Die aktuelle Regierung in Finnland wird von konservativen und rechten Parteien gestellt. Diese beschränken die Rechte von Arbeitnehmer:innen und Sozialleistungen, ohne Rücksicht auf die desaströsen Effekte zu nehmen. Auch das Streikrecht gerät unter Bedrängnis. Antti Palola, Vorsitzender des finnischen Gewerkschaftsbund STTK, der finnische Bund der Angestellten, warnt im Gespräch mit der KOMPETENZ vor solchen Entwicklungen.
KOMPETENZ: Wie ist es um die Rechte der Beschäftigten in Finnland aktuell bestellt?
ANTTI PALOLA: Finnland ist traditionellerweise ein konsensorientiertes Land. Wir haben die finnische Gesellschaft durch Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen sowie der Regierung aufgebaut. Selbst in schwierigen Zeiten ist es uns dabei gelungen, einen Konsens zu erreichen, der auf Verhandlungen beruht hat.
Das war das System bis zum, ich würde sagen, letzten Jahr, seit die jetzige Regierung im Amt ist. Sie besteht aus der konservativen Partei, die mit der Partei „Die Finnen“ koaliert. Letztere werten wir klar als rechtsextreme Partei, auch wenn sie selbst diese Bezeichnung nicht mögen.
KOMPETENZ: Was bedeutet es, wenn die aktuelle finnische Regierung nicht mehr konsensorientiert arbeitet?
PALOLA: Durch die aktuelle Regierung hat sich vieles zum Schlechteren geändert, zum Beispiel bei den Arbeitnehmer:innengesetzen oder im Sozialsystem. Diese Reformen wurden im Regierungsprogramm einfach vorgegeben, es fanden keine Verhandlungen statt, die es ansonsten traditionellerweise geben würde. „Die Finnen“ haben diese Vorgehensweise ermöglicht, die sonst in keiner anderen Koalition möglich gewesen wäre.
So wurde etwa die Unterstützung bei Arbeitslosigkeit deutlich reduziert, die schlimmste Maßnahme in diesem Zusammenhang ist ab dem 1. September eingetreten. Nun ist es so, dass bereits nach zwei Monaten das Arbeitslosengeld um 20 Prozent gekürzt wird.
KOMPETENZ: Gibt es auch Einschränkungen für aktiv Beschäftigte?
PALOLA: Wir haben ein sehr gutes Programm für Erwachsenenbildung in Finnland gehabt, das hauptsächlich von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen finanziert wurde. Die Regierung hat es aber beendet, weil es laut ihr die Beschäftigungsrate nicht erhöhe, da die Personen neben der Weiterbildung nicht arbeiten.
Die Weiterbeildung war aus Sicht der Regierung also ein Minus für die Beschäftigungsrate. Das ist natürlich absoluter Schwachsinn! Aufgrund des technischen Fortschritts und des Klimawandels verändert sich auch die Arbeitswelt, gleichzeitig sinkt die Geburtenrate und die Bevölkerung wird älter. Wir brauchen also gerade in Zukunft immer mehr gut ausgebildete Menschen.
KOMPETENZ: Was heißt das für all jene, die sich jetzt fortbilden wollen?
PALOLA: Man muss einen Kredit aufnehmen, um sich die entsprechende Weiterbildung zu finanzieren. Zusätzlich muss man neben der Ausbildung weiterhin gleichzeitig arbeiten. Man arbeitet also regulär und muss sich in seiner Freizeit weiterbilden. Wir sind darüber sehr überrascht, denn diese Maßnahme spart für den Staat überhaupt kein Geld ein. Es gibt einige neue Initiativen für kleinere Programme im öffentlichen Sektor, aber sie sind unterfinanziert und kommen nicht an die bisherige Erwachsenenbildung heran.
KOMPETENZ: Wie rechtfertigt die Regierung ihre Maßnahmen?
