Peter Hacker, der Wiener Flüchtlingskoordinator, fordert im KOMPETENZ-Interview legale Arbeitsmöglichkeiten für Asylsuchende und kürzere Verfahren. Anstelle des Innenministeriums sollte ein aufgeschlossenes Familienministerium dafür zuständig sein.
KOMPETENZ: Wie lange dauern derzeit Asylverfahren in Wien und im Vergleich in den Bundesländern?
Peter Hacker: Wir können es nur aus der Statistik über den Verbleib der Menschen in der Wiener Grundversorgung ableiten. Aber wir haben keine ordentliche Leistungsdokumentation der zuständigen Behörde. Das ist ärgerlich, denn wir brauchen sie alle miteinander für Planungsgrößen in der Grundversorgung, in der Integrationsarbeit und auch im Arbeitsmarktservice (AMS). Bekanntlich haben wir alle mit wesentlich mehr positiven Asylbescheiden im vergangenen Jahr gerechnet und haben uns auf wesentlich mehr Aufgaben vorbereitet, als dann tatsächlich eingetreten sind.
KOMPETENZ: Tauschen Sie sich mit den Zuständigen in den anderen Bundesländern aus?
Hacker: Ja, regelmäßig. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen Wien und dem ländlichen Raum, aber die Situation der Bundesländer an sich ist nicht wesentlich anders. Wir haben ja seit Jahren das gemeinsame Ziel, dass wir die Verfahren beschleunigt haben wollen.
Genau genommen ist die Grundversorgungsvereinbarung 2004 schon so konstruiert worden, weil wir bei den Verhandlungen schnellere Asylverfahren verlangt haben. Deshalb ist die Klausel enthalten, dass der Bund hundert Prozent zahlen muss, wenn die AsylwerberInnen länger als ein Jahr in Grundversorgung sind. Der Bund hat damals gesagt, eine Beschleunigung der Asylverfahren sei sowieso sein Ziel. Aber offensichtlich haben sie mehr als genug Geld. Ansonsten könnte es den Behörden nicht völlig egal sein, dass die Verfahren länger als ein Jahr dauern und sie hundert Prozent der Kosten tragen müssen.
KOMPETENZ: Wie lange dauern die Verfahren dann, lässt sich das einschränken auf drei oder fünf Jahre?
Hacker: Leider können wir nicht einmal das auswerten, weil auch diese Informationen in einer Datenbank des Innenministeriums schlummern. Wir sind immer auf die Auswertungen angewiesen, die wir gerade machen dürfen oder die uns zur Verfügung gestellt werden. Und das ist äußerst unbefriedigend.
KOMPETENZ: Lässt sich im Nachhinein herausrechnen, wie lange ein Asylverfahren gedauert hat?
Rund die Hälfte der Asylwerber sind derzeit länger als ein Jahr im Verfahren.
KOMPETENZ: Was dürfen KandidatInnen, die so lange im Asylverfahren hängen, überhaupt tun?
Hacker: Nichts! Wir zwingen die Leute ja dazu, nichts zu tun. Wir verbieten ihnen das Arbeiten. Gäbe es nicht Initiativen in den Bundesländern, hätten wir keine Deutschkurse, Wertekurse oder sonstige Beschäftigungsmaßnahmen für Asylwerber. Das ist ein völlig unerträglicher Zustand! Und es ist auch der Grund, weshalb es diesen Konflikt zu den Integrationsmaßnahmen zwischen den Ländern und dem Bund gibt – und der wird auch nicht aufhören, ganz im Gegenteil. Nur weil wir uns daran gewöhnt haben, dass das inakzeptabel ist, ist es nicht akzeptabler geworden.
KOMPETENZ: Sie waren auch Wiener Drogenkoordinator. Inwieweit hängen lange Asylverfahren mit Drogenkriminalität zusammen?
Hacker: Die gesamte Kriminalität von AsylwerberInnen hängt damit zusammen. Die Menschen kommen ja her mit einer Perspektive, weil sie sich etwas vorgenommen haben. Ob wir das gut oder schlecht finden, ist eine andere Frage. Keiner kommt hierher ohne Energie, ohne Kraftanstrengung, ohne die Bereitschaft, viele Mühen auf sich zu nehmen.
Klar ist: Wenn es keine legale Möglichkeit gibt, bleibt die illegale. Also es ist aus sicherheitspolizeilichen Gründen vollkommen untragbar, dass die Verfahren so lange dauern. Es ist aus integrationspolitischer und auch aus finanzieller Sicht untragbar – und aus kommunikationstechnischer. Wieso sollen wir ständig der Bevölkerung erklären, dass viele Flüchtlinge über Monate hindurch von uns finanziell erhalten werden und sie aber nichts dazu beitragen dürfen?
