Langzeitarbeitslosigkeit hat fatale Folgen. Die Betriebswirtin Judith Pühringer, Geschäftsführerin des Netzwerks „arbeit plus“, unterstreicht daher, wie wichtig die „Aktion 20.000“ und die sozialen Unternehmen in Österreich sind.
KOMPETENZ: Seit Juli gibt es die „Aktion 20.000“, bei der innerhalb von zwei Jahren 20.000 Jobs für Langzeitarbeitslose geschaffen werden sollen. Es gab die Kritik, Arbeitslose würden so nur versteckt. Andererseits wird die Maßnahme sehr gut angenommen. Wie ist Ihr Eindruck?
Judith Pühringer: Die Aktion 20.000 ist schon jetzt in der Pilotphase eine Erfolgsgeschichte. Weil tatsächlich 20.000 Arbeitsplätze und damit Zukunftsperspektiven entstehen, die davor nicht existierten. Viele Menschen sind aufgrund ihres Geburtsdatums vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, und die Arbeitslosigkeit steigt hier immer noch. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Insofern war es die richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt und eine wirklich wirkungsvolle Maßnahme.
KOMPETENZ: Der Bund übernimmt hier die Lohnnebenkosten. Von Beginn an haben viele soziale Unternehmen und Gemeinden Beschäftigungsbedarf angemeldet.
Judith Pühringer: Das ist das Besondere daran, dass die Aktion gemeinsam mit Gemeinden, sozialen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen umgesetzt wird. Viele soziale Unternehmen benötigen Personal, weil sie selbst bei den sozialen Dienstleistungen viele Lücken schließen. Was auch sehr speziell ist: Man hat Gemeinden und BürgermeisterInnen eingebunden in die Frage, welche Tätigkeiten werden bei euch so nicht mehr angeboten, die aber von der Bevölkerung gebraucht werden? Sodass man kreativ und gemeinsam nach Lösungen gesucht hat, die im wahrsten Sinne gemeinnützig sind und der Allgemeinheit zugute kommen. Das ist extrem vielfältig und beinhaltet zum Beispiel Mitarbeit in Grünräumen, auf Bauhöfen, in Schulen oder Kindergärten. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung von Angehörigen, wo oft auch Alltagstätigkeiten benötigt werden, wie Begleitung zum Arztbesuch oder kleine Mobilitätsdienste.
KOMPETENZ: Die Aktion 20.000 ist für zwei Jahre angelegt. Was passiert mit den Beschäftigten danach?
Judith Pühringer: Ich glaube, dass die Menschen, die diese Chance bekommen, sehr motiviert sein werden, ihren Job auch zu behalten. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass die Gemeinden und Unternehmen, die gute Erfahrungen machen, diese Menschen übernehmen werden. Weil sie tatsächliche Bedürfnisse abdecken. Und auf politischer Ebene ist es ein absolut fortzuführendes Projekt, weil die Diskriminierung von Menschen über 50 auch weiterhin Realität sein wird. Man könnte über eine degressive Lohnkostenförderung in sozialen Unternehmen nachdenken.
KOMPETENZ: Aber die neue Bundesregierung könnte die Aktion 20.000 stoppen. Haben Sie diese Sorge?
Judith Pühringer: Wir haben ein Problem, wenn wir uns der Personengruppe der Über-50-Jährigen nicht widmen. Jede Regierung ist mit dieser Herausforderung konfrontiert. Die Frage ist, was ist eine wirklich gute, nachhaltige, dauerhafte Lösung für diese Menschen. Und gemeinnützige Jobs bei Gemeinden sind ein sehr wirkungsvolles arbeitsmarktpolitisches Instrument. Die Aktion 20.000 ist sehr stark an den Kompetenzen und Erfahrungen orientiert, die sich jemand im Laufe seines Lebens erworben hat, und schaut nicht nur auf den Lebenslauf. Das ist insgesamt für alle Unternehmen eine große Ressource, ein Schatz, der gehoben werden sollte.
KOMPETENZ: Beim früher diskutierten Bonus-Malus-System werden Unternehmen Sanktionen angedroht, wenn sie keine Langzeitarbeitslosen anstellen. Ist das jetzt vom Tisch?
