Industrie 4.0 – der Weg in die Zukunft?

Sabine Herlitschka: Die Biotechnologin und Wirtschaftstechnikerin Sabine Herlitschka leitet als Vorstandsvorsitzende seit zwei Jahren den deutschen Hightech-Konzern Infineon in Villach. Bild: pix.at
Sabine Herlitschka: Die Biotechnologin und Wirtschaftstechnikerin Sabine Herlitschka leitet als Vorstandsvorsitzende seit zwei Jahren den deutschen Hightech-Konzern Infineon in Villach. Bild: pix.at

Die sogenannte vierte industrielle Revolution bringt neue Chancen, weckt aber auch Ängste. Die KOMPETENZ sprach mit Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende von Infineon.

KOMPETENZ: Industrie 4.0 ist ein neues Schlagwort für aktuelle strukturelle Veränderungen geworden. Gleichzeitig sorgen sich viele Menschen, ob in Zukunft noch Sicherheit und Lebensstandard erhalten bleiben. Das überzogene Bild der menschenleeren Fabrik schürt weiter Ängste. Was sagen Sie Menschen und Ihren Beschäftigten angesichts vieler nicht ganz unberechtigter Sorgen und Ängste rund um Industrie 4.0?

Sabine Herlitschka: Industrie 4.0 bietet die gewaltige Chance, industrielle Fertigung in Europa zu halten und in einigen Bereichen wieder zurückzugewinnen. Dabei geht es auch um die Zulieferer, die Dienstleister, die Bildungsinstitutionen – das ganze produktive System. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten die gnadenlose Logik beobachten können: Wenn die Fertigung nach Übersee verschwindet, folgen früher oder später das Engineering, die Entwicklung, letztlich die Kernkompetenz nach. Intelligente Fabriken sind die Basis dafür, dass man in Regionen mit hohen Lohn- und Sozialstandards wie Österreich weiter unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen global wettbewerbsfähig produzieren kann.

KOMPETENZ: Werden in solchen modernen Fabriken Arbeitsplätze verloren gehen?

Sabine Herlitschka: Die ehrliche Antwort lautet: Die Nachfrage nach niedrigqualifizierten Arbeitsplätzen wird sinken. Das bedeutet, dass sich die Tätigkeitsprofi le verändern, sie werden hochwertiger und anspruchsvoller. Aber wenn wir diesen Prozess entschlossen angehen, werden neue, qualitativ wertvolle Arbeitsplätze geschaffen. Arbeitsplätze, bei denen es nicht auf billige Löhne, sondern auf Qualifizierung, Innovation, Mut und Engagement ankommt. Daher sollten wir Industrie 4.0 in der Debatte nicht auf Themen wie Arbeitszeitverkürzung und Maschinenabgabe reduzieren, denn dann werden wir diese Chancen für den Produktionsstandort Österreich nicht nutzen können.

KOMPETENZ: Wie gehen Sie bei Infineon mit Industrie 4.0 um?

Sabine Herlitschka: Infineon ist bereits ein Unternehmen der Industrie 4.0, und wir haben heute so viele Beschäftigte wie noch nie zuvor. Im Rahmen des Ausbaus in Villach richten wir einen „Pilotraum Industrie 4.0“ ein. Kein Labor, sondern einen neuen Teil unserer Produktion, in dem wir die technologischen Möglichkeiten von Industrie 4.0 weiter erschließen, z. B. die Optimierung des Ressourceneinsatzes für mehr Energieeffizienz. Wir sehen uns dabei sehr genau an, welche Veränderungen die Digitalisierung für die Arbeitswelt mit sich bringt. Daher haben wir als Unternehmensleitung gemeinsam mit dem Betriebsrat eine eigene Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet. Hier sprechen wir über Entwicklungen und Veränderungen, notwendige Rahmenbedingungen und konkrete Maßnahmen, wie z. B. die Kompetenzprofi le der Zukunft, gezielte Qualifizierungsprogramme für FertigungsmitarbeiterInnen etc.