PALOLA: Das Narrativ der Regierung ist, dass ihre Reformen die Beschäftigung erhöhen und so den Staatshaushalt ausgleichen sollen. Aber während des ersten Jahres der Regierung ist unsere Beschäftigungsquote leider sogar gesunken. Wir haben mehr Arbeitslose als zu Beginn der Regierung. Das Narrativ der Regierung stimmt also nicht!
KOMPETENZ: Wie wirken sich diese Angriffe auf Arbeitnehmer:innen und Sozialstaat auf die gewerkschaftliche Arbeit aus?
PALOLA: Ich denke, dass das Regierungsprogramm ganz starken Einfluss auf die kommenden Kollektivvertragsverhandlungen haben wird. Die Gewerkschaften werden mehr Sicherheiten für Arbeitnehmer:innen einfordern, als Ausgleich für die Kürzungen im Sozialstaat sowie die Einschränkung von Arbeitnehmer:innen-Rechten.
Es kann auch zu Streiks im Zusammenhang mit den Verhandlungen kommen, aber es wird keine weiteren politischen Streiks geben, da die Regierung dieses Recht seit diesem Sommer als eine ihrer ersten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen eingeschränkt hat. Wir können jetzt nur noch auf Zeit streiken, und zwar maximal 24 Stunden zu einem bestimmten Thema.
KOMPETENZ: Beeinflussen diese Maßnahmen auch die Geschlechtergerechtigkeit in Finnland?
PALOLA: Ich denke, das gesamte Regierungsprogramm und auch alle Reformen der Arbeitsgesetzgebung haben sich negativ auf den Faktor Gleichberechtigung ausgewirkt. Viele der Reformen betreffen vor allem die Sektoren, in denen Frauen beschäftigt sind, nicht zuletzt die Gesetzesinitiative zur Bindung von Lohnerhöhungen an den Exportsektor, die das geschlechtsspezifische Lohngefälle ziemlich effektiv einzementieren würde.
Gleichstellung war auch eines unserer Hauptargumente, als wir uns gegen die von der Regierung vorgeschlagenen Reformen ausgesprochen haben. Doch die Regierung hat nur verlautbart, dass sie darauf keinen Einfluss habe und es bei ihren Maßnahmen nicht um Gleichberechtigung gehe. Eine Antwort, mit der wir gerechnet haben.
KOMPETENZ: Wie bewerten Sie persönlich diese Entwicklungen in Finnland?
PALOLA: Ich war zuvor Vorsitzender von kleineren Gewerkschaften, jetzt bin ich in dieser Position tätig. Dies ist also mein 26. Jahr in der gewerkschaftlichen Arbeit, ich habe also ziemlich viel Erfahrung. Und ich kann sagen: Das war das schwierigste Jahr meiner Karriere.
Ich wünsche mir, dass in Zukunft wieder Reformen des Arbeitsrechts und des Sozialstaats durch eine Vereinbarung zwischen den Partnern erfolgen. Während unserer gegenwärtigen Regierung sehe ich dabei kein Licht am Ende des Tunnels, es wird eher immer schlimmer werden. Denn auch die konservative Partei wird auf Druck der „Die Finnen“-Partei den Verhandlungstisch nicht für die Sozialpartner öffnen wollen.
KOMPETENZ: Gibt es etwas, dass Sie den Leser:innen in Österreich mitteilen wollen?
PALOLA: Ich möchte Ihren Leser:innen mitgeben, dass Sie auch von rechten Parteien klare Antworten verlangen müssen, wenn es um den Schutz von Arbeitnehmer:innen und den Erhalt des Sozialstaats geht. Zum Beispiel: Hat die Partei vor, Sozialleistungen kürzen?
Das war nämlich eine große Überraschung für uns, denn die Parteien hier in Finnland haben vor den Wahlen vor einem Jahr gesagt, dass sie keine Sozialleistungen kürzen werden. Und was ist das Ergebnis? Sie haben all ihre Worte, die sie vor den Wahlen gesagt haben, vergessen.