Das österreichische Schulsystem wird oft kritisiert, aber wie könnte man es verbessern? Alexia Weiss hat mit ihrem Buch „Zerschlagt das Schulsystem…und baut es neu!“ einen Entwurf für die Schule der Zukunft vorgelegt. Sie verlangt einen radikalen Neuanfang. Für eine Schule, in der sich jedes Kind bestmöglich entfalten und lernen kann.
Alexia Weiss bezeichnet ihr Buch selbst zwar als eine Streitschrift, doch es kommt größtenteils ohne Polemik und das Anprangern von Missständen aus. Missstände beschreiben, so erklärt die Autorin, sei nicht zielführend, auch wenn viele das von einem Buch dieses Titels erwarten würden.
Weiss’ Ziel ist vielmehr, eine Vision für ein völlig neu aufgesetztes Schulsystem vorzulegen, ein Plädoyer, wie man die Dinge besser machen könnte. Sie fordert mehr als nur ein „Reförmchen“ oder einen neuen Schulversuch. Weiss entwickelt daher in ihrem kurz und eindringlich geschriebenen Buch ein ideales, zeitgemäßes Schulsystem und erklärt anschaulich und mit vielen Beispielen, was es dafür bräuchte. Es umfasst die Elementarpädagogik, die Volksschulzeit, die Sekundarstufe und das Gymnasium ebenso wie die berufsbildenden Schulen, also die Schullaufbahn aller Kinder zwischen drei und 18 oder 19 Jahren.
Chancengleichheit
Die Devise muss heißen: Gleiche Chancen für jedes Kind, unabhängig von seiner ethnischen und sozialen Herkunft, seiner Muttersprache und natürlich von seinem Geschlecht. Als Vorbilder für Weiss’ ideale Schule führt sie die Montessoripädagogik, die jedem einzelnen Kind gerecht werden möchte, ebenso an wie Schulsysteme anderer Länder, wie z.B. Finnland. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, helfen Best-Practice-Beispiele. Aber für Weiss gibt es nicht nur den einen Lösungsansatz, sie will mit ihrer Streitschrift eine Diskussion in Gang setzen.
Klar ist: es muss eine endgültige Abkehr vom Frontalunterricht geben und es braucht massive Motivationsarbeit, um SchülerInnen für Inhalte zu begeistern. Am Ende der jeweiligen Schullaufbahn soll ein Abschlusszeugnis die tatsächliche Qualifikation widerspiegeln – und nicht einfach nur ein formaler Abschluss sein, mit dem der oder die Jugendliche sich auf die Suche nach einer Lehrstelle, einen Studienplatz oder einen Job begibt.
Gesamtschule und Ganztagsschule
Grundlegend für eine neue Schule sind die Gesamtschule und die Ganztagsschule, wo allen Kindern sowohl die nötige Geborgenheit, als auch ausreichend Freiheit geboten wird, wo sie ihre Stärken und ihre Persönlichkeit entwickeln können. Die Eckpfeiler eines neuen Schulsystems müssten einerseits pädagogischer Natur sein, aber auch organisatorischer Art. Es braucht neue Curricula und ein Kurssystem, damit individuelle Stärken sowie Interessen und Vorlieben berücksichtigt werden können. Kleinere Klassen- bzw. Lerngruppen würden Kindern deutlich bessere Lernchancen geben und zugleich die PädagogInnen entlasten.
Die Ganztagsschule wiederum ist aus pädagogischer Perspektive deutlich sinnvoller, weil sie die bestmögliche Betreuung bietet. Auch Nachhilfe bzw. Förderunterricht findet – gratis – in der Schule statt. Die Ganztagsschule würde auch den Eltern und v.a. den Müttern helfen, endlich Kinder und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bekommen.
