Vom Aufhelfen, Stützen und Halt geben

Fatih Özköseoglu, Nadine Pertl und Michael Mann (v.l.n.r.) gehören seit November 2022 zum 10-köpfigen NEUSTART-Betriebsratsgremium
Foto: Daniel Novotny

Drei Betriebsrät:innen des Vereins NEUSTART berichten vom Stigma Haftentlassener und weshalb sie immer wieder ans Gute glauben können.

Der Verein NEUSTART steht Menschen zur Seite, die straffällig geworden bzw. im Zusammenhang mit Betretungs- und Annäherungsverboten polizeilich auffällig geworden sind. Die Aufgaben sind dabei sehr vielschichtig: sie reichen von der Bewährungs- und Haftentlassenenhilfe oder der Betreuung im elektronisch überwachten Hausarrest über Präventionsarbeit – u.a. Schulsozialarbeit – bis hin zu Tatausgleich und Gewaltpräventionsberatung. NEUSTART ist im gesamten Bundesgebiet tätig.

Aus dem Miteinander heraus

Fatih Özköseoglu, Nadine Pertl und Michael Mann gehören zum 10-köpfigen NEUSTART -Betriebsratsgremium, das sich Ende November 2022 konstituiert hat. Özköseoglu ist Betriebsratsvorsitzender, Pertl erste Stellvertreterin, Mann zweiter Stellvertreter. Alle drei sind unter anderem als Bewährungshelfer:innen im Verein tätig.

Mit dem zusätzlichen Dienst der Gewaltpräventionsberatung (seit 2021 verpflichtend für Gefährder:innen), der in einigen Bundesländern vom Verein NEUSTART angeboten wird, hat sich die Zahl der Mitarbeiter:innen um circa ein Drittel erhöht. „Organisatorisch war das nicht leicht zu stemmen“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende. Junge Leute zwischen 20 und 30 Jahre alt, sind neu dazugekommen. „In unserem Alltag sind wir dadurch auch vermehrt mit unterschiedlichen Vorstellungen über Arbeit konfrontiert, was zu unterschiedlichen Bedürfnissen führt. Diese verschiedenartigen Zugänge können zwischen den  Generationen von Kolleg:innen zu Verunsicherungen und Irritationen führen“, berichtet Fatih Özköseoglu.

Frisch im Beruf, sehr engagiert und auch idealistisch, gehört es in sozialen Berufen dazu, dass junge Einsteiger:innen in der Praxis lernen, die professionelle Nähe und Distanz zu den Klient:innen zu wahren und persönliche Grenzen zu kennen. Generell  kann die Burn-Out- und Drop-Out-Rate in den sozialen Berufen sehr hoch sein. Umso wichtiger ist auch die engagierte Arbeit der Betriebsrät:innen.  Noch bevor es zur Betriebsratswahl ging, mussten die Kandidat:innen-Listen erstellt werden. „Da merkten wir schnell, dass wir wenig Erfahrung haben “, berichtet Özköseoglu. „Denn außer Nadine und zwei Kolleginnen, die schon im vorherigen Gremium aktiv waren, hatte auf der gesamten Liste noch niemand Betriebsratsarbeit gemacht.“ Freilich konnten sie da auf die Unterstützung der GPA bauen.

Inzwischen ist das Betriebsratsgremium ein eingespieltes Team. Michael Mann: „Wir tauschen uns ständig aus, ergänzen einander und teilen die Betriebsratsarbeit auf“. Es wird nicht von oben herab bestimmt, die Entscheidungen werden aus der Mitte heraus getroffen. „Unsere Kolleg:innen in den NEUSTART-Standorten beschäftigen sich mit den regionalen Angelegenheiten und Fragestellungen“, ergänzt Nadine Pertl. Die Hierachien im Gremium werden versucht so niedrig wie möglich zu halten, was ein gutes Miteinander schafft. „Und das macht unsere komplexe Arbeit wiederum sehr viel leichter“, weiß Betriebsratsvorsitzender Özköseoglu.

Großteils weiblich und sehr vielseitig

Der Verein NEUSTART beschäftigt bundesweit circa 750 hauptberufliche und rund 900 ehrenamtliche Mitarbeiter:innen. Dabei beträgt der Frauenanteil bei den Hauptberuflichen rund 60 Prozent. Die Anstellung wird durch einen eigenen Kollektivvertrag, der nur für die Arbeitnehmer:innen des Vereins NEUSTART gilt, geregelt. „Wir haben aber keine jährlichen KV-Verhandlungen, die Lohnerhöhungen hängen vom Tariflohnindex ab“, berichtet Betriebsratsvorsitzender Fatih Özköseoglu.

