Friedrich Hillegeist: Pionier der Sozialversicherung

Friedrich Hillegeist beim ÖGB-Bundeskongress 1955
© Kammler/ÖGB-Archiv Makart/ÖGB-Archiv

Friedrich Hillegeist war nicht nur der führende Kopf beim Aufbau einer einheitlichen, über alle Sektoren der Wirtschaft reichenden gewerkschaftlichen Angestelltenorganisation im ÖGB, sondern als Visionär einer einheitlichen Sozialversicherung, deren Fundament vor 70 Jahren durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geschaffen wurde.

Von 1945 bis 1963 war Friedrich Hillegeist Vorsitzender der „Gewerkschaft der Angestellten in der Privatwirtschaft“ – so der ursprüngliche Name der späteren GPA. Politisch und gewerkschaftlich war er bereits in der Ersten Republik aktiv, zuerst als Betriebsratsobmann der Siemens-Schukert-Werke, dann als Sekretär im Verband der Industrieangestellten. Nach den Februarkämpfen 1934 betätigte er sich führend im Rahmen der Illegalen Freien Gewerkschaften Österreichs und engagierte sich bereits für die Interessen der Angestellten.

Verhaftung durch die Nazis

Sein prononciertes Auftreten gegen den Faschismus sollte er teuer bezahlen. Hillegeist wurde unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verhaftet. Einer ersten Gestapo-Haft folgten weitere Verfolgungen und Gefangenschaft, davon acht Monate im KZ Buchenwald. In den letzten Kriegsjahren arbeitete er in Nordmähren, nicht ohne auch hier im Rahmen seiner Möglichkeiten im Widerstand tätig zu sein. Als Mitarbeiter der Firma Mährisch-Trübau des Unternehmers Oskar Schindler beteiligte er sich an der Rettung jüdischer Zwangsarbeiter:innen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wien übernahm Friedrich Hillegeist die Funktion des Vorsitzenden der Angestelltengewerkschaft, die er 17 Jahre innehaben sollte. Im Widerspruch zu den Arbeitergewerkschaften lehnte er das Industriegruppenprinzip ab, wonach Arbeiter und Angestellte eines Wirtschaftsbereichs der gleichen Gewerkschaft angehören sollten. Alle Vorstöße, die einheitliche Organisation der Angestellten im ÖGB und gesonderte Kollektivverträge zu unterlaufen und ein Aufgehen der Angestellten in anderen Gewerkschaften voranzutreiben, stießen auf seine heftige Kritik.

Er war der festen Überzeugung, dass die Angestellten für die Gewerkschaften in großer Zahl nur in einer eigenständigen Organisation unter Respektierung bestehender Sonderstellungen zu gewinnen seien. In diesem Sinn appellierte er stets, das Szenario eines möglichen Ausscherens in eine Angestelltengewerkschaft außerhalb des ÖGB zu verhindern. Das sicherte in Österreich auch das Monopol eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes mit einer im Angestelltenbereich nachhaltig weit höheren Mitgliedschaft als in den meisten europäischen Ländern. Die Entwicklung der GPA zur mitgliederstärksten ÖGB-Gewerkschaft sollte ihm Recht geben.

Wegweisender Sozialpolitiker

Zurück in Wien drängte Friedrich Hillegeist umgehend auch wieder nach politischer Verantwortung. Er wurde Abgeordneter zum Nationalrat, dem er bis 1962 angehören sollte, zwei Jahre als dessen Zweiter Präsident. Als Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger war er in den 50er Jahren treibende politische Kraft auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sozialrecht aller Beschäftigten, nicht nur in der Kranken- und Unfallversicherung, sondern auch hinsichtlich einer völligen Neuordnung der gesetzlichen Alterssicherung.

Wegbereiter des ASVG

Unbestreitbar kann man ihn als Wegbereiter des vor 70 Jahren geschaffenen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) bezeichnen, das in vielen Eckpunkten bis heute gilt. Ihm ging es v.a. darum, eine zukunftsorientierte Rentenreform voranzutreiben, die unter Beibehaltung bestehender Ansprüche sicherstellt, dass alle Beschäftigte „nach langjähriger Berufstätigkeit einen Lebensabend ohne Sorgen, Elend und Not verbringen können.“Leitgedanke war es, in der Alterssicherung den Lebensstandard abzusichern.

Dabei trat er vehement für ein auf dem Versicherungsprinzip basierendes Pensionsrecht ein, indem die Leistungen in einem direkten Verhältnis zu den aus dem Erwerbseinkommen abgeleiteten Beiträgen stehen sollten. Darüber hinaus sollten die Leistungen an jene der Beamt:innen angeglichen werden, deren Bezüge mehr als ein Drittel über dem Rentenan-sprüchen von Arbeiter:innen und Angestellten lagen und ein Ausgleichsrichtsatz eingeführt werden, um auch Mindestrenten armutssichernd auszugestalten.

Friedrich Hillegeist (mitte) beim Gewerkschaftstag der GPA im November 1958
© Kammler/ÖGB-Archiv

Der „Hillegeist-Plan“ Hillegeist hat das nach langen und intensiven politischen Debatten im Jahr 1955 beschlossene ASVG stets als das „hervorragendste sozialpolitische Gesetzeswerk“ bezeichnet, „das in Österreich nach 1945 geschaffen wurde.“ Allen Widerständen gegen seinen „Hillegeist-Plan“ zum Trotz verstand er es mit beharrlicher Konsequenz eine einheitliche, alle Beschäftigten integrierende Politik der sozialen Sicherung voranzutreiben.

Unbestreitbar kann man ihn als Wegbereiter des Stammgesetzes der Sozialversicherung bezeichnen, das im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Novellierungen erlebte, in vielen Eckpunkten jedoch bis heute gilt. Es ist keineswegs übertrieben, wenn man festhält, dass Friedrich Hillegeist damit als Sozialpartner der Ersten Stunde entscheidend zur sozialen Stabilisierung Nachkriegsösterreichs beigetragen hat.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch: Persönlichkeiten der SPÖ zu Beginn der Zweiten Republik, das im Mandelbaumverlag erschienen ist.

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