Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), fordert im Gespräch mit der KOMPETENZ eine umfassende Wohnbeihilfe, die auch Energiekosten abdeckt, eine Zweckbindung der Einnahmen aus der Wohnbauförderung und eine Mietpreisbremse. Der gemeinnützige Sektor könne Wohnraum immer noch wesentlich günstiger anbieten als der private Wohnungsmarkt. Neubauleistung solle in Zukunft daher vorrangig durch Gemeinnützige erfolgen, um leistbares Wohnen für möglichst viele Menschen zu ermöglichen.
KOMPETENZ: Wieviele Menschen stehen derzeit auf der Warteliste für eine Wohnung der WBV-GPA?
Michael Gehbauer: Wir haben alleine in Wien eine Warteliste mit circa 20.000 Personen. So viele Wohnungen werden wir in nächster Zeit aber nicht vergeben können. Was wir spüren ist, dass es einen starken Trend in Richtung leistbares Wohnen gibt. Auch Menschen, die wohnversorgt sind, versuchen jetzt in diesen schwierigen Zeiten eine Wohnung zu bekommen, die günstiger ist als ihre derzeitige.
KOMPETENZ: Inwiefern können Sie immer noch günstigere Wohnungen anbieten als sie am privaten Wohnungsmarkt zu finden sind?
Michael Gehbauer: Der Vorteil unseres Unternehmens und des gemeinnützigen Sektors, der sich dem Mietwohnbau widmet, ist der, dass wir einen relativ hohen Bestand haben, auf den wir zurückgreifen können. Das sind in Wien circa 230.000 Wohnungen und österreichweit circa 700.000 Mietwohnungen. Auf Grund der Fluktuation von rund fünf Prozent können wir damit im Jahr an die 35.000 Wohnungen vergeben. Wenn es sich dabei um schon vor längerer Zeit errichtete Wohnungen handelt, sind sie meist günstiger als im Neubau. Besonders leistbar sind jene, die bereits ausfinanziert sind.
Bei den Gemeinnützigen ist es ja laut Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz so, dass, wenn sämtliche Darlehen zurückgezahlt wurden, die Mieten abgesenkt werden, und zwar auf rund 4,20 Euro Miete pro Quadratmeter, das ist inklusive Erhaltung, aber ohne Betriebskosten und Steuer. Das ist ein Mietniveau, wie man es eigentlich sonst nirgendwo mehr vorfindet. Wir durften in diesem Jahr schon rund 300 MieterInnen verkünden, dass sie daher eine Mietsenkung und nicht eine Mieterhöhung haben. Gerade in schwierigen Zeiten soll man auch die guten Nachrichten verkünden und das ist sicher eine gute Nachricht.
KOMPETENZ: Gab es auf der anderen Seite Wohnungen, für die auch Sie die Miete anheben mussten?
Wir mussten die Mieten, wenn es nötig war, daher nur um etwa die Hälfte dessen erhöhen, was vom privaten Segment vermeldet wurde. Unsere Erhöhungen richten sich nach den tatsächlich anfallenden höheren Kosten und nicht nur nach der Inflationsrate.
Michael Gehbauer
Michael Gehbauer: Das gab es und wird es wahrscheinlich auch weiterhin geben. Trotzdem ist diese Anhebung bei uns wesentlich niedriger ausgefallen als bei privaten Mietwohnungen. Dort gab es im vergangenen Jahr teils mehrere Erhöhungen der Mieten und Betriebskosten, um insgesamt mehr als zehn Prozent. Da liegen wir deutlich drunter. Warum? Auf der einen Seite haben wir den großen Vorteil, dass wir mit Förderungsdarlehen mit einer fixen Verzinsung der Stadt Wien arbeiten, für diesen Teil der Finanzierung fällt daher nicht mehr an Zinsen an. Andererseits finanzieren aber auch wir teilweise mit Kapitalmarktdarlehen und dort haben wir natürlich auch die Zinserhöhungen zu gewärtigen. Wir bemühen uns da aber bei den Banken um abgestimmte Konditionen. Wir mussten die Mieten, wenn es nötig war, daher nur um etwa die Hälfte dessen erhöhen, was vom privaten Segment vermeldet wurde. Unsere Erhöhungen richten sich nach den tatsächlich anfallenden höheren Kosten und nicht nur nach der Inflationsrate.
KOMPETENZ: Unter Schwarz-Blau wurden gemeinnützige Wohnbaugesellschaften 2002 verpflichtet, diese eben gemeinnützig errichteten Wohnungen nach einigen Jahren den MieterInnen zum Kauf anzubieten. Da gehen die verschiedenen Wohnbaugesellschaften unterschiedlich damit um. Welchen Weg haben Sie gewählt?
Michael Gehbauer: Wohnungen, die in dieser Zeit errichtet wurden, haben wir auch zum Teil mit Kaufoption angeboten. Wir haben in unserem Bestand circa 2.500 Wohnungen, die unter dieses Regime fallen. Davon haben wir seit 2012 auch rund 280 Wohnungen verkauft. Inzwischen haben wir uns entschieden, Wohnungen so anzubieten, dass keine Kaufoption mehr entsteht. Das heißt, es werden nur mehr Eigenmittel von bis zu 80 Euro pro Quadratmeter eingehoben, das ist die Grenze, bis zu der laut Gesetz keine Kaufoption gegeben ist. Damit ist sichergestellt, dass die Wohnungen langfristig in unserem Bestand verbleiben.
