Von Ende November bis Anfang April verhandelten ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen der Sozialwirtschaft einen neuen Kollektivvertrag. Das Ergebnis ist ein „Gutes“, die Forderung nach der 35 Stunden-Woche damit aber nicht vom Tisch, bekräftigt Chefverhandlerin Eva Scherz.
50 Stunden lang, verteilt auf sieben Verhandlungsrunden, rangen die Sozialpartner um einen neuen Kollektivvertrag für die 125.000 Beschäftigten der Sozialwirtschaft. Runde acht wurde wegen des Corona-Virus ins Digitale verlegt. Was die Sache nicht unbedingt einfacher machte, aber – angesichts der Umstände – einen dringend benötigten Abschluss ermöglichte.
Beschäftigte im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich erhalten mit 1. Februar rückwirkend 2,7 Prozent mehr Lohn. Ab 1. Jänner 2021 sind es zusätzlich zum Inflationsausgleich 0,6 Prozent Lohnzuschlag. Ab 2022 folgt eine Reduktion der Wochenarbeitszeit von 38 auf 37 Stunden, was in etwa einem Lohnplus von 2,7 Prozent entspricht. ArbeitnehmerInnen, die zwischen 13. März und 30. Juni trotz der Corona-Pandemie im Arbeitseinsatz sind, erhalten eine Gefahrenzulage von 500 Euro.
Dem Abschluss des Kollektivvertrags waren lange und zähe Vorhandlungen vorausgegangen. Mit nur einer einzigen Forderung gingen die ArbeitnehmerInnen am 29. November vergangenen Jahres in die erste Verhandlungsrunde: Die Begrenzung der maximalen Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden, bei vollem Personalausgleich und gleichbleibenden Gehalt. Die Arbeit im Sozialbereich ist körperlich und emotional oft sehr belastend. In den letzten Jahren häufen sich Burnouts in der Branche, eine Minderheit der Beschäftigten kann sich vorstellen, ihren Beruf bis zur Pension auszuüben. Auch für den Nachwuchs machen derlei Umstände Sozialberufe vielfach unattraktiv. Damit war die Botschaft von GPA-djp und vida an die ArbeitgeberInnen von Anfang an klar: „35 Stunden sind genug!“.
„Völlige Gesprächsverweigerung“
In Zahlen ausgedrückt hätte eine Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden ein Lohnplus von 8,6 Prozent für Teilzeitbeschäftigte bedeutet, 18 Tage mehr Freizeit für Vollzeitbeschäftigte. Zu viel für die VertreterInnen der ArbeitgeberInnen. Nachdem sowohl die erste als auch die zweite Verhandlungsrunde ergebnislos abgebrochen wurde, scheiterten auch die Gespräche vom 15. Jänner 2020 nach rund elf Stunden. GPA-djp-Chefverhandlerin Eva Scherz zeigte sich dennoch optimistisch und sprach von „konstruktiven Gesprächen über eine mögliche Etappenlösung“. In den Tagen danach fanden rund 120 Betriebsversammlungen statt, die meisten von ihnen endeten mit einem Streikbeschluss.
Von einer möglichen Etappenlösung wollten die ArbeitgeberInnen in der vierten Runde Ende Jänner plötzlich nichts mehr wissen. Stattdessen boten die VerhandlerInnen der Sozialwirtschaft eine Lohnerhöhung von 2,35 Prozent. Für mehr fehle das Geld und werde den Fachkräftemangel zusätzlich verschärfen, wie es von ArbeitgeberInnen-Seite von Runde eins an gebetsmühlenartig hieß. Statt „konstruktive Gespräche“ zu loben, klagte Scherz nun über „völlige Gesprächsverweigerung“. Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) erteilte offiziell Streikfreigabe, viele Betriebe bereiteten sich auf Warnstreiks vor. Diese fanden dann, nach einer ergebnislosen fünften Verhandlungsrunde, österreichweit am 12. Februar statt.
Streikdemo mit 3.000 TeilnehmerInnen
Anders als beispielsweise bei den Metallern sind Streiks im Sozialbereich ein enormer organisatorischer und logistischer Aufwand. Anders als in der Industrie können in der Sozialwirtschaft nicht einfach so „die Räder stillstehen“ – trotz Protest müssen Gesundheit und Würde der zu Betreuenden gewährleistet werden. Dennoch erhöhten die SozialarbeiterInnen und PflegerInnen im Verlauf der Wochen sukzessive die Schlagzahl. Nach der Unterbrechung der sechsten Gesprächsrunde Mitte Februar – hier bereits nach insgesamt 38 Stunden Verhandlung – marschierten im Rahmen einer Streikdemo rund 3.000 Menschen vom Wiener Praterstern vors Sozialministerium, um im Vorfeld von Runde sieben den Druck noch einmal zu erhöhen. Insgesamt beteiligten sich 22 Organisationen an der Aktion, landesweit wurden bis zu diesem Zeitpunkt über 400 Betriebe bestreikt.
Im Vorfeld der siebten Verhandlungsrunde waren zumindest aus einigen Betrieben Signale zu vernehmen, die Richtung Einigung deuten könnten. Dennoch: Nach weiteren zwölf Stunden Verhandlung scheiterten auch die Gespräche vom 2. März. Mit der Ausbreitung des Corona-Virus und den damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, verschlechterte sich auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften.
Das betraf einerseits mögliche Streikmaßnahmen. Eigentlich war für 10. März eine weitere Demonstration angekündigt. „Einige unserer Leute saßen bereits im Bus nach Wien oder nach Linz“, erinnert sich Eva Scherz. Bis dann um 11 Uhr, wenige Stunden vor Demobeginn, die Bundesregierung vor die Presse trat – und ein Verbot für Outdoor-Veranstaltungen mit mehr als 500 Personen aussprach.
„Schritt in die richtige Richtung“
Andererseits mussten die Warnstreiks eingestellt werden, weil die Situation in vielen Betrieben prekärer wurde: Personal, das krankheitsbedingt ausfällt oder sich in häusliche Quarantäne begeben muss; für jene, die trotzdem ihren Dienst antreten, mangelt es an Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln; nach wie vor kann nicht flächendeckend auf das Virus getestet werden. Für viele Beschäftigte stellt sich überhaupt die Frage, wie es weitergehen soll. TherapeutInnen und BetreuerInnen haben derzeit wenig bis gar keine Arbeit mehr.
Die siebte Verhandlungsrunde, angesetzt für den 26. März, konnte wegen der COVID19-Maßnahmen nicht mehr stattfinden. Die ArbeitgeberInnen-Seite unterbreitete ihren SozialpartnerInnen ein schriftliches Angebot, worüber die ArbeitnehmerInnen-Seite online abstimmte – und zustimmte. „Ich bin zuversichtlich“, bekräftigt Scherz, „dass man mehr rausholen können hätte“. Das Potential, noch mehr und flächendeckender zu streiken, wäre vorhandengewesen. Dennoch: Angesichts der Umstände habe die „Sicherheit und Stabilität der Beschäftigten“ Priorität. Und vor diesem Hintergrund sei das „ein guter Abschluss“.
Was natürlich nicht heißen solle, dass das Thema 35 Stunde-Woche damit vom Tisch ist. Der neue KV sei „ein Schritt in die richtige Richtung“ – aber: „Da sann’ma noch nicht fertig!“