Industrie 4.0 bietet die gewaltige Chance, industrielle Fertigung in Europa zu halten und in einigen Bereichen wieder zurückzugewinnen. Bild: Martin Steinthaler, tinefoto.com
Industrie 4.0 bietet die gewaltige Chance, industrielle Fertigung in Europa zu halten und in einigen Bereichen wieder zurückzugewinnen. Bild: Martin Steinthaler, tinefoto.com

KOMPETENZ: Welche konkreten Erwartungen haben Sie an die Politik, damit der hochwertige Produktionsstandort Österreich in Zukunft abgesichert bleibt?

Sabine Herlitschka: Das Schlüsselkriterium für die Bewältigung des digitalen Wandels ist Aus- und Weiterbildung. Österreichs zukünftiger Erfolg und Innovationsfähigkeit hängen zum großen Teil von den hohen Qualifikationen der Beschäftigten ab. Entsprechend erwarte ich ein mutiges Bildungskonzept, das die Regierung im November vorlegen will, und hoff e auf maßgeschneiderte Programme, die Unternehmen wie uns bei der Gestaltung der Arbeitsplätze der Zukunft unterstützen. Wissen und Verstehen allein nützen aber noch nichts – es braucht den Wunsch und die Möglichkeit, etwas daraus zu machen. Wir brauchen ein modernes, leistungsfähiges Bildungswesen, eine intelligente Industriepolitik und eine Stimmung im Land, die Mut macht, etwas zu unternehmen und sich zu engagieren.

KOMPETENZ: Stichwort Arbeitszeit: Von der Industrie kommt stark der Ruf nach Flexibilität – aber auch die Beschäftigten selber haben Wünsche nach flexibler Arbeit, die ihren Bedürfnissen entgegenkommt. Sehen Sie Chancen, dass es da zu einem Interessenausgleich zwischen wirtschaftlichen und persönlichen Interessen kommt?

Sabine Herlitschka: Wir befinden uns als Technologieunternehmen in einem scharfen globalen Wettbewerb. Um unsere führenden Positionen und die damit verbundenen Jobs langfristig abzusichern, benötigen wir entsprechende Rahmenbedingungen. Daher ist die Flexibilisierung der Arbeitszeiten auf zwölf Stunden pro Tag bei konstanter Gesamtarbeitszeit ein wichtiger Standortfaktor. Vorschläge dazu wurden sogar von den verantwortlichen Ministern vor über einem Jahr der Öffentlichkeit präsentiert. Seither warte ich auf Umsetzung. Ich beobachte in Gesprächen mit unseren besten Leuten, dass sie sich von manchen unserer traditionellen Arbeitszeitregelungen eingeschränkt fühlen. Es geht nicht darum, dass in Summe mehr gearbeitet werden soll, denn das Privatleben ist ihnen auch wichtig. Aber wenn Projekte in der entscheidenden Phase sind, empfinden sie eine Vorschrift, die jemand nach zehn Stunden nach Hause schickt, als praxisfern. Bei Infineon setzen wir auf Arbeitsbedingungen, die den Bedürfnissen der Beschäftigten entgegenkommen. Das umfasst eine Vielzahl von flexiblen Arbeitszeitmodellen und Angebote wie Teleworking, Vertrauensarbeitszeit, Sabbaticals, Väterkarenz, einen ganztägig geöffneten internationalen Kindergarten mit nur vier Schließtagen im Jahr, Sommerferienbetreuung sowie innerbetriebliche Maßnahmen zum altersgerechten Arbeiten.

KOMPETENZ: Die Freizeitoption war auch bei Infineon ein Thema – wird das ein Modell für die Zukunft bleiben?

Sabine Herlitschka: Die Freizeitoption ist ein neues Instrument der Arbeitszeitgestaltung, und wir sind gegenwärtig dabei, die spezifischen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen bei Infineon auszuloten. Sie hilft den Beschäftigten durch mehr Gestaltungsspielraum für die persönliche Lebensplanung und dem Unternehmen, die Gehaltskosten überschaubar zu halten.

Zur Person: Die Biotechnologin und Wirtschaftstechnikerin Sabine Herlitschka leitet als Vorstandsvorsitzende seit zwei Jahren den deutschen Hightech- Konzern Infineon in Villach.

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