Der Coach
Ein zentraler Pfeiler ist in Weiss’ Entwurf für ein modernes Schulsystem der Coach. Das ist eine Person, idealerweise ein/e PsychologIn, die jede/n SchülerIn während der gesamten Schullaufbahn im Blick hat und sie begleitet. Der Coach beobachtet den Schulerfolg des Kindes. So bekommt jedes Kind Unterstützung, z.B. falls es Förderunterricht benötigt, oder aber auch wenn es Probleme in der Klassengemeinschaft gibt (Stichwort: Mobbing). Der Coach kennt das Kind schließlich gut genug, um auch bei der Auswahl von Fächern beratend zur Seite zu stehen und schließlich bei der Berufswahl Hilfestellung leisten zu können. Coaches sollen sicherstellen, dass jedes Kind sein Potential entfalten kann, bestmöglich gefördert wird und motiviert ist, individuell sein Bestes zu geben. Das ist v.a. bei SchülerInnen mit besonderen Bedürfnissen ganz zentral, oder aber auch bei Kindern mit mangelnden Deutschkenntnissen oder aus einem bildungsfernen Elternhaus. Die Coaches würden außerdem endlich die PädagogInnen entlasten, damit diese wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich dem Unterricht und dem Vermitteln von Kompetenzen nachkommen können.
Elementarbildung
Um Kinder bestmöglich fördern zu können, muss auch endlich der Kindergarten als erste Bildungseinrichtung in den Fokus rücken. Die Arbeitsbedingungen für ElementarpädagogInnen müssen dringend verbessert werden. Kleinere Gruppen und damit ein neuer Pädagogin-Kind-Schlüssels sind längst überfällig und v.a. die Sprachförderung sollte im Kindergarten im Zentrum stehen. Das Ziel ist, dass alle Kinder beim Schuleintritt über ein adäquates Sprachniveau verfügen.
Ein weiterer Bereich, der in einem erneuerten Schulsystem einen prominenten Platz bekommen sollte, ist für Weiss die Erziehung zur Demokratie. Diese Querschnittsmaterie lässt sich in Unterrichtsalltag gut üben, indem bereits mit sehr jungen Kindern Entscheidungen, die die Klasse betreffen, gemeinsam getroffen werden. Kinder sollen lernen, wie man in Diskussionen die Meinung des/der anderen respektiert, und was der Unterschied zwischen Fakten und Meinung ist.
Fit für den Arbeitsmarkt
Mit dem jetzigen System ist eigentlich niemand zufrieden, weder die SchülerInnen, noch die LehrerInnen, und auch nicht die Eltern. Die Wirtschaft klagt ebenfalls über fehlende Grundkompetenzen bei SchulabsolventInnen, wie z.B. Defizite beim sinnerfassenden Lesen oder bei den Grundrechnungsarten. Viele Ausbildungsplätze oder Jobs werden derzeit nicht vergeben, weil es den KandidatInnen an Qualifikationen fehlt. Derzeit fallen daher immer mehr Jugendliche aus dem Ausbildungssystem oder verfügen über keinen Abschluss. Ein neues Schulsystem könnte daher jungen Menschen bessere Startchancen geben und sie fit für den Arbeitsmarkt machen, was den Sozialstaat langfristig entlasten würde.
Nicht finanzierbar?
Dem Totschlagargument: „Das ist nicht finanzierbar“ hält Weiss die indirekten Kosten des derzeitigen ineffizienten Systems entgegen. Natürlich würde eine wirklich grundlegende Schulreform hohe Kosten mit sich bringen. Doch war es nicht in den letzten zwei Jahren möglich, enorme Summen für die Corona-Hilfen lockerzumachen? Investitionen in Bildung machen sich bezahlt, sowohl zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, als auch für die Wirtschaft, die über Personalmangel klagt und in vielen Branchen nach gut ausgebildeten Fachkräften sucht. Umgekehrt müsste man hier auch die Folgekosten des derzeitigen schlechten Schulsystems beziffern.
„Wer eine gerechtere Gesellschaft will, muss ganz am Anfang ansetzen. Und der Anfang, das sind in diesem Fall die Kinder. Für sie müssen wir einen völligen Neuzugang wagen“, schließt Weiss ihr Plädoyer. Daher auch ihre radikale Forderung: „Zerschlagt das Schulsystem… und baut es neu!“
Alexia, Weiss: Zerschlagt das Schulsystem… und baut es neu! Eine Streitschrift. Kremayr & Scheriau 2022.
Zu beziehen in der Fachbuchhandlung des ÖGB, 1010 Wien, Rathausstraße 21, oder Online