Lore Hostasch, ehemals Sozialministerin, Vorsitzende der GPA, Vizepräsidentin des ÖGB, Präsidentin der Arbeiterkammer und Nationalratsabgeordnete, spricht anlässlich des Weltfrauentages über Chancengleichheit, weibliche Netzwerke und die täglichen Mühen im Kampf um die Frauenrechte. Auch Kollektivverträge sind für sie die Basis für gesellschaftspolitische Veränderungen.
KOMPETENZ: Vor exakt 100 Jahren wurde in Österreich das Frauenwahlrecht eingeführt. Was hat sich seitdem in punkto Gleichberechtigung getan?
HOSTASCH: Gewaltig viel. Die berufliche Eigenständigkeit der Frauen hat sich entwickelt, damit ging die finanzielle Unabhängigkeit von den Männern einher. Die Gewerkschaften haben bei der Durchsetzung von Frauenrechten eine zentrale Rolle gespielt, weil viele Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt auf kollektivvertraglicher Ebene verankert waren. Zu Beginn meiner Tätigkeit als Vorsitzende des Zentralbetriebsrates der Bawag enthielten die Kollektivverträge im Bankenbereich, aber auch in vielen anderen Branchen, eine Vielzahl an massiven, offenen Diskriminierungen gegen Frauen.
KOMPETENZ: Welche Diskriminierungen?
HOSTASCH: Familien- und Kinderbeihilfen wurden ausschließlich an Männer ausbezahlt. Frauen waren nur dann bezugsberechtigt, wenn ihre Männer nachweislich kein Einkommen hatten. Wenn eine Frau einen Mann aus demselben Kreditinstitut geheiratet hat, verlor sie das Definitivum – den Kündigungs- und Versetzungsschutz für Mitarbeiter, die schon lange im Unternehmen arbeiten. Auch bei vereinbarten Deputaten, also dem Lohnanspruch in Form von Naturalien, gab es Unterschiede: In den Kollektivverträgen der Brauereien war geregelt, das Männer doppelt so viele Kisten Bier als Naturalentgelt bekommen, wie Frauen. Bei den Metallern gab es Unterschiede in den Akkordlöhnen.
KOMPETENZ: In welchen Bereichen wurden Frauen noch diskriminiert?
HOSTASCH: In den Verwendungsgruppen und Tätigkeitsbeschreibungen gab es viele versteckte Diskriminierungen. Uns fiel auf, dass in den niedrigeren Verwendungsgruppen mehr Frauen beschäftigt waren als Männer. Je höher die Verwendungsgruppe, desto geringer war der Frauenanteil der Beschäftigten. In vielen Dienstleistungsbetrieben waren beispielsweise die Kofferburschen wesentlich höher eingestuft als die Zimmermädchen. Das Problem in den 70er Jahren war, dass es zu wenig gesellschaftliches Unrechtsbewusstsein dazu gab. Die Zustände wurden von vielen Menschen hingenommen.
KOMPETENZ: Wie hat der Zentralbetriebsrat reagiert?
HOSTASCH: Ich habe rasch erkannt, dass die Kollektivverträge ein wirksames Instrument sind, um bessere Frauenrechte durchzusetzen beziehungsweise um bestehende Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Die KollegInnen in der GPA und im gesamten ÖGB haben sich zusammengetan und alle Kollektivverträge durchforstet. Wir sind auf unglaublich viele Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen draufgekommen. Wir haben uns zusammen getan, die Probleme aufgearbeitet und Strategien zur Umsetzung von Verbesserungen entwickelt. In den kommenden Jahren haben wir versucht, viele offene Diskriminierungen in den Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite zu beseitigen. Bis auf den Bankenbereich ist das gut gelungen – dort mussten wir bis zur Gleichbehandlungskommission gehen. Anfang der achtziger Jahre wurden die Bestimmungen dann angeglichen.
KOMPETENZ: Wie haben Sie das erreicht?
HOSTASCH: Uns sind viele positive Veränderungen gelungen: die Beschreibung der Tätigkeitsgruppen sowie die Zulagensysteme wurden angeglichen, in vielen Kollektivverträgen gibt es Anrechnungen der Karenzzeiten.