KOMPETENZ: Der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil möchte demgegenüber gemeinnützig errichtete Wohnungen den MieterInnen künftig zu besonders günstigen Konditionen zum Kauf überlassen. Warum halten Sie das nicht für sinnvoll?
Michael Gehbauer: Ich sehe das persönlich sehr kritisch, aber nicht nur ich, sondern eigentlich unsere gesamte Branche. Der Landeshauptmann des Burgenlandes wendet sich hier ab von einer Tradition des geförderten Wohnbaus, die es in Österreich flächendeckend gibt, und hat hier ein Modell entwickelt, das eben quasi die Kaufoption von Anfang an den MieterInnen zugesteht. Man muss aber auch sagen, dass das nach wie vor ein Modell ist, das nur auf dem Papier steht.
Damit man sich das ein bisschen plastisch vorstellen kann: Wenn die Stadt Wien das im Roten Wien praktiziert hätte, hätten wir in Wien jetzt nicht rund 250.000 Gemeindewohnungen und auch nicht 230.000 geförderte Mietwohnungen. Und dann würden auch nicht mehr als 50 Prozent der WienerInnen in mietzinsregulierten und leistbaren Wohnungen leben.
Die Wohnungen, die Landeshauptmann Doskozil nun den MieterInnen zum Kauf überlassen möchte, sind dann Eigentumswohnungen, die man auch wieder verkaufen kann. Dadurch wird niemandem geholfen, der eine günstige Wohnung sucht.
Michael Gehbauer
Die Wohnungen, die Landeshauptmann Doskozil nun den MieterInnen zum Kauf überlassen möchte, sind dann Eigentumswohnungen, die man auch wieder verkaufen kann. Dadurch wird niemandem geholfen, der eine günstige Wohnung sucht. In Wirklichkeit muss man sagen, dass das eine Wohnbaupolitik ist, die einzelnen Menschen zum Vorteil gereicht, aber gesamtgesellschaftlich keine Vorteile bringt.
Man muss sich vorstellen, wenn man dieses Modell zu Ende denkt, dann bekäme ein Individuum eine Wohnung, finanziert von uns allen, aus Steuermitteln, die wir alle beigetragen haben. Das würde bedeuten, dass aus Steuereinnahmen Vermögen zu Gunsten einer Person kreiert würde. Dieses Modell ist aus gewerkschaftspolitischer Sicht, aus wohlfahrtstaatlicher Sicht und auch aus der Tradition der Wiener und der österreichischen Wohnbauförderung nicht zielführend und abzulehnen.
KOMPETENZ: Derzeit steigen nicht nur die Mieten, sondern auch die Betriebskosten, die Energiekosten, die Ausgaben für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Spüren Sie trotz vergleichsweise günstiger Mieten auch unter Ihren MieterInnen, dass Menschen nicht mehr mit dem Geld auskommen?
Michael Gehbauer: Natürlich spüren wir das. Es steigen ja die Gesamtwohnkosten eben inklusive Betriebs- und Energiekosten überproportional im Vergleich zur Erhöhung der Einkommen unserer BewohnerInnen. Das führt bei jenen Menschen, die nicht über so hohe Einkommen verfügen, zu großen Problemen. Ich trete daher schon seit vielen Jahren dafür ein, dass man für diese MieterInnen eine sozialstaatliche Absicherung entwickelt, dass man die Wohnbeihilfe, die es heute schon gibt, auf die gesamten Wohnkosten erweitert. Und die beinhalten eben auch die Energiekosten. Man müsste hier eine neue sozialstaatliche Maßnahme kreieren, die ein Risiko absichert so wie wir das auch bei Arbeitslosigkeit, für Gesundheit, für die Altersvorsorge haben. Es muss für MieterInnen sichergestellt sein, dass sie unter bestimmten Rahmenbedingungen diese Sozialleistung erhalten, wenn jeweils Zahlungen für das Wohnen fällig sind.
KOMPETENZ: Die Regierung hat in der Corona-Krise den Wohnschirm gespannt, der nun angesichts der Teuerungen nicht nur Mietrückstände ausgleicht, sondern auch bei den Energiekosten unterstützt. Federt dieses Netz nicht ausreichend ab?
Michael Gehbauer: Der Wohnschirm ist grundsätzlich eine positive Einrichtung. Aber das Problem ist, dass wir uns nun nach der Coronakrise mit Preisschocks, Inflationsschüben und Teuerungswellen konfrontiert sehen, wo einmal der Bund, einmal die Länder mit Einzelmaßnahmen reagieren, mit denen das Geld zunächst einmal relativ unbürokratisch unter die Leute gebracht wird – einmal unter dem Titel Teuerungsabgeltung, einmal unter dem Titel Heizkostenzuschuss. Das Geld hat also immer einen anderen Namen und wird teils verteilt, ohne zielgerichtet vorzugehen. Ich wäre geneigt zu glauben, eine bundeseinheitliche Wohnbeihilfe würde nicht mehr als das kosten, was nun auf den verschiedenen Ebenen ausgeschüttet wird. Diese Beihilfe wäre aber zielgerichteter und würde jenen Menschen dienen, die sie wirklich brauchen.