Judith Pühringer: Die jetzige Regierung hat es bislang nicht umgesetzt. Das Bonus-Malus-System ist schon ein probates Mittel, um Unternehmen zu sensibilisieren und, wenn das nicht möglich ist, zu sanktionieren. Weil wir einfach in einer älter werdenden Gesellschaft leben. Gleichzeitig wollen wir, dass die Beschäftigungsquote der Älteren steigt. Insofern müssen wir, auch die Unternehmen, alle Anstrengungen unternehmen, diesen Menschen altersadäquate Beschäftigungen zu bieten, mit denen sie tatsächlich älter werden können. Österreich ist hier im internationalen Vergleich kein Weltmeister. Die skandinavischen Länder haben schon sehr früh begonnen, sich mit den Fragen Demografie und Arbeit zu beschäftigen und in größeren Zusammenhängen zu denken. Es ist auch gar nicht einzusehen, dass ältere Menschen, die arbeiten wollen, mit so einer Hürde konfrontiert sind.
KOMPETENZ: Haben es Langzeitarbeitslose am österreichischen Arbeitsmarkt besonders schwer?
Judith Pühringer: Ja, das sehen wir auch in der Arbeitslosenstatistik. Unsere Erfahrung in den sozialen Unternehmen ist: Langzeitarbeitslosigkeit macht arm, krank und zermürbt die Menschen. Verfestigte Arbeitslosigkeit hat so fatale Folgewirkungen wie Erkrankungen oder Schulden, dass sie einfach nicht hinzunehmen ist. Hier bieten besonders die sozialen Unternehmen existenzsichernde Beschäftigung mit kollektivvertraglicher Entlohnung, nicht nur ein Taschengeld und schon gar nicht 1-Euro-Jobs. Und die sozialen Unternehmen qualifizieren die Beschäftigten weiter, zusätzlich bieten sie, falls erforderlich, sozialpädagogische Beratung und Begleitung an. Vielleicht ist deshalb Österreichs Langzeitarbeitslosigkeit im OECD-Schnitt ein Stück weit besser, weil wir nach wie vor auf dieses Instrument der sozialen Unternehmen setzen, das in den vergangenen Jahren auch ausgebaut wurde. Weil man sieht, dass dieses Instrument gerade bei Langzeitarbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen wirkt.
Das Schwierige ist, dass die sozialen Unternehmen den Auftrag zur Integration in den Regelarbeitsmarkt haben. Hier schließt sich der Kreis zur Aktion 20.000. Denn für viele Menschen wäre es sinnvoll, länger in sozialen Unternehmen beschäftigt sein zu können als nur ein halbes Jahr oder ein Jahr – vor allem ältere Personen, die kurz vor der Pensionierung stehen. Soziale Unternehmen existieren in ganz Europa in unterschiedlicher Ausprägung. In Deutschland gab es eine sehr lebendige Szene sozialer Unternehmen, die ihre Dienstleistungen am normalen Arbeitsmarkt anboten. Mit der Hartz-IV-Reform hat sich das schlagartig geändert, weil 1-Euro-Jobs eingeführt wurden usw.
KOMPETENZ: Hat Hartz IV den Sektor der sozialen Unternehmen zerstört?
Judith Pühringer: Das könnte man so sagen. Es gibt schon noch soziale Unternehmen bei den Wohlfahrtsverbänden, aber sie wurden extrem beschränkt. Indem ihnen etwa untersagt wurde, mit normalen Unternehmen am Markt in Konkurrenz zu treten, was dramatische Umsatzeinbußen für die sozialen Unternehmen zur Folge hatte. Aber es ist wahnsinnig wichtig, dass private und soziale Unternehmen miteinander kooperieren und voneinander lernen.
KOMPETENZ: Befürchten Sie in Österreich einen Kahlschlag durch die neue Bundesregierung?
Judith Pühringer: Die sozialen Unternehmen sind in Österreich ein bewährtes Instrument zur Integration von Langzeitarbeitslosen. Hier zu kürzen, halte ich für fatal. Erwerbsbiografien dauern länger als Legislaturperioden.