KOMPETENZ: Sie haben diese Kritik am Innenministerium bereits mehrmals vorgebracht. Zusätzlich gibt es legistische Hürden für AsylwerberInnen, wie den Bartenstein-Erlass, der seit langem kritisiert wird, bevor die Flüchtlingswelle 2015 und 2016 Mitteleuropa erreichte. Warum tut sich Österreich hier so schwer?
Hacker: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Der Bartenstein-Erlass verstößt ganz klar gegen eine EU-Richtlinie, und er verstößt auch gegen die Vernunft. Die EU-Richtlinie ist immerhin verpflichtend umzusetzen – nicht, weil sich das in Brüssel irgendwelche „Bürokraten“ ausgedacht hätten, sondern weil Österreich dieser Richtlinie zugestimmt hat.
Ich bin sehr froh, dass ich mich hier mit der gesamten Sozialpartnerschaft eines Sinnes weiß. Sowohl die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer auf ArbeitnehmerInnenseite als auch die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer auf Arbeitgeberseite haben sich zu diesem Thema mehrfach sehr aufgeschlossen geäußert. Daher ist es umso unverständlicher, wenn es hier nicht um die Sache geht, sondern um den Missbrauch eines Themas.
KOMPETENZ: Dass AsylwerberInnen legal arbeiten, ist ja in Ländern wie Schweden gang und gäbe. Lässt sich das auch hierzulande umsetzen?
Hacker: Natürlich. Es geht ja nur um das Verbot von Anstellungsverhältnissen, was noch absurder ist. Wenn AsylwerberInnen Ein-Personen-Unternehmen gründen in den Branchen, die offen sind, ist das ohnehin erlaubt. Zynisch formuliert: Dem Gewerbe der Prostitution dürfen die Frauen und Männer schon nachgehen, das finden offenbar alle super. Aber in dem Beruf, den sie gelernt haben, dürfen sie nicht arbeiten. Das ist einfach nur absurd! Es geht um die Frage, wie rasch Integration möglich ist. Es muss auch so schnell wie möglich Klarheit darüber geschaffen werden, wer bleiben darf. Je länger so ein Verfahren dauert, umso schwieriger wird es, den Menschen zu erklären, dass es aufgrund der vorgelegten Argumente nicht ausreicht, dass sie als Asylberechtigte bei uns aufgenommen werden. Wir haben in Wien immer noch 200 Personen in Grundversorgung, die schon länger auf den Asylbescheid warten, als es die Grundversorgung überhaupt gibt. Die warten seit mehr als zwölf Jahren auf eine Entscheidung!
KOMPETENZ: Im vergangenen Jahr gab es in Wien bei der ersten Jobmesse für MigrantInnen und AsylwerberInnen großen Andrang. Auch Unternehmen würden sie gerne anstellen, ist immer wieder zu hören.
Hacker: Wir wissen aus manchen Branchen in Österreich, dass wir einen Arbeitskräftemangel haben. Egal, ob in der Gastronomie oder im Tourismus, in manchen Ecken suchen wir Facharbeiter, in anderen Lehrer, Programmierer oder Buchhalter. Diese Nischen sollte man aufmachen, und da muss man froh sein, jemanden zu finden.
Ich bin nicht dafür, dass der gesamte Arbeitsmarkt für Asylsuchende geöffnet wird. Aber die Verfahren dürfen nicht länger als zwei Monate dauern! Es gibt keinen Grund, dass sie länger dauern. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat fast 1.500 MitarbeiterInnen. Das ist ein Riesenapparat, der keinen entsprechenden Output zustande bringt.
KOMPETENZ: Unterstellen Sie indirekte Sabotage?
Hacker: Ich unterstelle grundsätzlich gar nichts. Mich interessiert im Management das Ergebnis. Das ist inakzeptabel, und ich artikuliere das in aller Klarheit. Ob es wegen Unfähigkeit, Boshaftigkeit oder aus Strategie zustande kommt, kann und will ich nicht beurteilen.
KOMPETENZ: Wäre das Thema Asyl woanders besser aufgehoben als im Innenministerium?
Hacker: In einem aufgeschlossenen Familienministerium zum Beispiel, das für das Leben in diesem Land zuständig ist. In einem Ministerium, das sich mit sozialen Fragen beschäftigt, tausendmal mehr als in einem Ministerium, wo es darum geht, dass die Exekutive die Rechtsgesetze vollzieht.
Die Polizei ist in unserer Republik der uniformierte Körper, der Gewalt ausüben darf. Das ist auch gut so, nur dass wir hier kein Missverständnis haben. Ich bin ein großer Anhänger der Fähigkeiten, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Polizei. Aber warum das Innenministerium das beste Ressort sein soll zu entscheiden, ob Menschen in diesem Land leben dürfen, das konnte mir noch niemand erklären.
Das Interview führte Heike Hausensteiner