KOMPETENZ: Andere Länder wie etwa Spanien und Portugal haben inzwischen mit einer Mietpreisbremse auf die aktuelle Situation reagiert. Die österreichische Regierung entschied sich dagegen, wobei die Grünen dafür eingetreten sind, aber den Koalitionspartner ÖVP nicht überzeugen konnten. Wie stehen Sie zu einer Mietpreisbremse?
Michael Gehbauer: Ich glaube, dass hier seitens der Regierung ein großes Versäumnis begangen wurde. Es war die einmalige Chance, die Inflationsentwicklung spürbar einzudämmen und den Menschen zu helfen. Man hätte sich zudem erspart, Unterstützungsleistungen gewähren zu müssen. Es war aber vor allem auch eine vertane Chance, einen preisdämpfenden Effekt bei Mieten zu erzielen. Jetzt haben wir eine Situation, in der der private Wohnungssektor die Mieten immer weiter erhöht und es Unterstützung für MieterInnen aus Steuermitteln gibt. Das ist eine Politik, wie sie nicht sein sollte.
KOMPETENZ: Was wäre seitens der Politik noch nötig, um die aktuelle Wohnkrise nachhaltig zu mildern?
Michael Gehbauer: Einiges habe ich schon erläutert – von einer umfassenden Wohnbeihilfe, auf die man sich wirklich verlassen kann, bis zu einer Mietpreisbremse. Das Allerwichtigste aber ist eigentlich, dass wir in Österreich im Moment nicht einmal das Geld für den Wohnbau ausgeben, das dafür eingenommen wird. Was meine ich damit? Wir haben in Österreich das System, wonach ein Prozent der Lohnsumme jedes Arbeitnehmers – 0,5 Prozent vom Arbeitnehmer, 0,5 Prozent vom Arbeitgeber – für die Wohnbauförderung eingehoben wird. Das Potenzial liegt hier bei 2,3 bis 2,4 Milliarden Euro pro Jahr.
„Die Wohnbauförderungsmittel, die einmal 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen haben und derzeit nur mehr 0,4 Prozent des BIP ausmachen, müssen wieder auf ein entsprechendes Niveau angehoben werden.“
Michael Gehbauer
Im Moment geben wir aber nur 1,8 bis 1,9 Milliarden Euro für den Wohnbau aus. Auf Grund der nicht vorhandenen Zweckbindung werden die Mittel von den Ländern für andere Maßnahmen vereinnahmt. Die Wohnbauförderungsmittel, die einmal 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen haben und derzeit nur mehr 0,4 Prozent des BIP ausmachen, müssen wieder auf ein entsprechendes Niveau angehoben werden. Und klarerweise muss immer dann, wenn die Zinsen steigen, die Wohnbauförderung massiv eingreifen, um eben diese Preissteigerung, die sich dann in höheren Mieten niederschlägt, einzudämmen und zu regulieren.
Wir haben außerdem in Österreich 180 gemeinnützige Wohnungsunternehmen, die in ihrer Geschichte über eine Million Wohnungen errichtet haben, die sie zum Teil heute noch selbst verwalten. Das ist ein Schatz von rund 650.000 Mietwohnungen, die der Bevölkerung dauerhaft zur Verfügung stehen. Man müsste die künftige Neubauleistung überwiegend durch gemeinnützige Bauvereinigungen im Bereich der geförderten Miete anbieten. Das würde zu einer enormen Angebotssteigerung von leistbarem Wohnraum führen. Hilfreich wären hier auch zinsgünstige Darlehen anstatt der teuren Kapitalmarktfinanzierung, die von einer staatlichen Institution vergleichbar einer Wohnbauinvestitionsbank angeboten werden könnten. Auch das hätte einen Mieten-senkenden Effekt.
Zur Person:
Michael Gehbauer, geb. 1962 in Wien, Studium der Geschichte, Handelswissenschaften und Volkswirtschaft. Seit 1993 für die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) tätig, ab 1999 Gesamtprokurist, seit 2004 Geschäftsführer. Weitere Geschäftsführerfunktionen im WBV-GPA-Konzern sowie in der Privatstiftung zur Bildung und Unterstützung von Arbeitnehmer*innen. Seit 2019 Obmann des Vereins für Wohnbauförderung (VWBF) und seit Jänner 2022 Obmann der Landesgruppe Wien der gemeinnützigen Bauträger (GBV).
Die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA)
Die WBV-GPA wurde 1953 gegründet, um im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Wohnraum zu schaffen. Nach fünf Jahren waren bereits 466 Wohnungen errichtet. Heute verfügt die WBV-GPA über circa 10.000 Wohnungen in ganz Österreich, mehr als 8.000 davon in Wien. Der durchschnittliche Quadratmetermietpreis inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer beträgt heute circa 6,80 Euro.