Die Anzahl der Mitarbeiter:innen bei Neustart hat sich seit 2021 um rund ein Drittel erhöht. Eine organisatorische Herausforderung erzählen die Betriebsrät:innen Fatih Özköseoglu, Nadine Pertl und Michael Mann (v.l.n.r.).
Foto: Daniel Novotny

Obwohl die Verurteilungen zurückgehen, wächst die Zahl der Bewährungshilfe-Anordnungen. „Eine Hypothese ist, dass Richter:innen häufiger Bewährungshilfe anordnen, weil das Ergebnis überzeugt“, mutmaßt Pertl. Allein in der Bewährungshilfe werden jährlich mehr als 12.300 Klient:innen betreut. Dass gute Arbeit geleistet wird, bestätigt auch eine Klient:innen-Befragung: denn ganze 99 Prozent waren mit der Arbeit des Vereins NEUSTART zufrieden. Und für 93 Prozent hat sich das Leben durch die Unterstützung des Vereins zum Positiven verändert. Ein Ergebnis, das Mut und Kraft gibt.  Die langfristige Begleitung gepaart mit der intensiven Auseinandersetzung der zugrunde liegenden Delikte sowie die Unterstützung der Einhaltung von gerichtlichen Weisungen gehören zum Kern der Bewährungshilfe. Die Begleitung der Klient:innen  kann oft einige Jahre dauern und ist nicht allein von Harmonie geprägt. Schließlich haben sie neben einer unterstützenden Funktion auch eine überwachende.

Für marginalisierte Gruppen bleibt der Rand

Bevor Fatih Özköseoglu Bewährungshelfer wurde, arbeitete er 10 Jahre in der Papierindustrie, wechselte 2007 als Quereinsteiger zu Streetwork Schärding. Der Oberösterreicher aus Wels wollte mit Menschen arbeiten, die über einen längeren Zeitraum oder teils ihr gesamtes Leben lang existenzielle Probleme haben. Er spezialisierte sich auf rechtsorientierte Jugendliche, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Migration und (Jugend-)Subkulturen. „Mein gesellschaftspolitischer Anspruch war und ist, Menschen nicht einfach nur wegzusperren, denn Haftstrafen allein lösen das Problem der Kriminalität nicht“, betont der Welser.

Bei NEUSTART fing Özköseoglu 2017 an. Der Betriebsratsvorsitzende arbeitet zu 50 Prozent als Bewährungshelfer, von den Betriebsrät:innen ist niemand zur Gänze freigestellt. Innerhalb seiner acht NEUSTART-Jahre haben die gesellschaftlichen Entwicklungen nur noch mehr Hürden für die ohnehin marginalisierte Klientel aufgeworfen. „Wir betreuen eine Zielgruppe, die von der Gesellschaft geächtet wird“, fasst es Özköseoglu zusammen. Der Sozialarbeiter ist in einem migrantisch geprägten Milieu aufgewachsen. „Der Anpassungsdruck war immer schon sehr hoch“, erinnert er sich. Auch Sozialarbeiterin Nadine Pertl ist eine Quereinsteigerin – nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft hat sie sich entschlossen, ihrer Berufstätigkeit einen persönlichen und gesellschaftlichen Mehrwert zu geben. „Ich wünsche mir von meinem Job mehr als nur die  Absicherung meiner Existenz“, erzählt Pertl.  In einer Mediationsausbildung gab es den ersten Kontakt mit NEUSTART. Die Sozialarbeiterin: „Das Konzept des Tatausgleichs und die anderen Vereins-Angebote haben sofort mein Interesse geweckt“.  Im Gegensatz zu seinen beiden Mitstreiter:innen ist Michael Mann kein Quereinsteiger. Er fand seinen Weg zum Verein NEUSTART über Praktika im Studium. Mann schätzt besonders die  Vielfältigkeit des Berufs und die  Arbeit mit den Klient:innen. „Obwohl die Arbeit kräftezehrend sein kann, gibt es doch immer wieder größere und kleinere Erfolgserlebnisse in der Zusammenarbeit – sei es mit Kolleg:innen als Betriebsrat, oder mit Klient:innen als Sozialarbeiter“.

Scroll to top