und mehr Flexibilität
Die griechische Regierung hingegen bewirbt ihr neues Arbeitsgesetz als Gewinn an Flexibilität für ArbeitgeberInnen und Beschäftigte. Argumentiert wird dies mit der im Gesetz formulierten Freiwilligkeit beim 10-Stunden-Arbeitstag, die individuell und in Absprache zwischen ArbeitgeberIn und den jeweiligen Beschäftigten zu erfolgen hat. In der Praxis kann jedoch davon kaum die Rede sein. Beschäftigte, die dem 10-Stunden-Arbeitstag auf Vorschlag des Arbeitgebers nicht zustimmen, werden wohl mit schlechteren Karriereaussichten oder gar mit einer Beendigung des Dienstverhältnisses rechnen müssen.
Kollektive Verhandlungsmacht der Gewerkschaften eingeschränkt
Die Arbeitszeiten der Beschäftigten werden zum Teil nicht mehr durch kollektivvertragliche Einigungen geregelt, sondern durch Einzelvereinbarungen. Diese Individualisierung bedeutet einen Angriff auf die kollektive Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und schwächt die Sozialpartnerschaft. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit steigt damit der Druck auf die Beschäftigten, einer individuellen Vereinbarung über den 10-Stunden-Arbeitstag zuzustimmen.
Einführung der 7-Tage-Arbeitswoche in 31 Branchen
Mit dem neuen Arbeitsgesetz wird in Griechenland auch die 7-Tage-Arbeitswoche in 31 Branchen eingeführt. Für die betroffenen Beschäftigten bedeutet das die Abschaffung des Sonntags als Familien- und Ruhetag. Des Weiteren können die ArbeitnehmerInnen nun auch an Sonntagen ohne entsprechende Zuschläge eingesetzt werden. Neben den realen Einkommensverlusten für viele Beschäftigte in ohnehin prekären Anstellungsverhältnissen bedeutet dies auch den Verlust von Einnahmen für den Staatshaushalt.
Neues Arbeitsgesetz bringt Beschäftigten kaum wirkliche Verbesserungen
In der Regierungspropaganda ist auch von anderen „Vorteilen“ für die Beschäftigten zu lesen. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich jedoch auch diese als Etikettenschwindel. So wirbt man mit der Einführung einer Elternteilzeit für Väter. Diese ist jedoch auf 14 Arbeitstage beschränkt. Darüber hinaus ist von strengeren Strafen für die Verletzung von Arbeitszeitregelungen durch die ArbeitgeberInnen die Rede. Die Umsetzung wird jedoch schwierig sein, da genau dieselbe griechische Regierung die zuständige Behörde zur Kontrolle dieser Regelungen in den letzten beiden Jahren in den Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten stark eingeschränkt hat.
Kündigungsschutz aufgelockert
Unternehmen können durch das neue Arbeitsgesetz ArbeitnehmerInnen unter Angabe irgendwelcher Gründe ab sofort jederzeit kündigen. Entsprechende Regelungen zum Kündigungsschutz wurden abgeschafft. Bisher hatten Beschäftigte auch das Recht auf Widereinstellung bei rechtswidrigen Kündigungen. Dies wird nun dahingehend abgeändert, dass ArbeitgeberInnen in diesem Fall lediglich eine Strafzahlung an die Betroffenen leisten müssen, diese aber ihren Job dennoch los sind.
Umfangreiche Einschränkungen des Streikrechts beschlossen
Das Gesetz beinhaltet auch Regelungen, die künftige Streikmaßnahmen einschränken bzw. gänzlich verhindern sollen. Alle griechischen Gewerkschaftsmitglieder müssen sich mit Inkrafttreten der Regelungen in einem staatlichen online Register einschreiben, in das auch die ArbeitgeberInnen Einsicht haben. Künftig müssen Betriebsgewerkschaften, die Arbeitsniederlegungen durchführen möchten, zuvor über ein digitales Abstimmungsformat die Zustimmung ihrer Mitglieder dazu einholen. Gelingt dies nicht, wäre eine Streikhandlung illegal.
Des Weiteren erhalten ArbeitgeberInnen die Möglichkeit angekündigte Arbeitsniederlegungen jederzeit verbieten zu können, wenn diese in ihren Augen als „radikal“ eingestuft werden. Rund 90 Prozent der Arbeitsniederlegungen aus jüngster Vergangenheit würden die neu geschaffenen Voraussetzungen nun nicht mehr erfüllen.
Nach den neuen Regelungen müssen bei Arbeitsniederlegungen in öffentlichen Versorgungsbetrieben zumindest ein Drittel der Beschäftigten ihre Arbeit trotzdem uneingeschränkt fortsetzen, um die Aufrechterhaltung des Betriebes zu garantieren.
Dies bedeutet eine massive Einschränkung des Streikrechts, der Mitbestimmung am Arbeitsplatz aber auch der Demokratie insgesamt und nimmt den Beschäftigten wesentliche Werkzeuge im Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Außerdem könnte das zu einer Unterwanderung des Rechts, sich gewerkschaftlich zu organisieren, führen.
Überwachung Beschäftigter durch digitale Arbeitszeitaufzeichnung
Das neue Arbeitsgesetz räumt dem griechischen Staat bessere Möglichkeiten zur Kontrolle der Arbeitszeiten ein. Diese soll von nun an online erfasst werden, beispielsweise über Mobiltelefone. Mittels GPS-Ortung sollen aber auch Standortdaten der Beschäftigten gespeichert werden, Bewegungsprofile ebenso. Diese Daten sollen auf einem staatlichen Server gespeichert werden, auf den die Beschäftigten, ArbeitgeberInnen sowie der Staat Zugriff haben. ArbeitgeberInnen erlangen dadurch jedoch auch die Möglichkeit Toilettengänge ihrer Beschäftigten zu überwachen. Die Gewerkschaften äußern auch bei dieser Maßnahme größte Bedenken, was die Überwachungsmöglichkeiten von Beschäftigten aber auch den Umgang mit deren gesammelten Daten betrifft.
Gewerkschaften laufen Sturm gegen neues Arbeitsgesetz
Die großen griechischen Gewerkschaftsbünde GSEE (Privatangestellte) und ADEDY (öffentlicher Dienst) haben die Unzufriedenheit der Beschäftigten mit dem neuen Arbeitsgesetz in zahlreichen Arbeitsniederlegungen und Protestaktionen zum Ausdruck gebracht. Am 10. Juni wurde mit dem landesweiten 24-stündigen Generalstreik die wohl größte Arbeitsniederlegung der letzten fünf Jahre durchgeführt. Laut offiziellen Angaben haben sich mehrere Zehntausende an den Protestaktionen im ganzen Land beteiligt, insbesondere aus dem öffentlichen Sektor sowie dem Transportbereich. Der öffentliche Verkehr, Fähren, öffentliche Schulen und Behörden blieben geschlossen. In den Krankenhäusern gab es lediglich Notversorgung. Der Verkehr in Athen kam am 10. Juni teilweise zum Erliegen. Dem folgten weitere kleinere Arbeitsniederlegungen und ein 24-stündiger-Streik am 16. Juni.