In der GPA haben wir Kataloge mit Forderungen aus Frauensicht erstellt. Daher haben wir uns organisiert, waren in den Verhandlungskomitees aber nur wenig vertreten. Wir haben die männlichen Kollegen beständig motiviert und unter Druck gesetzt, so konnten wir uns schrittweise durchsetzen. Die Arbeitgeberseite hat uns nichts geschenkt. Oft saßen wir dort karrierebewussten Männern gegenüber, die ein Familienbild vertraten, in dem alleine der Mann Entscheidungen getroffen hat.
Vergessen Sie nicht, dass Frauen bis in die 70er Jahre hinein für eine Berufsausübung die Zustimmung ihres Mannes benötigten. Die Wohnsitzfolge verpflichtete Frauen einseitig, ihrem Mann bei einem Wohnsitzwechsel zu folgen. Viele gesellschaftliche Umbrüche wurden erst 1992 durch das Gleichbehandlungspaket von Johanna Dohnal, der ersten Frauenministerin Österreichs, erreicht.
KOMPETENZ: Welche Veränderungen waren noch wichtig?
HOSTASCH: Der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuung sowie die Möglichkeit, dass Männer in Karenz gehen, waren und sind zentrale Faktoren zur Stärkung der Frauenrechte. Die Anrechnung der Karenzzeiten steht auch immer noch ganz oben auf den Forderungslisten der ArbeitnehmervertreterInnen in Kollektivvertragsverhandlungen. Wir müssen das Instrument der Kollektivverträge, wo wir sozusagen den Fuß in der Tür haben, auch weiterhin dazu nutzen, um konkrete Verbesserungen für die Frauen zu erreichen.
KOMPETENZ: Wie haben Sie es persönlich geschafft, sich in einer Welt voller männlicher Führungspersonen durchzusetzen?
HOSTASCH: Durch meine berufliche Erfahrung habe ich gelernt, wie man mit schwierigen Kunden umgeht und durch Verhandlungen zu einem Erfolg kommt. Man braucht gute Argumente, muss aber zunächst selbst wissen, was man erreichen will. Man kann nur etwas fordern und durchsetzen, von dem man auch selbst überzeugt ist. Weibliche wie männliche MitstreiterInnen sind ebenfalls wichtig. Es gibt auch Männer, die erkennen, dass eine engagierte Frau keine Widersacherin, sondern eine Partnerin ist – das sind dann die besten Verbündeten, um gemeinsam etwas zu erreichen.
KOMPETENZ: Wie kann Veränderung passieren?
HOSTASCH: Man muss mit den Menschen sprechen, als PolitikerIn auf kommunaler Ebene, im Betrieb mit den MitarbeiterInnen. So erkennt man die Bedürfnisse der Leute und lernt, die sogenannten kleinen Probleme ernst zu nehmen. Dann muss man sich mit der Politik vernetzen und versuchen in den Gesetzen oder den Kollektivverträgen Veränderungen zu manifestieren. Die Gewerkschaften spielen hier eine zentrale Rolle.
KOMPETENZ: Machen Sie sich Sorgen um die Frauen in Österreich?
HOSTASCH: Ich habe starke Sorge, dass wir wieder eine Rückkehr in längst vergangene Zeiten erleben könnten. Die Strömungen, die Frauen am liebsten zuhause in der Küche, umgeben von vielen Kindern sehen, werden stärker. Viele Gesetze trimmen das Gesellschaftsbild in diese Richtung.
KOMPETENZ: Was wären die Auswirkungen?
HOSTASCH: Die Eigenständigkeit der Frauen ginge verloren. Wenn Frauen aufgrund von Teilzeitarbeit oder prekärer Beschäftigung keine oder nur sehr geringe eigenständige Pensionsansprüche erwerben, sind sie im Alter von ihrem Mann abhängig, oder rutschen – im Falle einer Trennung – in die Altersarmut.
KOMPETENZ: Wie kann frau gegensteuern?
HOSTASCH: Wir müssen uns bewusst sein, dass die Dinge nicht von selbst passieren. Gesellschaftspolitische Fortschritte muss man permanent erkämpfen und weiterentwickeln. Dazu müssen aktuelle politische Vorhaben hinterfragt werden. Die Absichten hinter Gesetzen müssen von engagierten Frauen erkannt und im Zusammenspiel mit der Gewerkschaft, den Arbeiterkammern und politischen Parteien in den politischen Diskurs eingebracht werden. Nur so kann Veränderung funktionieren. Wir sollten nicht als Bittstellerinnen auftreten, sondern Rechtsansprüche erkennen, artikulieren und einfordern.
