Bei der Kollektivvertragsrunde in der Elektro- und Elektronikindustrie wurde mit der Freizeitoption ein neues und innovatives Modell der Arbeitzeitgestaltung vereinbart.
Die Vereinbarung im Kollektivvertrag der Elektro- und Elektronikindustrie sieht vor, dass durch kollektivvertragliche Rahmenregelungen über eine Betriebsvereinbarung den einzelnen ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit eröffnet wird, statt der IST-Gehaltserhöhung – ab 1. Mai gibt es 2,8 bzw. 3 Prozent brutto mehr – künftig im selben Ausmaß kürzer zu arbeiten. Das bedeutet, dass die Arbeitszeit nachhaltig bis zu 60 Stunden pro Jahr reduziert wird. Bei einer 38,5-Stundenwoche kann dieser Tausch Geld gegen Freizeit gut eineinhalb Wochen mehr bezahlte Freizeit bedeuten.
„Die bisherige Resonanz auf diese Vereinbarung ist positiv. Da große Unternehmen, wie Siemens und Infineon, über eine Betriebsvereinbarung verhandeln, steht für etwa zwei Drittel der Beschäftigten der Branche diese Option im Raum“, so GPA-djp Verhandler Bernhard Hirnschrodt.
Wenn in einem Unternehmen eine freiwillige Betriebsvereinbarung zustande gekommen ist, können die einzelnen Beschäftigten ihrerseits mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass Sie anstelle der IST-Gehaltserhöhung zusätzliche bezahlte Freizeit erhalten. Die Zustimmung des Arbeitgebers ist aber notwendig und es existiert kein Rechtsanspruch. Der Arbeitgeber kann aber andererseits auch keine derartige Vereinbarung anordnen. Gibt es in einem Betrieb keinen Betriebsrat, können die ArbeitnehmerInnen nur dann anstelle der vorgesehenen Gehaltserhöhung zusätzliche Freizeit vereinbaren, wenn dies der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften vereinbart. Auch Teilzeitbeschäftigte haben die Möglichkeit, eine Vereinbarung mit aliquotem Anspruch zu schließen. Die zusätzliche bezahlte Freizeit ist auf einem eigenen Zeitkonto zu erfassen. Der Freizeitanspruch wird monatlich auf diesem Zeitkonto gutgeschrieben.
Variable Umsetzung
Der Verbrauch der bezahlten Freizeit ist variabel umsetzbar. Möglich ist eine Verringerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, ein stundenweiser, variabler Verbrauch oder in ganzen Tagen bzw. Wochen. „Für uns war sehr wichtig, dass die Möglichkeit der Freizeitoption für alle offen steht. Es gibt verschiedene Lebensphasen, in denen eine solche Option Sinn macht und diese Phasen sind nicht nur altersbezogen“, so Bernhard Hirnschrodt. Die Arbeitgeber hatten das Modell nur für über 50-jährige vorgeschlagen. „Wir wollen keine allgemeinen Empfehlungen abgeben. Wichtig ist die Frage, ob den Beschäftigten die zusätzliche Freizeit die ausfallende Gehaltserhöhung Wert ist, das hängt viel mit den persönlichen Werthandlungen in einer bestimmten Lebensphase zusammen, das können familiäre Verpflichtungen oder gesundheitliche Aspekte sein“, so Hirnschrodt.
Positive Resonanz
„Ich bin mir sicher, dass in unserem Unternehmer viele Beschäftigte, quer durch alle Altersgruppen diese Regelung in Anspruch nehmen werden und ich werde mich dafür einsetzen, dass die Möglichkeit auch über das heurige Jahr hinaus erhalten bleibt“, freut sich der Zentralbetriebsrat von Infineon Harald Zebedin über das Zustandekommen der Regelung in seinem Unternehmen. Aber nicht überall läuft es so positiv wie bei Infineon.
„Ich bin über das Verhalten unserer Konzernverantwortlichen sehr enttäuscht“, formuliert etwa der Betriebsratsvorsitzende der Vorarlberger Tridonic GmbH (Zumtobel-Konzern) Erich Zucalli, der sich im KV-Verhandlungsteam für diese Option stark gemacht hat. „Da sprechen die Unternehmer immer von der notwendigen Flexibilität und kritisieren die Blockadehaltung der Gewerkschaften. Dann gibt es eine wirklich innovative, flexible Vereinbarung und dann heißt es, das geht noch nicht. Ich werde aber sicher weiter für diese Option kämpfen, weil ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen Interesse an dieser Möglichkeit haben“, so Zucalli. Generell ist offenbar die positive Resonanz bei den Betriebsräten größer als bei vielen Geschäftsführungen von Unternehmen.
Lebensphasengerechte Arbeitszeit
Auch von Seiten der Wissenschaft kommt Zustimmung: Johannes Gärtner von der Beraterfirma Ximes, der sich schon lange mit Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung beschäftigt erklärt: „Ich bin davon überzeugt, dass derartigen Modellen die Zukunft gehört. Die Freizeitoption ist ein innovativer Schritt und zielt in die richtige Richtung der lebensphasengerechten Arbeitszeitgestaltung. Dieses Thema wird die Sozialpartner in Zukunft sicher noch stärker beschäftigten.“
Ob ähnliche Modelle auch in anderen Branchen umgesetzt werden, bleibt offen „Wir sind jedenfalls bereit, über diese Möglichkeit auch in anderen Bereichen zu sprechen. Natürlich hat jede Branche ihre spezifischen Bedingungen und für Niedriglohnbranchen ist diese „Tauschoption“ sicher kein geeigneter Weg. Wichtig ist die absolute Freiwilligkeit und das Eingehen auf die spezifischen Bedürfnisse der Beschäftigten. Oberste Priorität bleibt aber bei allen Gehaltsrunden die nachhaltige Sicherung der Kaufkraft“, so der stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp Karl Proyer.