Jugendforscher Heinzlmaier plädiert im KOMPETENZ- Gespräch für Bildung statt Ausbildung und Lehrer, die Schülern helfen, ihren Weg zu finden.
KOMPETENZ: Wie wertorientiert ist die heutige Jugend?
Heinzlmaier: Die jüngste Wertestudie zeigt: Die Altersgruppe der 14- bis 29-jährigen ist sehr wertorientiert, sie sehen sich nicht als totale Egozentriker. Das Problem, das sie haben, ist: Sie wollen wertorientiert handeln, das wird aber durch die Gesellschaft verunmöglicht.
KOMPETENZ: Kann man überhaupt ein so einheitliches Bild zeichnen?
Heinzlmaier: Das einheitliche Bild ist: Den Leuten wird die Moral ausgetrieben und der Egozentrismus wird als die ideale Grundhaltung vermittelt, ganz im Sinn des neoliberalen Ideals. Das prägt die Menschen. Menschen, die so erzogen werden, ist jedes Mittel Recht, um zum Ziel zu kommen.
KOMPETENZ: Was können Jugendliche in dieser Gesellschaft dennoch an Werten entwickeln – was ist ihnen wichtig?
Heinzlmaier: Eine gute Ausbildung, um sich gegen andere durchsetzen zu können, im Beruf voranzukommen. Es gibt zwei Gründe, warum man vorankommen will: das eine ist die Anerkennung und das zweite ist die materielle Gratifikation. Die Werte sind also hochgradig materialistisch und selbstbezogen. Man tut das, was einem hilft weiterzukommen. Das ist im Bereich der Bildung problematisch, weil dieser Bereich verzweckt wird. Alles was diesem Zweck nicht dient, wird aus dem Lehrplan entfernt.
KOMPETENZ: Das ist der Wegfall der humanistischen Bildung. Wohin führt das auf weite Sicht?
Heinzlmaier: Das führt dazu, dass wir uns wieder an den Urzustand des Menschen annähern, dem Kampf jeder gegen jeden. Das ist dann das, was Realität wird: Eine Ansammlung von Individuen, die um ihren eigenen Vorteil ringen und keinen Gemeinsinn mehr ausprägen. Das ist problematisch. Was sich jetzt schon abzeichnet ist ein allgemeines Misstrauen. Zum Beispiel das Verhältnis der Menschen zur Politik: Da gibt es kein Vertrauen mehr. Und das ist schon eine Folge des Zweckmäßigkeitsgedankens. Bildung wird durch Ausbildung ersetzt.
KOMPETENZ: Wo soll denn Schule Ihrer Ansicht nach stattdessen hinsteuern?
Heinzlmaier: Die Schulpolitik der Gegenwart ist kompetenzorientiert. Es geht nicht um Bildung, es geht um Kompetenzen. Und nur die Kompetenzen, die nützlich im ökonomischen Kontext sind, die werden dann in der Schule vermittelt. Das ist der Tod der Bildung.
Eine bildungsorientierte Herangehensweise wäre, nicht nur das zu fördern was der Mensch braucht, um ein funktionsfähiges Element dieser Gesellschaft zu sein, sondern es geht darum, dass er von einer höheren Ebene aus fähig ist, die Gesellschaft zu beurteilen, sich von vielem zu distanzieren und Dinge kritisch zu hinterfragen.
KOMPETENZ: Das impliziert aber, dass genau das gewünscht wird: nur ja keine kritischen Geister heranzuziehen.
Heinzlmaier: Man braucht keine kritischen Geister, weil wir den Endzustand der Menschheit erreicht haben. Man hat sich dem Idealzustand anzupassen. Aus dieser Perspektive macht es keinen Sinn, noch etwas zu hinterfragen. Die neoliberale konkurrenzlose Marktgesellschaft ist das Ideal. Wenn es global nichts mehr gibt, was sich außerhalb des Marktes befindet, dann ist die Gesellschaft im Idealzustand.
KOMPETENZ: Wie sähe die ideale Schule aus?
Heinzlmaier: Ich sehe Schule als Institution, die sich als Einrichtung versteht, die dem Einzelnen dabei hilft, sich selbst zu finden. Es wird kein Kanon darübergestülpt, der zu rezipieren ist, sondern die Lehrer helfen den Schülern, den eigenen Weg durch die verschiedenen Interessenfelder zu finden, unter gleichzeitiger stärkerer Berücksichtigung von Sprachen, Geschichte, von Kunst.
KOMPETENZ: Das wäre ein Aufbrechen der jetzigen Bildungsstrukturen. Muss Schule völlig neu gemacht werden?
Heinzlmaier: Was ich jetzt formuliert habe, wäre das Ideal. Was ich als vernünftige Schulform ansehe, ist das traditionelle Gymnasium – ein bisschen flexibler und mit mehr Wahlmöglichkeiten.
KOMPETENZ: Welchen Gewinn haben Arbeitgeber durch Menschen, die nicht nur ausgebildet sind, sondern auch eigene Ideen mit- und einbringen?
Heinzlmaier: Wir haben heute ein Bildungssystem, das ähnliche Absolventen erzeugt, einer gleicht dem anderen, es ist schwierig Alleinstellungsmerkmale zu haben. Die Bildung wäre ein solches Allein- stellungsmerkmal. Der Arbeitgeber bekommt MitarbeiterInnen, die mehr können, als kompetent ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Sie haben die Möglichkeit, mit dem Kunden über kulturelle Themen zu reden, sie haben Stil und können einen Beitrag zur Unternehmenskultur leisten.
KOMPETENZ: Hat zu den einheitlichen AbsolventInnen der Fachhochschulsektor beigetragen?
Heinzlmaier: Dieser Sektor hat die Akademisierung des einfachen Geistes mit sich gebracht. Die FHs sind extrem verschult, sehr hierarchisch gegliedert, da dominiert nicht der Diskurs wie an den Universitäten.
KOMPETENZ: Aber auch an den Unis hat sich viel verändert mit der Umstellung auf das Bologna-System.
Heinzlmaier: Ich glaube ja, dass das Bologna-System die Vernichtung der österreichischen Universitätskultur ist. In Wirklichkeit hat hier das Allgemeine vom Besonderen Besitz ergriffen. Der Wahnsinn ist, dass hier alle kulturellen Besonderheiten zunichte gemacht werden. Diese Homogenität ist eine Katastrophe. Wir haben die Vorteile, die unser Uni-System hatte, zerschlagen.
KOMPETENZ: Individualität und Individuen sind also wichtig für eine Gesellschaft.
Heinzlmaier: Genau. Menschen, die selbstbewusst sind, die eine eigene Perspektive haben, ein eigenes Wollen, die sind auch wichtig für die Weiterentwicklung der Demokratie. Wenn wir ein System der Ja-Sager erzeugen, ist das ein Totalitarismus von unten. Die Menschen unterdrücken sich dann von selbst. Sie ordnen sich ein und das ist dann eine gleichförmige Masse. Und was her- auskommt ist ein Zustand der Stagnation. Da gibt es dann keine Innovation mehr.
Infos zur Person
Bernhard Heinzlmaier, geb. 1960 in Wien, studierte Geschichte, Psychologie und Philosophie. Er ist Vorsitzen- der des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien und Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens „tfactoy“ in Hamburg.