Wir müssen uns bewusst sein, dass die Dinge nicht von selbst passieren. Gesellschaftspolitische Fortschritte muss man permanent erkämpfen und weiterentwickeln.
Lore Hostasch, GPA-Vorsitzende a.D.
KOMPETENZ: Was sind die Knackpunkte zur Gleichberechtigung?
HOSTASCH: Wir Frauen dürfen nicht den Gesetzgeber und die Institutionen für alles verantwortlich machen. Wir müssen selbst die Chance ergreifen uns zu informieren und unsere Rechte wahrzunehmen. Dazu gehört auch das Bewusstsein, gewerkschaftlich organisiert zu sein. Die Vernetzung mit anderen, die sich ebenfalls für gesellschaftspolitische Vorgänge interessieren, ist wichtig, um die eigene Identität mit einer individuellen Zukunftsperspektive in Verbindung zu bringen. Jede Frau sollte versuchen, Gesellschaftspolitik bewusst für sich selbst zu erleben und zu schauen, wo es Defizite gibt und dann versuchen, sich in Netzwerke einzubringen, um festgefahrene Strukturen zu verändern.
Wir dürfen die Dinge nicht geschehen lassen. Wir Frauen haben teilweise eine bessere Ausbildung als viele Männer, sind mindestens so gescheit wie die Männer und leisten ebenso viel wie diese. Daher tut mir auch jede Beschneidung des Zugangs zur Bildung extrem weh, sie ist schlecht für die Gesellschaft und bringt vor allem für Frauen Nachteile.
Es ist auch nicht gut, wenn die gesamte Verantwortung für die Versorgungsarbeit auf den Frauen lastet. Männer brauchen im Rahmen der Gesetze Möglichkeiten um ihre Verantwortung im Bereich Kindererziehung und Haushalt wahrnehmen zu können. So kann sich die Gesellschaft in ein partnerschaftlicheres Modell weiterentwickeln.
KOMPETENZ: Wie wichtig ist es, Frauen in Führungspositionen zu haben?
HOSTASCH: Extrem wichtig! Frauen in Führungspositionen haben eine hohe Symbolwirkung, weil dadurch sichtbar wird, dass es keine Position in der Republik gibt, die nicht von einer Frau bekleidet werden kann – ob es eine Betriebsratsvorsitzende, Bürgermeisterin, Ministerin, Bundeskanzlerin oder Bundespräsidentin ist. In öffentlichen Funktionen können natürlich auch wichtige Impulse der Frauenpolitik gesetzt werden. Mehr als die Hälfte dieser Gesellschaft sind Frauen, sie haben daher das Recht, besonders gehört zu werden!
KOMPETENZ: Ihr Ratschlag an die Frauen im Lande?
HOSTASCH: Nie nein zu einer beruflichen Karrierechance sagen, nie an sich selbst zweifeln, sondern die eigenen Ziele bewusst verfolgen und dabei keine Schuldgefühle aufkommen lassen.
Wichtig ist der permanente Austausch mit anderen. In den politischen Organisationen läuft die gesamte Entwicklung zusammen. Frauen müssen sich umschauen, wo es Angebote zur Unterstützung gibt und wo man mitarbeiten kann. Wir sollten uns gegenseitig dazu ermutigen, Betroffenheiten austauschen und gemeinsam nach Lösungen für bestimmte Lebenssituationen suchen. Mein Appell: Schaut nicht zu, seid selbst aktiv!
Zur Person
Lore Hostasch, Jahrgang 1944, wuchs als Tochter einer alleinerziehenden Mutter in Wien auf. Sie absolvierte eine Handelsakademie und begann ihre Berufslaufbahn 1962 bei der Bawag, wo sie von 1975 bis 1994 Vorsitzende des Zentralbetriebsrates war. Hostasch war die erste weibliche Vorsitzende der GPA, Vizepräsidentin des ÖGB, Mitglied des Wiener Gemeinderates, Nationalratsabgeordnete, Präsidentin der Wiener Arbeiterkammer und der Bundesarbeitskammer und von 1997 bis 2000 Sozialministerin.